Heft 
(1898) 02
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im guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag ist nahe, wo der so Ruhige und zugleich so Mutige, der seine Ziele so weit steckte, sich in die Enge des Daseins zurücksehnen wird. Er besitzt, wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgendwo in Franken, und wohl möglich, ja, mir persönlich geradezu wahrscheinlich, daß ihm an jener stillen Stelle früher oder später ein echteres Glück erblüht, als er jetzt hat. Es heißt wohl, ,Gehet hin und lehret alle Heiden', aber schöner ist es doch, wenn die Welt, uns suchend, an uns herankommt. Und die Welt kommt schon, wenn die richtige Per­sönlichkeit sich ihr ansthut. Da ist dieser Wöris- hofener Pfarrer er sucht nicht die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie kommen, so heilt er sie, heilt sie mit dem Einfachsten und Natür­lichsten. Uebertragen Sie das vom Aeußern aufs Innere, so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen graben just an der armen kleinen Stelle, wo man gerade steht. Innere Mission und zwar in nächster Nähe, sei's mit dem Alten, sei's mit etwas Neuem."

Also mit dem Neuen," sagte Woldemar und reichte seinem alten Lehrer die Hand.

Aber dieser antwortete:Nicht so ganz un­bedingt. Mit dem Alten, soweit es geht, mit dem Neuen, soweit es muß."

Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloß Stechlin war und jedesmal die Be­wunderung seiner Gäste: losgelöste Krammetsvögel- brüste, mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichteh die, wenn die Herbst- und Ebereschentage dawaren, als eine höhere Form von Schwarzsaner auf den Tisch zu kommen pflegten. Engelke präsentierte Burgunder I dazu, der schon lange lag, noch aus alten besseren ! Tagen her, und als jeder davon genommen, erhob ! sich Dubslav, um erst kurz seine lieben Gäste zu ! begrüßen, dann aber die Damen leben zu lassen. > Er- müsse bei diesem Plural bleiben, trotzdem die ^ Damenwelt nur in einer Einheit vertreten sei; aber ! er gedenke neben seiner lieben Freundin und Tisch- ! Nachbarin (er küßte dieser dabei die Hand) zugleich ^ derGemahlin" seines Freundes Katzler, die leider ! wenn auch vom Familienstandpunkt aus in hoch- ^ erfreulichster Veranlassung am Erscheinen in ihrer ^ Mitte verhindert sei:Meine Herren, Frau Ober- ^ sörster Katzler" er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er eine weitere Titulatur ernsthaft in ! Erwägung zögeFrau Oberförster Katzler und Frau von Gundermann, sie leben hoch!" Rex, Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau von > Gundermann anzustoßen, als aber jeder von ihnen > auf seinen Platz zurückgekehrt war, nahmen sie die ! durch den Toast unterbrochene Unterhaltung wieder ^ aus, wobei Dubslav als guter Wirt sich darauf be­schränkte, kurze Bemerkungen nach links und rechts hin einzustreuen. Dies war indessen nicht immer leicht, am wenigsten leicht bei dem Gespräch, das , der Hauptmann und Frau von Gundermann führten, und das so pausenlos verlies, daß ein Einhaken ^ sich kaum ermöglichte. Czako war ein guter Sprecher, ! aber er verschwand neben seiner Partnerin. Ihres ^ Vaters Laufbahn, der es ursprünglich Schreib­und Zeichenlehrer in langen, mit Anno 1813 be- ! ginnenden Dienstjahren bis zum Hauptmann in der Plankammer" gebracht hatte, gab ihr in ihren Augen eine gewisse militärische Zugehörigkeit, und als sie, ^ nach mehrmaligem Auslugen, endlich den ihr wohl- bekannten Namenszug des Regiments Alexander aus Czakos Achselklappe erkannt hatte, sagte sie: Gott. .., Alexander. Nein, ich sage. Mir war aber doch auch gleich so. Münzstraße. Wir wohnten ja Linienstraße, Ecke der Weinmeister das heißt, als ich meinen Mann kennen lernte. Vorher draußen, Schönhauser Allee. Wenn man so wen aus seiner Gegend wieder sieht! Ich bin ganz glücklich, Herr Hauptmann. Ach, es ist zu traurig hier. Und wenn wir nicht den Herrn von Stechlin hätten, so hätten wir so gut wie gar nichts. Mit Katzlers," aber dies flüsterte sie nur leise,mit Katzlers ist es nichts; die sind zu hoch 'raus. Da muß man sich denn klein machen. Und so toll ist es am Ende ! auch nicht. Jetzt passen sie noch. Aber abwarten."

