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Atelier Land und Weer.
Verschwiegenheit zurückzuziehen pflegte, wenn sie auf ihn einznreden begann. Mit der Zeit, wenn man ihn ganz in Ruhe ließ und die größte Gleichgültigkeit heuchelte, kroch er doch wieder hervor und wurde mitteilsam.
Das geschah denn auch, als Frau Bertha ihm mit ihrer Stickerei ins Arbeitszimmer gefolgt war, sich ganz harmlos ans Fenster gesetzt hatte und sich gar nicht um den zwischen einem Aktenstoß umherwühlenden Gatten Zu bekümmern schien.
„Es ist empörend," rief er endlich, „dieses alte Leckermaul, der Kollege Rommel, hat sich gestern bei irgend einer Abfütterung den Wanst mit Kapaunen- braten wieder so vollgestopft, daß er sich krank gemeldet hat und nun vertreten werden muß."
„Der ist doch nicht in der Strafkammer," sagte sie, ohne auszublicken. „Da wirst du Rommeln doch nicht zu vertreten haben."
„Er ist nicht in der Strafkammer, aber hat jetzt die Nevisionsreisen zu machen, die nicht mehr aufgeschoben werden können; und da muß den Präsidenten der Teufel reiten, daß er mir dieses infame Geschäft vertretungsweise aufgebürdet hat."
Der Gerichtsrat warf das Aktenbündel aus den Tisch, zog seine Weste mit Heftigkeit herunter und trat, die Hände auf dem Rücken, an das andre Fenster.
„Ich würde das nicht so tragisch nehmen," sagte sie besänftigend.
„Von Tragik kann keine Rede sein; komisch komme ich mir in dieser Rolle vor. Es ist mir widerwärtig, einen ahnungslosen Menschen in seinem Neste zu überfallen und ihm von Amts wegen das Fell über die Ohren zu ziehen."
„Ich habe nie von Rat Rommel gehört, daß er das jemals mit einem Beamten gethan hätte," wandte Frau Bertha lächelnd ein. „Was er mir von seinen Nevisionsreisen erzählt hat, läßt mich vermuten, daß das Geschäft dort ganz angenehme Seiten haben muß."
„Natürlich für Menschen wie Rommel, denen es ein Hochgenuß ist, in würdevoller Pose durch die Landstädte zu ziehen, wo so ein unglücklicher Amtsrichter haust, und sich dort wie ein Landgraf huldigen zu lassen. Ich kann das nicht; ich bin kein Mensch von sogenannten liebenswürdigen Umgangssormen, ich kann von mir kein Trara machen und bin keine imponierende Persönlichkeit. Ich verstehe nicht, wie der Präsident dazu kommt, mich auf eine Revisionsreise nach Rasselburg zu schicken!"
„Das soll freilich ein schrecklicher Ort sein."
„Na, nun wollen wir nicht weiter darüber reden. Es ist nicht mehr zu ändern. Ich habe die Vertretung stillschweigend übernommen und muß die Komödie aus dem .zerbrochenen Krug' mitspielen."
Frau Bertha lachte. „Du thust gerade so, als hättest du es mit Leuten vom Schlage eines Dorfrichters Adam zu thun. Ich kann dir immer nur versichern, daß der Rat Rommel stets mir Vergnügen von seinen Revisionsreisen gesprochen hat; ich erinnere mich nicht, daß er jemals mit Unwillen davon erzählt hätte."
„Wie er es macht, ist mir ein Rätsel. Ungehörig-
keiten kommen überall vor; die kann man als gewissenhafter Revisor nicht totschweigen. Wenn ich aber solch ein Amt übernehme, dann lause ich nicht mit Scheuklappen durch die Aktenstuben und Gerichtszimmer. Da bin ich rücksichtslos, da kenne ich keine Nachsicht, und das giebt Aerger und Verdruß."
Er griff hastig nach dem Kursbuch aus seinem Schreibtisch und blätterte darin. Eine Eisenbahn nach Rasselburg gab es damals, vor etwa zwanzig Jahren, noch nicht.
„Aus der Landstraße muß man sich Herumtreiben," brummte er. Es ist an einem Tage nicht zu machen. Rasselburg liegt eine Meile von der nächsten Bahnstation. Da muß ich mir eine Nacht um die Ohren schlagen. Und mich da allein herumzudrücken —"
„Aber, lieber Franz, dann werden wir mitkommeu."
„Um Gottes willen! Das wäre was, mit der ganzen Karawane nach Rasselburg! Bleib du gefälligst hier. Ich habe keine Lust, aus der Dienstreise auch noch die Verantwortung für dich Zu übernehmen."
„Daun laß wenigstens die Emma mitfahren."
„Die langweilt sich zu Tode. Wenn ich revidiere, kann ich nicht für ihre Unterhaltung sorgen."
„Emma langweilt sich nicht; sie nimmt ihr Skizzenbuch mit und wird in dem Städtchen manches finden, was ihr neu und interessant ist; sie kann sich den ganzen Tag mit Zeichnen unterhalten. Soll ich den Koffer schon packend"
„Koffer? Packen? Das fehlte noch!" rief er auffahrend. „Womöglich den großen Korb von der Schweizer Reise!"
„Du mußt doch einen guten Anzug mitnehmen."
„Fällt mir gar nicht ein, mich zu der Revision wie ein Kikerikihahn aufzuputzen. Hier dieser Rock und diese Hose, die ich anhabe — mehr wird nichts mitgenommen."
„Aber du mußt doch anständig auftreten," sagte Frau Bertha händeringend. „ Die Rasselburger werden dich nicht respektieren."
„Das laß meine Sorge sein; die Kerle soll der Teufel holen, wenn ich nicht alles in Ordnung finde. Also nichts weiter als meine Tasche zum Umhäugeu; da hinein ein Nachthemd, die Pantoffeln, ein Stück Seife, Kamm und Zahnbürste. Auch die Emma nimmt nichts weiter als ihre Tasche mit; sonst danke ich für ihre Begleitung."
Ein Gerichtsdiener trat ins Zimmer und überreichte dem Rat ein versiegeltes Aktenstück mit der Bemerkung, daß es der Herr Gerichtsrat Rommel übersende; es seien Revisionsakten. Als der Bote verschwunden war und Rat Frege sich an seinen Arbeitstisch gesetzt hatte, eilte Frau Bertha in das andre Zimmer und begann die Reise-Effekten einzupacken. Emma war glückselig, daß sie mitsahren durfte; sie hätte vor Wonne ausjauchzen mögen, aber ein Wink von der Mutter belehrte sie, daß es besser sei, jetzt derartige Ausbrüche Zu unterdrücken. Mit dem Vater allein zu reisen, ohne beständige Kontrolle der Mutter, kam ihr wunderbar romantisch vor, auch wenn es nur nach Rasselburg ginge. Ihr war es ganz recht, ohne Koffer zu fahren; sie war dann frei und konnte