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Uebcr Land und Meer.
Kollege Rommel, und dann wird die Sache freilich sehr gemütlich, nicht wahr, lieber Amtsrichter? — Na, mein liebes Kind," sagte er Zu Emma, die mit hochroten Wangen dasaß, „wir müssen uns nun bald rüsten; der Zug wartet nicht aus uns."
Stiebenbach erhob sein Glas, sprach einige schön gewählte Worte und stieß ans das Wohl der Frau Landgerichtsrat an.
Der Herr Rat war offenbar gerührt; er stand auf, ging zum Amtsrichter, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in nicht mehr ganz festen Satzgefügen: „Mein lieber Stiebenbach, das war sehr hübsch von Ihnen. Was Sie da gesagt haben von häuslichem Glücke, ist sehr richtig. Ohne das ist doch das Leben eine langweilige Tretmühle, eine Landschaft ohne Sonnenschein oder, wie Sie ganz richtig bemerkt haben, mein lieber Stiebenbach, ein Tempel ohne Heiligtum — das haben Sie sehr hübsch gesagt. Ja, die Mutter, liebe Emma," fuhr er gerührt fort, „unsre gute Mutter — stoßen wir mal an! — das ist eine vortreffliche Frau! Gott, ich sehe sie noch vor mir, als sie so ein Mädchen in deinen Jahren war."
„Ach, Papa," rief Emma fröhlich, „nun kommt gewiß die Geschichte mit der Apfelsinenschale in der Königsstraße."
„I, fällt mir gar nicht ein! — Ja, was ich sagen wollte, mein lieber Stiebenbach — richtig — die Trillerpfeife! Hören Sie mal, die Trillerpfeife — die müssen Sie wieder abschaffen. Und dann, was ich noch sagen wollte — der Feuerzauber und die Götterdämmerung in Nasselburg, die bis morgens drei Uhr dauert, das ist ja sehr amüsant, natürlich — aber das hat doch alles so seine zwei Seiten; da kommen Sie doch lieber einmal nach unsrer Stadt und sehen Sie sich den ,Nibelungenring' mal an, wie er wirklich ist."
„Wenn Sie gestatten, Herr Landgerichtsrat," rief der Amtsrichter freudig erregt mit bebender Stimme.
„Da habe ich gar nichts zu gestatten, mein lieber Stiebenbach, das ist Ihre Sache," sagte der Herr Rat, indem er mit Behagen den Rest sein Glases über die schnalzende Zunge gleiten ließ. „Der Rasselburger Wein — das muß ich sagen — der gefällt mir, er macht einem ordentlich die Beine leicht — na also, mein lieber Stiebenbach, auf Wiedersehen, aus baldiges Wiedersehen bei uns!"
Der Amtsrichter wollte etwas erwidern, aber dem sonst so gewandten Manne kam keine der üblichen Redensarten über die Lippen. Um so inniger drückte er Emma die Hand, die sie ihm znm Abschied reichte, und um so tiefer schaute er ihr in die blauen Augen.
Die RHeinbrücken bei Straßburg.
(Siehe die Abbildungen Seite 3S7.)
