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Aeber Land und Weer.
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Vorbau zusteuerten. Als die Freunde diesen passierten, sahen sie — die Thürflügel waren bereits geöffnet
— in aller Bequemlichkeit in den Salon hinein und nahmen hier wahr, daß etliche, ihnen zu Ehren geladene Gäste bereits erschienen waren. Dubslav, in dunkeln: Ueberrock und die Bändchenrosette sowohl des preußischen wie des wendischen Kronenordens im Knopfloch, ging den Eintretenden entgegen, begrüßte sie nochmals mit der ihm eignen Herzlichkeit, und beide Herren gleich danach in den Kreis der schon Versammelten einführend, sagte er: „Bitte die Herrschaften miteinander bekannt machen zu dürfen: Herr und Frau von Gundermann aus Siebenmühlen, Pastor Lorenzen, Oberförster Katzler," und dann, nach links sich wendend, „Ministerialassessor von Nex, Hauptmann von Ezako vom Regiment Alexander." Man verneigte sich gegenseitig, worauf Dubslav zwischen Nex und Pastor Lorenzen, Wolde- mar aber, als Adlatus seines Vaters, Zwischen Ezako und Katzler eine Verbindung herzustellen suchte, was auch ohne weiteres gelang, weil es hüben und drüben weder an gesellschaftlicher Gewandtheit noch an gutem Willen gebrach. Nur konnte Nex nicht umhin, die Siebenmühlener etwas eindringlich zu mustern, trotzdem Herr von Gundermann in Frack und weißer Binde, Frau von Gundermann aber in geblümtem Atlas und mitMarabnsächer erschienen war,
— er augenscheinlich Parvenü, sie Berlinerin aus einem nordöstlichen Vorstadtgebiet.
Nex sah das alles. Er kam aber nicht in die Lage, sich lange damit zu beschäftigen, weil Dubslav eben jetzt den Arm der Frau von Gundermann nahm und dadurch das Zeichen zum Aufbruch zu der im Nebenzimmer gedeckten Tafel gab. Alle folgten paarweise, wie sie sich vorher zusammengefunden, kamen aber durch die von seiten Dubslavs schon vorher festgesetzte Tafelordnung wieder auseinander. Die beiden Stechlins, Vater und Sohn, plazierten sich an den beiden Schmalseiten einander gegenüber, während Zur Rechten und Linken von Dubslav Herr und Frau von Gundermann, rechts und links von Woldemar aber Rex und Lorenzen saßen. Die Mittelplätze hatten Katzler und Ezako inne. Neben einem großen alten Eichenbüffett, ganz in Nähe der Thür, standen Engelke und Martin, Engelke in seiner sandfarbenen Livree mit den großen Knöpfen, Martin, dem nur oblag, mit der Küche Verbindung zu halten, einfach in schwarzem Nock und Stulp stiefeln.
Der alte Dubslav war in bester Laune, stieß gleich nach den ersten Löffeln Suppe mit Frau von Gundermann vertraulich an, dankte ihr für ihr Erscheinen und entschuldigte sich wegen der späten Einladung: „Aber erst um zwölf kam Woldemars Telegramm. Es ist das mit dem Telegraphieren solche Sache, manches wird besser, aber manches wird auch schlechter, und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gewiß. Schon die Form, die Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich kurz fassen, heißt meistens auch sich grob fassen. Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort »Herr' ist beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz ernsthaft versicherte: ,Der häßlichste Mops sei der schönste'; so läßt sich jetzt beinahe sagen, »das gröbste Telegramm ist das feinste'. Wenigstens das in jeiner Art vollendetste. Jeder, der wieder eine neue Fünfpsennigersparnis herausdoktert, ist ein Genie."
Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an die Frau voll Gundermann, sehr bald aber mehr an ihn gerichtet, weshalb dieser letztere denn auch antwortete: „Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen der Zeit. Und ganz bezeichnend, daß gerade das Wort ,Herr', wie Sie schon hervorznheben die Güte hatten, so gut wie abgeschafft ist. »Herr' ist Unsinn geworden, »HerU paßt den Herren nicht mehr, — ich meine natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber es ist auch danach. Alle diese Neuerungen, an denen sich leider auch der Staat beteiligt, was sind sie? Begünstigungen der Unbotmäßigkeit, also Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und niemand da, der Lust und Kraft hätte, dies Wasser abzustellen. Aber trotzdem, Herr von Stechlin, — ich würde nicht widersprechen, wenn mich das Tatsächliche nicht dazu zwänge — trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie, gerade hier in unsrer Einsamkeit. Und
dabei das beständige Schwanken der Kurse. Nament- ! lieh auch in der Mühlen- und Brettschneidebranche..." !
„Versteht sich, lieber Gundermann. 'Was ich da gesagt habe. . . Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte, wäre es ebenso richtig. Der Teufel is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht, und wir auch nicht. Schließlich ist es doch was Großes, diese Naturwissenschaften, dieser elektrische Strom, tipp, tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt nichts daran), so könnten wir den Kaiser von China wissen lassen, daß wir ! hier versammelt sind und seiner gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit ! und Stunde. Beinahe komisch. Als Anno siebzig die ^ Pariser Septemberrevolution ausbrach, wußte man's in ! Amerika drüben um ein paar Stunden früher, als ^ die Revolution überhaupt da war. Ich sagte: Septemberrevolution. Es kann aber auch 'ne andre ^ gewesen sein; sie haben da so viele, daß man sie leicht verwechselt. Eine war im Juni, 'ne andre ^ war im Juli, — wer nich ein Bombengedächtnis ^ hat, muß da notwendig 'reinfallen. . . Engelke, Prä- ^ sentiere der gnäd'gen Frau den Fisch noch mal. ^ Und vielleicht nimmt auch Herr von Ezako..." ^
„Gewiß, Herr von Stechlin," sagte Ezako. „Erst- ^ lich aus reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder Fortschrittsbedürfnis. Dian will doch an dem, was gerade gilt oder überhaupt Mensch- ^ heitsentwicklung bedeutet, auch seinerseits teilnehmen, und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan. Fische sollen außerdem viel Phosphor enthalten, und Phosphor, so heißt es, macht »Helle'."
„Gewiß," kicherte Frau von Gundermann, die sich bei dem Wort „Helle" wie persönlich getroffen fühlte. „Phosphor war ja auch schon, eh' die Schwedischen aufkamen." I
„O, lange vorher," bestätigte Ezako. „Was mich ^ aber," fuhr er, sich an Dubslav wendend, fort, „an ! diesen Karpfen ganz besonders fesselt — beiläufig ! ein Prachtexemplar — ist das, daß er doch höchst- ! wahrscheinlich aus Ihrem berühmten See stammt, über den ich durch Woldemar, Ihren Herrn Sohn, , bereits unterrichtet bin. Dieser merkwürdige See, ^ dieser Stechlin! Und da frag' ich mich denn un- ! willkürlich (denn Karpfen werden alt; daher beispiels- ^ weise die Mooskarpfen), welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden Exemplar seiner Gattung ^ wohl schon vorüber gegangen? Ich weiß nicht, ob ich ihn ans hnndertfünszig Jahre taxieren darf, wenn aber, so würde er als Jüngling die Lissaboner ^ Aktion und als Urgreis den neuerlichen Ausbruch des Krakatowa mitgemacht haben. Und all das er- , wogen, drängt sich mir die Frage aus..."
Dubslav lächelte zustimmend.
