Heft 
(1897) 13
Seite
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Ueber Land und Meer.

einen der Menschheit ganzer Jammer. Und sehen Sie, so geht es mir nnn, wo ich Sie mit dem Skizzenbuch in der Hand durch diesen Ort wandeln sehe."

Ach Gott, halten Sie mich nur nicht für ein umherstreifendes Mädchen," sagte Emma halb ängst­lich, halb bittend.

Sie find doch, mein Fräulein, mit Ihrem Herrn Vater auf einer Rundreise, nicht wahr? Der Hotelwirt sagte es uns wenigstens; wir wußten, daß Sie über der Gaststube wohnten."

Ei, dann war die lärmende Musik gestern wohl eine besondere Aufmerksamkeit für uns?" fragte Emma lachend.

Nun, offen gestanden, ein bißchen ärgern wollten wir Ihren Herrn Vater, weil er sich so geflissentlich von uns fern hielt. Sonst bilden alle Gäste immer eine gemütliche Tafelrunde mit uns, aber Sie hatten es stolz abgelehnt; das ärgerte uns, und daher war der Lärm größer als sonst."

Das ist aber boshaft. Mir freilich war diese komische Musik sehr belustigend, aber dem armen Vater wurde dabei ganz schlimm. Er ist nicht ein­mal dazu gekommen, seine Revisionsnotizen ordentlich durchzulesen."

Der Herr horchte auf.

Revisionsnolizen?" fragte er zögernd.

Ja. Ich sollte eigentlich nicht davon sprechen, aber da Sie so gütig zu mir gewesen sind, so will ich Sie doch nicht in einem falschen Glauben lassen. Wir sind gar keine Touristen."

So, Sie haben hier Geschäfte in Rasselburg?"

Mein Vater ist der Landgerichtsrat Frege; er ist hierher geschickt worden, um das Amtsgericht Zu revidieren."

Stiebcnbach stand da mit aufgerissenen Augen, wie versteinert.Himmeldonnerwetter!" rief er. Dann schoß ihm das Blut in den Kopf, er fuhr mit den Händen aufgeregt in die Taschen, riß die Uhr hervor, rang eine Weile unentschlossen mit sich dann stürzte er, ohne Emma ein Wort zu sagen, wie verfolgt von dannen. In wenigen Augenblicken war er verschwunden.

Emma schaute ihm gauz verdutzt nach. Ihr wurde etwas unheimlich Zu Akute, und sie eilte durch die engen, winkeligen Gassen wieder zurück nach dem Gast­hofe zur fröhlichen Wiederkunft. Sie brannte darauf, ihrem Vater das ganze Erlebnis Zu erzählen. Als sie aber in sein Zimmer trat, saß er zwischen einem mächtigen Hausen Akten, und er war so in das Studium vertieft, daß er sie nicht kommen hörte. Sie wußte, daß sie ihn jetzt nicht stören durfte; so setzte sie sich still au das Fenster und arbeitete, so gilt es ging, an ihren Skizzen.

Mittlerweile war Stiebenbach schweißtriefend, atemlos im Amtsgericht augelangt. Im Hausflur ftaud Frau Pollack, rot im Gesicht, mit dem Schrubber in der Hand und scheuerte, daß das Wasser uur so spritzte. Ihre Tochter war auf eine Leiter geklettert und putzte hastig die Fenster. Im Wartezimmer stand Pollack, umgeben von mächtigen Stößen alter Aktenstücke und schlug mit einem Klopfer drauf, daß

die Staubwolken wie dichter Qualm aus den Fenstern Zogen. Als er den Amtsrichter bemerkte, ließ er die Arme sinken, sah ihn mit gläsernen Augen an und sagte im Tone völliger Verzagtheit:Ach, du lieber Gott, Herr Amtsrichter, was wird das werden? Nu is allens Essig. Der neue Herr Revisor, der Herr Landgerichtsrat, ist eben hier gewesen."

Stiebenbach stürmte in die Amtsstube. Ein sel­tener Anblick: der Herr Referendar Schorlopp saß eifrig schreibend da; ein konvulsivisches Zucken ging zuweilen durch seinen dicken Körper. Er sah den Amtsrichter von der Seite an und blies die Backen auf, während er mit der rechten Hand eine Be­wegung machte, als wollte er sagen: ,Das war 'ne nette Ueberrafchnng, aus dem Bette haben sie mich ge­holt der verdammte Feuerzauber o jerum, jerumll

Der Gerichtsschreiber Mackedanz stand kreidebleich da; er mußte sich an dem Ledersessel festhalten, so zitterten ihm die Beine. Es war schwer für Stieben­bach, aus diesem verstörten Menschen zusammen­hängende Antworten herauszubekommen, nur so viel hörte er, daß der Herr Landgerichtsrat ihn um zwölf Uhr, nach Schluß der Dienststnnden, zu sprechen wünsche. Er trat in sein Zimmer; sein Blick flog über die Akten. Er atmete auf. Der Revisor hatte den Stoß mit den unerledigten Sachen liegen lassein Sogleich machte er sich daran, noch so viel wie möglich Reste auszuarbeiten. Aber er konnte kaum schreiben, so zitterte ihm die Hand. Herr des Himmels, was war das für eine Blamage! Er stand auf und ging aufgeregt in: Zimmer hin und her. Sonst war er unter der Hand von jeder Revision benachrichtigt worden und nun diese unerwartete Revision und dazu ein neuer Revisor! Wäre er wenigstens im Amtszimmer gewesen, aber dieser infame Mackedanz wie konnte er ihm zurnfen, es sei nichts von Bedeutung da! Stiebenbach suchte festzustelleu, welche Akten sich der Herr Revisor nach dem Gasthof hatte kommen lassen. Es waren, Gott sei Dank, mehrere Zivilprozesse, die nach Stieben- bachs Meinung wenig Anlaß zu tadelnden Be­merkungen geben konnten. Aber die Neste, die Neste! Er setzte sich wieder an den Schreibtisch doch seine Gedanken waren nicht bei der Sache. Er las und las, aber er fand keinen Zusammenhang; die Aussagen der Frau Kropp aus Pegelow und andrer Weiber wurden ihm nicht klar. Dieses verdammte Weibervolk! Er stand wieder auf und ging hin und her Herr Gott, die Geschichte ans der Chaussee und während der Nacht der Radau im Gasthofe das war ja eine nette Einleitung zu der Revision. Die junge Dame war also seine Tochter hätte er das nur früher gewußt wie sie iu den An­lagen so rührend vor ihm stand und ihn mit ihren großen blauen Angen bittend ansah so ein ent­zückendes Mädchen! Stiebenbach hätte sich ohrfeigen mögen. Er setzte sich wieder an den Arbeitstisch, aber die Mädchengestalt huschte ihm beständig über das Papier; es wollte mit der Arbeit nicht recht vorwärts gehen.

Währenddes war Emma eifrig mit ihren Zeich­nungen beschäftigt. Der Vater faß noch immer da.