^chon zu Zeiten des Germanenhäuptlings Ariovist, also ein halbes Jahrhundert vor Christi Geburt, war bei dem heutigen Straßburg, das heißt etwa vier Kilometer östlich von der Stadt, der bequemste Uebergang über den Rhein, der damals noch in völlig ungebändigter Jugend- >
lust, in viele und breite Arme geteilt, durch die Urwälder rauschte. An dieser Stelle liegt nämlich im Flußbett die breite „Sporeninsel", die den Hauptstrom auf etwa 250 Meter einengt, und da sich hier durch die Stromverhältnisse auch noch gern Kiesbänke ablagern (heute noch ein Hindernis sür die Schiffahrt), so mag wohl zu jener fernen Zeit eine passable Furt bestanden haben, als Vorläufer für später erbaute Brücken. Schon die römische Stadt Argentoratum war die Burg an der Straße von Südgermanien nach Gallien (in diesem Sinne erklärt man auch den Namen Straßburg). Besagte feste Brücke, auch aus dem rechten badischen User durch Festungswerke geschützt, bildete im Lauf der Zeiten oftmals den Gegenstand des Kampfes und wurde infolgedessen auch verschiedentlich abgebrannt oder anderweitig zerstört. Seit Anfang dieses Jahrhunderts wurde sie durch eine Schiffbrücke ersetzt. Aber zur Freude der Geschichtsforscher war der gute, alte Vater- Rhein von Zeit zu Zeit so gefällig, durch Niedrigwasser die Pfahlreste im Kiesgrnnd beaugenscheinigen zu lassen. Gleichzeitig war hiermit aber die Unannehmlichkeit verbunden, daß die Pontons der Schiffbrücke teilweise so hoch auf den Kiesbuckeln zu liegen kamen, daß die Brückenbohlen Berg und Thal bildeten. Man hätte also gewiß damals schon auf Abhilfe gedrungen, aber der Strom war noch Deutschlands Grenze, und der Verkehr ließ sich immerhin noch ermöglichen. Mit der beginnenden Eisenbahnzeit mußte natürlich eine solidere Verbindung der Stromufer geschaffen werden, und so entstand die berühmte Eisenbahnbrücke, ein Gitterwerk von gefälliger, ja graziöser Wirkung auf vier mächtigen Strompfeilern. (Etwas früher — 1840 — war der Wildstrom auch reguliert, mehr gerade gerichtet und in hohe Dämme eingezwüngt worden.) Aus der französischen Seite wurde schon damals das letzte Joch zum Abdrehen eingerichtet, auf der badischen Seite nicht. Die Folge davon war, daß, als 1870 der Krieg ausbrach, die Franzosen den Schlüssel zur Brücke in der Hand hatten und ihn vorsorglich abdrehten. Auf badischer Seite wurde zur kritischen Zeit das letzte Brückenjoch in die Luft gesprengt.
Als nun einige Monate darauf der Rhein nicht mehr Deutschlands Grenze, sondern wieder Deutschlands Strom geworden war, wurde der Verkehr zwischen hüben und drüben immer reger. Mit jedem Jahr mehr sah man ein, daß die launische Schiffbrücke nicht mehr genügen könnte. In kriegstechnischer Hinsicht wurde Kehl sogar in die „Festung Straßburg" hineingezogen, kam innerhalb des Fortsgürtels zu liegen und erhielt selbst eine ziemlich bedeutende Garnison. Auch die Dampfstraßenbahn, die sich von der Uebergangsstelle sowohl nach dein Elsaß als auch nach Baden hinein verzweigte, wies hier eine empfindliche Lücke auf, so daß eine feste Brücke eine unumgängliche Notwendigkeit wurde. Das einfachste wäre bei den schwierigen Banverhältnissen auf den riesenhaften beweglichen Kiesbänken gewesen, die Eisenbahnbrücke entsprechend zu erweitern. Dem widersetzte sich jedoch die Verwaltung der Reichsbahn, die, abgesehen von gewichtigen technischen Gründen, an ihrem Schmuckstück wohl nichts geändert haben wollte, und da überdies an dem Brückenbau die Stadt Straßburg, die Straßenbahngesellschaft, die Verwaltung des Reichslandes und der badische Staat sich gemeinsam beteiligen mußten, so dauerten die Verhandlungen über die Kosten und ihre Verteilung jahrelang. Endlich erfolgte die Einigung, und der Bau begann, und zwar zwischen Schiffbrücke und Eisenbahnbrücke, kaum hundert Meter oberhalb der letzteren. Die Fundamentierung der neuen Brücke war schon sehr interessant durch die Anwendung riesenhafter eiserner Senkkasten bis zu einer Tiefe von 25 Metern, in denen trotz der hineingetriebenen Preßluft, die das Wasser hinausdrängen mußte, von hierzu speziell trainierten Arbeitern,