„. . . Und all das erwogen, drängt sich mir die ! Frage aus, wenn's nun in Ihrem Stechlin zu bro- ^ deln beginnt oder gar die große Trichterbildung ! anhebt, aus der dann, wenn ich recht gehört habe, ^ der krähende Hahn anssteigt, wie verhält sich da der Stechlinkarpsen, dieser doch offenbar Nächstbeteiligte, bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse? Beneidet er den Hahn, dem es vergönnt ist, in die Nuppiner Lande hineinzukrähen, oder ist er umgekehrt ein Feigling, der sich in seinem Moorgrund verkriecht, also ein Bourgeois, der am andern Morgen fragt: »Schießen sie noch?'"
„Mein lieber Herr von Ezako, die Beantwortung Ihrer Frage hat selbst für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten. Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist. Und zu dem innerlichsten und verschlossensten zählt der Karpfen; er ist nämlich sehr dumm. Aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird er sich beim Eintreten der großen Eruption wohl verkrochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht znzustimmen, denn Sie sind noch im Dienst."
„Bitte, bitte," sagte Ezako.
Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder außerdienstlich aufs Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe geborenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zu gute
kommende Betrachtungen zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor Lorenzen an- geknüpsten Zwiegespräch seinem Lieblingsthema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwischen- srage den Faden abschnitt, in die Lage gekommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Erfahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm eine gute Gesprächs- anknüpfung und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförster nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde, — sein früherer Feldjägerberuf habe ihn in die weite Welt hinausgesührt, während er jetzt stabiliert sei. „Stabilität" zählte zu Rex' Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz, den er sich — er hatte diese Dinge zu bearbeiten gehabt — aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur von oft unausreichender Orientierungsfähigkeit, fand sich in des Ministerial- assessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hellhörige, mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in der durch Nex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. „Ich glaube heranszuhören," sagte Lorenzen, „daß Herr von Rex geneigt ist, dem Leben draußen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft den Vorzug zu geben. Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen können, ich nun schon gewiß nicht; aber auch unser Herr Oberförster wird mutmaßlich froh sein, seine vordem im Eisenlahnconpo verbrachten Feldjägertage hinter sich zu haben. Es heißt freilich ,im engen Kreis verengert sich der Sinn', und in den meisten Fällen mag es zutreffen. Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde bestimmte große Vorzüge."
„Sie sprechen mir durchaus aus der Seele, Herr Pastor Lorenzen," sagte Nex. „Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der »Globetrotter" mein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem »Anch-draußen-zn-Hause-sein- auf sich, und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plai- dieren, so plaidieren Sie wohl in eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster aus der Welt zurückgezogen hat, so auch Sie. Sie sind beide darin einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, daß meine persönliche Neigung dieselben Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, die von einein solchen Sichzurückziehen ans der Welt nichts wissen wollen, die vielleicht umgekehrt, statt im Leben mit dem einzelnen, in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden und in der Hingabe daran ihre Kräfte wachsen fühlen. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen zu dürfen. Sie stehen in der christlich-sozialen Bewegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht nahe steht: er und sein Thun sprechen für mich; sein Feld ist nicht einzelne Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, sondern eine Weltstadt. Stöckers Auftreten und seine Mission sind eine Widerlegung davon, daß das Schaffen in: Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere sein müsse."
Lorenzen war daran gewöhnt, sei's zu Lob, sei's zu Tadel, sich mit dem ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele gestellt zu sehen, und empfand dies jedesmal als eine Huldigung. Aber zugleich empfand er dabei den tiefen Unterschied, der zwischen dem großen Agitator und seiner stillen Weise lag. „Ich glaube, Herr von Nex," nahm er das Wort, „daß Sie den »Vater der Berliner Bewegung' sehr richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur Zufriedenheit des Geschilderten selbst, was, wie man sagt, nicht eben leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht anscheinend in einem Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel geschlagen und sieht sich geliebt und gehuldigt, nicht nur seitens derer, denen er mildthätig die Schuhe schneidet, sondern er ist ebenso gelitten (und fast noch mehr) bei jenen, denen er das Leder zu den Schuhen nimmt. Er hat schon so viele Beinamen, und der des heiligen Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben, die sein Thun