Sehr wahr, sehr wahr," sagte Czako, der, ohne > was Sicheres zu verstehen, nur ein während des ! Dubslavschen Toastes schon gehabtes Gefühl bestätigt j

Ueber Land und Meer.

sah, daß es mit den Katzlers was Besonderes aus sich ^ haben müsse.Ja," fuhr Frau von Gundermann, ^ den Flüsterton ausgebend, fort,wir haben den Herrn von Stechlin, und das ist ein Glück, und es ist auch bloß eine gute halbe Meile. Die meisten andern ^ wohnen viel zu weit, und wenn sie auch näher wohnten, sie wollen alle nicht recht; die Leute hier, ? mit denen wir eigentlich Umgang haben müßten, sind so difficil und legen alles auf die Goldwage. ! Das heißt, vieles legen sie nicht aus die Goldwage, ! dazu reicht es nicht; nur immer die Ahnen. Und sechzehn ist das wenigste. Ja, wer hat gleich sech­zehn? Gundermann ist erst geadelt, und wenn er nicht Glück gehabt hätte, so wär' es gar nichts. Er hat nämlich klein angefangen, bloß mit einer j Mühle; jetzt haben wir nun freilich sieben, immer den Rhin entlang, lauter Schneidemühlen, Bohlen und Bretter, einzöllig, zweizöllig und noch mehr. Und die Berliner Dielen, die sind fast alle von uns."

Aber, meine gnädigste Frau, das muß Ihnen doch ein Hochgefühl geben. Alle Berliner Dielen! Und dieser Rhinfluß, von dem Sie sprechen, der viel­leicht eine ganze Seenkette verbindet, und woran mutmaßlich eine reizende Villa liegt! Und darin hören Sie Tag und Nacht, wie nebenan in der Mühle die Säge geht, und die dicht herumstehenden Bäume bewegen)sich leise. Mitunter natürlich ist auch ein Sturm. Und Sie haben eine Pony-Equi- page für Ihre Kinder. Ich darf doch annehmen, daß Sie Kinder haben? Wenn man so'abgeschieden lebt und so beständig aufeinander angewiesen ist..."

Es ist, wie Sie sagen, Herr Hauptmann; ich habe Kinder, aber schon erwachsen, beinah alle, denn ich habe mich jung verheiratet. Ja, Herr von Czako, man ist auch einmal jung gewesen. Und es ist ein Glück, daß ich die Kinder habe. Sonst ist kein Mensch da, mit dem man ein gebildetes Ge­spräch führen kann. Mein Mann hat seine Politik und möchte sich wählen lassen, aber es wird nichts, und wenn ich die Journale bringe, nicht mal die Bilder sieht er sich an. Und die Geschichten, sagt er, seien bloß dummes Zeug und bloß Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Seine Mühlen, was ich übrigens recht und billig finde, sind ihm lieber."

Aber Sie müssen doch viele Menschen um sich herum haben, schon in Ihrer Wirtschaft."

Ja, die Hab' ich, und die Mamsells, die man so kriegt, ja, ein paar Wochen geht es; aber dann bändeln sie gleich an, am liebsten mit 'nem Volontär, wir haben nämlich auch Volontärs in der Mühlen­branche. Und die meisten sind aus gauz gutem Hause. Die jungen Menschen passen aber nicht auf, und da hat man's denn, und immer gleich Knall und Fall. All' das ist doch traurig, und mitunter ist es auch so, daß man sich eigentlich schämen muß."

Czako seufzte.Mir ein Greuel, all dergleichen. Aber ich weiß vom Manöver her, was alles vor­kommt. Und mit einer Schläue. . . nichts schlauer, als verliebte Menschen. Ach, das ist ein Kapitel, womit man nicht fertig wird. Aber Sie sagten Linienstraße, meine Gnädigste. Welche Nummer denn? Ich kenne da beinah jedes Haus, kleiue, nette Häuser, immer bloß Bel-Etage, höchstens mal ein Oeil de Boeus."

Wie?"

Großes rundes Fenster ohne Glas. Aber ich liebe diese Häuser."

Ja, das kann ich auch von mir sagen, und in gerade solchen Häusern Hab' ich meine beste Zeit verbracht, als ich noch ein Quack war, höchstens vierzehn. Und so grausam wild. Damals waren nämlich noch die Rinnsteine, und wenn es dann regnete und alles überschwemmt war und die Bretter anfingen, sich zu heben, und schon so halb herum- schwammeu, und die Ratten, die da drunter steckten, nicht mehr wußten, wo sie hin sollten, dann sprangen wir auf die Bohlen raus, und nun die Biester 'raus, links und rechts, und die JungenS hinterher, immer ausgekrempelt und ganz nackigt. Und einmal, weil der eine Junge nicht abließ und mit seinen Holz­pantinen immer draus losschlug, da wurde das Un­tier falsch und biß den Jungen so, daß er schrie! Nein, so Hab' ich noch keinen Menschen wieder schreien hören. Und es war auch fürchterlich."

