Heft 
(1897) 13
Seite
391
Einzelbild herunterladen

Die Kevisioilsreise.

391

Kleinste mit dem Topfe hin, so daß dieser in ! Scherben zersplitterte. !

Emma lief sogleich hinterher, um das schreiende Kind aufznheben. In demselben Augenblicke stürzte auch schon ein schmutziges Weib im Unterrock und mit Nachtmütze aus der Kate, schwaug wütend die Fäuste und schüttete eine wahre Flut von Schimpf­reden und Schmähungen auf das sprachlos dastehende Mädchen. Andre Weiber kamen neugierig ans den Häusern; die Hunde fingen an, wütend Zu bellen, und die Kinder verdoppelten ihr Geschrei.

Emma konnte sich mit dem aufgeregten Weibe nicht verständigen, sie merkte aber, daß es sich in der Hauptsache um den zerbrochenen Topf handelte. So griff sie denn schnell in die Tasche und wollte ^ den Topf bezahlen; sie suchte und suchte, aber sie hatte ihr Geldtäschchen im Gasthofe liegen lassen. In ihrer Augst nahm sie einen kleinen Ring, ihren Eiusegnnngsring, vom Finger.

Ich habe kein Geld bei mir," sagte sie ganz eingeschüchtert;ich lasse Ihnen diesen Ring als Pfand; ich werde wiederkommen und den Topf be­zahlen."

Das Weib nahm den Ring mit argwöhnischen Blicken, die andern Weiber drängten sich heran und prüften den Ring.

Dat's Messing," sagte die eine,Gold ward se ! di nich gewe."

Das Weib jammerte, der Topf hätte fünfund­dreißig Pfennige gekostet, es wäre ihr bester Topf, sie hätte ihn auf dem letzten Jahrmarkt zu Johanni gekauft, sie wfirde die Polizei rufen.

Emma war in entsetzlicher Verlegenheit; mit solchen Weibern konnte sie nicht fertig werden. In diesem Augenblick kam ein Herr auf die Gruppe Zu. Emma eilte ihm entgegen und sagte mit Zitternder Stimme:Ach Gott, nehmen Sie sich doch meiner an. Ich wollte die Kinder abzeichnen, dabei ist ein Topf zerschlagen worden ich habe kein Geld bei mir; den Ring, den ich den Frauen als Pfand an- geboten habe, halten sie für Messing."

Als die Weiber den Herrn Amtsrichter sahen, verschwanden sie schleunigst in ihren Katen; nur die Besitzerin des Topfes blieb Zurück.

Hier haben Sie fünfzig Pfennige," rief er, geben Sie sofort der Dame den Ring wieder! Was ist das für eine unverschämte Art, Fremde so an­zuschreien! Ich habe den Lärm bis in die Anlagen gehört. Schert euch nach Hause, sonst schick' ich euch den Pollack auf den Hals."

Das Weib nahm die Kinder an die Hand und schlich davon.

Ja, so ist das Volk hier," sagte er Zn Emma; mit sanften Mitteln ist gar nichts anszurichten. Ein abergläubisches GesindA! Die haben sicher ge­glaubt, Sie wollten mit Ihrem Zeichnen die Kinder verrufen, wie sie das nennen, das heißt, ihnen irgend eine Krankheit oder ein andres Unglück aufteufeln oder aufhexen."

Du gütiger Himmel," erwiderte Emma ans- atmend,ich und behexen!"

Stiebenbach sah ihr schelmisch in die Angen und

! sagte:Nun, für so ganz unmöglich halte ich das ! gerade nicht."

Emma schien diese Worte zu überhören und fuhr fort:Sehen Sie, hier ist mein Skizzenbnch. Da find auch schon einige Sachen ans Rasselburg, hier dieses alte Thor an der Stadtmauer, dort die Birken­allee und die Buchen am Teiche."

Ei, sehen Sie mal! Ich hätte nicht geglaubt, daß wir hier etwas zum Malen hätten; das sieht ja ganz poetisch aus."

O, das Bildchen da oben am Ziehbrunnen wäre noch hübscher geworden," antwortete sie eifrig.Aber gerade mit den besten Motiven habe ich Unglück. Schon gestern, als ich von der Chaussee eine malerisch z gelegene Bauernhütte zeichnen wollte, da kam ein Wagen mit betrunkenen Männern angejagt, so daß ich mich nur durch einen Sprung in den Chaussee­graben retten konnte, und der war obendrein noch sumpfig."

Der Herr zuckte Zusammen und drehte perlegen an seinem Schnurrbart.

Ah, allerdings," sagte er stockend,das ist fatal, aber glauben Sie mir, mein Fräulein, es war Schuld des Kutschers, lediglich, gewiß. Es ist schauderhaft, daß mir das passiert ist! Ich wußte doch gleich, daß ich Sie schon irgendwo gesehen ! hatte ich hatte Ihr Bild so im Fluge aus­genommen, aber verzeihen Sie wirklich dieser Rüpel von Kutscher daß Sie da in den Graben flüchten mußten, ist mir wirklich sehr peinlich. Ich muß Ihnen die Wahrheit sagen, ich saß nämlich in dem Wagen."

Nun, dann sind wir ja quitt," rief Emma lachend, während sie weitergingen.Hier haben Sie mir Ihre Hilfe geboten, wo ich in großer Angst war, und dafür dank' ich Ihnen sehr. Das sind wirtlich böse Weiber."

O, die sollten Sie kennen und mit dieser Ge­sellschaft verhandeln und jahrelang sich herum­ärgern müssen; das macht einen mürbe, müde, stumpfsinnig und die Leute, mit denen man hier verkehrt, sind ebenso. Nur durch Tollbeiten kann man sich aus diesem Zustande der geistigen Oede mal wieder aufrütteln."

Das Leben in der kleinen Stadt hat doch auch manche Reize d"

Gewiß, wenn man es aus der Perspektive an- sehen kann. Das thut man denn auch in der ersten Zeit. Man denkt: na, die Metamorphose dauert nicht lange, sie muß durchgemacht werden; nachher fliegt man doch wieder fort. Wenn man aber jahre­lang in solchem Nest zu bleiben aus amtlichen Gründen gezwungen ist, viele Jahre, dann wird die Schwungkraft immer lahmer und lahmer, die Kreise werden immer enger und die Flughöhe immer kleiner. Und mit einemmal sitzt man, ehe man sich's versieht, mitten drin in dem alten Hühnerhof, wühlt sich, wie die andern, im Sande seine Kaule aus, spreizt die Federn, sonnt sich, guckt nach dem Himmel und schallt neugierig hin, wenn mal so ein Zugvogel über das weite Himmelsgewölbe dahinftreicht. Ach, da lebt das Elend wieder mit Gewalt auf, es packt