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Ueöer Land und Meer.
Frau sitzt, und warten Sie, bis der Herr Sekretär kommt."
Pollack hatte eine Thür geöffnet, schob den Fremden in das Vorzimmer zur Amtsstube und verschwand. Der Herr Rat setzte sich, ohne eine Miene zu verziehen, neben das Bauernweib und fragte:
„Die Amtsstunden sangen doch schon um neun Uhr an; hier ist ja aber noch niemand im Bureau?"
„Jo, ick sütt hie schon seit nagen. Awer," fuhr sie, mit dem Finger warnend, fort, „nioken Sei man keine Sperenzkens hier; der Pollack is 'n krätscher Kerl, der verstecht kein' Spaß nich. De Herrens warn schon komme; dat is nn mol nich anders; wi hebbe jo ook Tied."
Dem Rat kam die ganze Lage, in der er sich hier befand, sehr seltsam vor; aber ihm blieb nichts weiter übrig, als die Sache vorläufig mit Humor aufznsassen. Die alte Frau hatte ihn bald mit ihrem ganzen Prozeß, der sich um eine Ziege drehte, bekannt gemacht. Er sah daraus, mit welcher Machtvollkommenheit der Herr Gerichtsschreiber in diesem Bezirke herrschte, und wie Pollack geradezu der Schrecken des ganzen rechtsuchenden Landvolks war.
Nach einer geraumen Zeit trat der Herr Gerichtsschreiber ins Zimmer, eine lustige Melodie vor sich hinpseifend. Er schritt gravitätisch mit dem Hut auf dem Kopse durch den Warteraum, ohne aus die Bank an der Wand einen Blick zu Wersen, ging in das Amtszimmer, räusperte sich wie ein Tyrann und schneuzte sich umständlich. Dann zündete er sich eine Zigarre an und setzte sich behaglich in seinen Ledersessel.
„Pollack," rief er, „kommen Sie mal her, Sie Cerberus."
Pollack erschien.
„Sehen Sie mal nach, ob nebenan bei Rietz frisch angestochen ist; er soll aber gut einsüllen, der alte Gauner; den Schaum schenk' ich ihm. Sind Leute da?"
„Wieder die olle Kroppsche ans Pegelow und noch einer."
„Noch einer? Wer ist das? Woher? Was will er?"
„Er will Auskunft haben."
„So? Da fragen Sie gefälligst den Mann aus dem Nubierlande, was er für Auskunft haben will."
Pollack kam und fragte, aber der Fremde sagte ruhig und höflich: „Die Frau hier ist vor mir dagewesen; wollen Sie die zuerst abfertigen." Pollack ging zurück und überbrachte die Antwort.
Der Herr Gerichtsschreiber stand auf, trat in die Thür und sagte herrisch zu dem Manne ans der Bank: „Sie wollen Auskunft haben? Kommen Sie mal herein."
Der Fremde wiederholte seine Antwort.
Da brauste der Herr Gerichtsschreiber auf: „Hören Sie mal, alter Freund, wenn ich hier sage, daß Sie zuerst an die Reihe kommen, so haben Sie gefälligst zu schweigen. Das habe ich zu bestimmen, wer warten soll und wer nicht. Ist gut, nun sollen Sie warten. Kommen Sie cherem, Frau Kropp!"
„Hebb ick's Ihne nich seggt?" flüsterte die Frau, „hier mott man dat Mul Holle."
Die Verhandlungen zwischen dem Gerichtsschreiber Mackedanz und der alten Frau boten dein Herrn Rat eine Fülle sehr interessanter Einblicke in das Rasselbnrger Gerichtsverfahren.
Plötzlich ertönte ans dem Marktplatz eine Trillerpfeife. Mackedanz sprang ans Fenster und rief hinaus: „Es ist nichts von Bedeutung, Herr Amtsrichter; was hier ist, besorg' ich allein, der Herr Referendar ist auch nicht hier."
,Ei, daß dich die Schwerenot!' dachte der Herr Rat, ,die scheinen sich diesen Tag besonders ansgewühlt zu haben? Die Sache wurde ihm immer ungemütlicher; ans diese Art die Rolle des Lauschers spielen zu müssen, war ihm im höchsten Grade zuwider. Fast bedauerte er es, Rasselbnrg so meuchlings überfallen zu haben. Was hatte erschau seit gestern für unangenehme Dinge erlebt! Die Scene auf der Chaussee, die grauenhafte Nacht im Gasthofe und nun diese Zustände in der Gerichtsstube! Er wußte nicht, ob er ruhig wieder fort- gehen oder wie ein Gewitter dazwischenfahren solle. Als er aber hörte, wie der Herr Gerichtsschreiber mit der alten Frau verfuhr, wie er sie unter Schimpfen wieder sortschickte, da stand er schnell aus, trat mit großen Schritten ins Gesprächszimmer und rief mit scharfer Betonung:
„Nun habe ich genug von dieser Komödie hier gesehen."
„Was wollen Sie? Wer sind Sie?" brüllte Mackedanz.
„Ich bin der Landgerichtsrat Frege und bin hergekommen, um das Amtsgericht zu revidieren." Dabei zitterte der alte Herr vor Aufregung.
Der Gerichtsschreiber taumelte Zurück, wurde leichenblaß und sank auf seinen Drehsessel. Pollack kratzte sich hinter den Ohren und wollte wegschleichen, aber der Gerichtsrat rief ihm donnernd zu: „Hierbleiben! Sonst sind Sie die längste Zeit im Amte gewesen." Er gab seine Wahrnehmungen sogleich zu Protokoll und revidierte die Gerichtsstube, soweit das ohne die Anwesenheit des Amtsrichters möglich war.
Während dieser Begebenheiten war Emma durch das Städtchen geschlendert, hatte die Anlagen gefunden und dort einige Skizzen von Baumgruppen angefertigt. An einem Wege sah sie ein paar kleine Häuser, die mit ihren winzigen, grünlich schimmernden Fenstern, den verfallenen Lehmwänden und schiefen Dächern ihr Interesse besonders fesselten. Ein alter Ziehbrunnen stand auf dein Platze, und zwei Kinder waren beschäftigt, einen Tops mit Wasser zu füllen. Die Scene war niedlich, und Emma setzte sich sogleich aus einen alten Baumstumpf am Wege und rief den Kindern Zu, sie möchten eine Weile ganz stille stehen, sie wolle sie abzeichnen. Sie hoffte, daß das den Kleinen auch Spaß machen würde, aber sie erreichte mit ihren Worten gerade das Gegenteil; sie erhoben ein entsetzliches Geschrei und rannten nach der nächsten Hütte. Dabei siel das