Die Revisionsreise.
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Die Zimmer waren nicht übel, hoch und geräumig, die Bettwäsche sauber und trocken. Emma ^ war froh, die nassen Schuhe von den Füßen zu , bekommen; auch der Herr Rat machte es sich bequem und zog die Pantoffeln an. Dann ließ er ein einfaches Abendessen heranfbringen und rief Emma in sein Zimmer. Sie war glücklich, einmal ganz allein in einem Hotelzimmer zu wohnen und nun beim Vater, wie auf Einladung, zu Abend zu efseu. Ihr leuchteten förmlich die Augen vor Wonne. Auch das Gesumme der Stimmen und das Gelächter, ! das von unten aus der Gaststube heraufschallte, hatte etwas Anheimelndes. Und wenn so eine bellende Lachsalve erscholl, die kein Ende nehmen wollte, mußte sie mitlachen, und der Alte kicherte dann auch vor sich hin.
Als wiederum eine dröhnende Lachsalve zu den beiden Gästen hinaufschallte, meinte Emma vergnügt: „Ich glaube, die Leute sind hier lustiger als bei uns. So laut habe ich in Berlin noch nie lachen hören. Sie müssen sich doch sehr komische Geschichten erzählen — vielleicht aus den ,Fliegenden Blättern^ die Geschichte von dein Kienöl, Papa, über die wir neulich so lachen mußten."
„Ja wohl, ,Fliegende Blätter' und Kienöl," rief er heiter, „solche Witze werden's Wohl sein!"
„Ich werde nun in meine Stube gehen," sagte sie nach einer Weile, „und meine Skizze fertig machen. Schlaf Wohl, liebster Vater." Sie huschte in das Nebenzimmer, während der Herr Rat wieder seine Revisionsnotizen vornahm und den Lärm aus der Gaststube nicht mehr zu hören schien. Allmählich kam jedoch die Müdigkeit über ihn, und er legte sich zu Bett. Aber das Stimmengewirr, das brüllende Gelächter und rohe Singen wurden immer ärger; dabei Zu schlafen war unmöglich. Der alte Herr ertrug es geduldig eine halbe Stunde, sogar eine ganze Stunde, dann aber sprang er aus dem Bette, fuhr in die Kleider und drückte an die Klingel, bis er eilige Schritte die Treppe heraufkommen hörte.
Der Wirt trat mit lächelnder Miene ein.
„Herr," rief der Rat, „wenn dieses Gebrülle da unten noch weitergehen soll, dann bitte ich mir andre Zimmer aus!"
„Bedaure außerordentlich; es ist leider kein Zimmer mehr frei. Die Hotelgäste kommen gewöhnlich alle herunter und nehmen an dem heiteren Zusammensein teil. Dürfte ich vielleicht bittend"
„Ich danke für die Gesellschaft!"
„O, ich bitte um Entschuldigung, es ist bei mir die erste, die beste Gesellschaft," sagte der Wirt gekränkt, „der Herr Amtsrichter
„So, der Herr Amtsrichter?"
„Ein herrlicher Mann; den müssen Sie kennen lernen; der ist großartig, der ist unbezahlbar! Was der für Kunststücke macht! Dagegen ist Bellachini ein Waisenknabe. Hören Sie nur! Jetzt reiten sie auf den Stühlen um den Tisch; es sind alle dabei, sein Adjutant, der Herr Referendar Schorlopp, der Tierarzt Willrich, der Apotheker Nidewauz, der Rektor Krumbügel und noch andre Honoratioren. Heute find sie besonders lustig, denn der Herr
Amtsrichter hat seinen ersten Hasen geschossen, und wer mit ihm, das heißt mit dem Hasen in der Hand, nach dem Feuerzauber noch auf der Dielenritze gehen kann, ohne zu torkeln, der kriegt ihn — na, wie wäre esd"
„Daß dich — soll denn auch noch Wagnersche Musik gemacht werden, — was wollen Sie mit dem Feuerzauber?" fragte der Herr Rat ganz entsetzt, während er sich fröstelnd den Ueberzieher anzog.
„Der Feuerzauber würde Ihnen auch gut thuu. Das ist ein vom Herrn Amtsrichter erfundenes Getränk: Burgunder, Cognac und Rheinwein ausgekocht. Ich sage Ihnen, da fliegen sie nur so
untern Tisch. Uebrigens, Wagnersche Musik machen sie auch noch; ja, bei uns geht's immer fidel zu. Meine Frau hat schon die Kochdeckel, die Kupser- kessel, die Gießkannen und was weiß ich bereitstellen müssen; das kommt aber erst bei der Götterdämmerung. "
„Wann ist denn die?" fragte der Rat mit stieren Blicken.
„Das kommt darauf au, wie lang es der Herr Referendar aushält; der hat sich schon auf der Jagd die Nase beschüttet und konnte kaum noch reiten. Hören Sied Jetzt hält er die Kritik über den Kavallerie-Angriff ab. Ich sage Ihnen, das ist zum Langlegen — das müssen Sie hören! Na, seien Sie kein Störenfried," fuhr der Wirt geschwätzig fort, „so ein richtiger Touriste, der muß doch auch das Volksleben ein bißchen kennen lernen. Wir Rasselburger sind noch vom alten Schlage; hier können Sie Studien machen."
„Jetzt lassen Sie mich in Ruh'!" rief der Rat wütend. „Schicken Sie eine Taffe Kaffee herauf oder besser Zwei, denn meine Tochter wird wohl auch vorziehen, zu wachen, bis das sogenannte gemütliche Zusammensein da unten zu Ende ist." —
Die Nacht war gräßlich. Erst in früher Morgenstunde war es möglich, ungestört zu schlafen. Um neun Uhr wollte der Herr Rat aufs Amtsgericht gehen, aber er hatte verschlafen, und so trat er seinen Revisionsgang erst um zehn Uhr an, man kann nicht sagen, in rosiger Stimmung. Emma dagegen schien das Nachterlebnis viel Vergnügen bereitet zu haben. Auf dem Marktplatz vor dem Amtsgericht, einem alten, müden Hause, trennte sie sich vom Vater und wanderte mit ihrem Skizzenbuch aufmerksam durch die engen, winkeligen Gassen.
Währenddes war der Herr Rat in das Haus getreten; er stieg eine Treppe hinauf und sah sich forschend um. Er klopfte an verschiedene Thüren, aber niemand meldete sich. Endlich steckte der Gerichtsdiener den Kopf durch eine Thürspalte und rief:
„Immer rin, ohne anzukloppen! Was wollen Se denn?"
Das ist also der Gerichtsdiener Pollack, dachte der Herr Rat; er schien dem Diener nicht zu imponieren, dann konnte man das Weitere abwarten.
„Ich hätte gern einige Auskunft gehabt," sagte der Rat fast ängstlich.
„So, Sie sind wohl vom Lande? Na, dann setzen Sie sich man da auf die Bank, wo die olle