Ja, das ist es. Und da helfeu bloß Ratten­fänger."

Ja, Rattenfänger, davon Hab' ich auch gehört Rattenfänger von Hameln. Aber die giebt es nicht mehr."

Nein, gnädige Frau, die giebt es nicht mehr, wenigstens nicht mehr solche Hexenmeister mit Zauber­spruch und Pfeife. Aber die meine ich auch nicht. Ich meine überhaupt nicht Menschen, die dergleichen von Metier sind und sich in den Zeitungen anzeigen, unheimliche Gesichter mit einer Pelzkappe. Was ich meine, sind bloß Pinscher, die nebenher auch noch Mattensänger' heißen und es auch wirklich sind. Und mit einem Rattenfänger aus die Jagd gehen, das ist eigentlich das Schönste, was es giebt."

Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die Jagd gehen!"

Doch, doch, meine gnädigste Frau. Als ich in Paris war (ich war da nämlich mal hinkommandiert), da bin ich mit 'runtergestiegen in die sogenannten Katakomben, hochgewölbte Kanäle, die sich unter der Erde hinzieheu. Und diese Kanäle sind das wahre Ratteneldorado; da sind sie zu Millionen. Oben drei Millionen Franzosen, unten drei Millionen Ratten. Und einmal, wie gesagt, bin ich da mit 'runtergeklettert und in einen: Boote durch diese Unter­welt hingefahren, immer mitten in die Ratten hinein."

Gräßlich, gräßlich. Und sind Sie heil wieder 'raus gekommen?"

Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigste Frau, eigentlich war es doch ein Vergnügen. In unserm Kahn hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger, einen vorn und einen hinten. Und nun hätten Sie sehen sollen, wie das losging. ,Schnapp', und das Tier um die Ohren geschlagen, und tot war es. Und so weiter, so schnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch schneller. Ich kann es nur ver­gleichen mit Mr. Carver, dein bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal gelesen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln wegschoß. Und so immerzu, viele Hundert. Ja, so was wie diese Nattenjagd da unten, das vergißt man nicht wieder. Es war aber auch das Beste da. Denn was sonst noch von Paris geredet wird, das ist alles über­trieben; meist dummes Zeug. Was haben sie denn Großes? Opern und Cirkus und Museum, und in einem Saal 'ne Venus, die man sich nicht recht ansieht, weil sie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen da ist. Und das alles haben wir schließlich auch, und manches haben wir noch besser. So zum Beispiel Niemann und die dell' Era. Aber solche Rattenschlacht, das muß wahr sein, die haben wir nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben."

Der alte Dubslav, der das WortKatakomben" gehört hatte, wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte:Pardon, Herr von Czako, aber Sie müssen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so furchtbar ernsten Sachen kommen und noch dazu hier bei Tisch, sogleich nach Karpfen und Meerrettich. Katakomben! Ich bitte Sie. Die waren ja doch eigentlich in Rom und erinnern einen immer an die traurigsten Zeiten, an den grausamen Kaiser- Nero und seine Versolguugen und seine Fackeln. Und da war dann noch einer mit einem etwas längeren Namen, der noch viel grausamer war, und da verkrochen sich diese armen Christen gerade in eben diese Katakomben, und manche wurden verraten und gemordet. Nein, Herr von Czako, da lieber was Heiteres. Nicht wahr, meine liebe Frau von Gundermann?"

Ach nein, Herr von Stechlin; es ist doch alles so sehr gelehrig. Und wenn man so selten Gelegen­heit hat."

Na, wie Sie wollen. Ich Hab' es gut gemeint. Stoßen wir an! Ihr Rudolf soll leben; das ist doch der Liebling, trotzdem er der älteste ist. Wie alt ist er denn jetzt?"

.Vierundzwanzig."

Ein schönes Alter. Und wie ich höre, ein guter Mensch. Er müßte nur mehr 'raus. Er versauert hier ein bißchen."

Sag' ich ihm auch. Aber er will nicht fort. Er sagt, zu Hause sei es am besten."

Bravo. Da nehm' ich alles zurück. Lassen Sie ihn. Zu Hause ist es wirklich am besten. Und gerade wir hier, die wir den Vorzug haben, in der Rheinsberger Gegend zu leben. Ja, wo ist so was? Erst der große König, und dann Prinz Heinrich,