Heft 
(1898) 02
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Zu einer der merkwürdigsten Stellen dieser Art führe ich den geneigten Leser durch eine der Abbildungen.

Das Kloster, in dem sich dieser Platz befindet, hat historische Bedeutung, denn hier verbarg sich am Schluß des vorigen Jahrhunderts der letzte unabhängige Rajah von Benares auf der Flucht vor Warren Hastings, dem stahlharten Draufgänger, der mit einigen Dutzend vorzüglich bewaffneter englischer Abenteurer diesen unermeßlich reichen, weichherzigen Hmdusürsten aus seinem Palaste vertrieb.

Hier, inmitten dieser Schiwa-Jdole, dieser alten steinernen Lingamsänlen, die er so oft andächtig mit Gangeswasser, mit Milch und geschmolzener Butter begossen hatte wie es jetzt eben die mit heiliger Knhdüngerasche bestäubten Jogis (Büßer) thnn, deren nie beschnittene Haare bis zu den Füßen hängen inmitten all dieser Lingams, die er so oft mit Jasminblüten bekränzt hatte, fühlte der fromme Hindufürst sich sicher; er wußte, daß selbst ein Warren Hastings nicht wagen durste, dem Verbot der Brahminen trotzend, dieses Heiligtum zu betreten.

In diesen:Norm" bringen diejenigen Brahminen zwölf Tage mit Verehrung des Lingam-Jdols zu, die von Benares als Sanyassis hinausziehen wollen, alsLeute, die frei­willig alles hinter sich gelassen haben", ihren weltlichen Besitz und alles, was das Leben schmückt, um unter einem abgelegenen heiligen Banynnbaum, in einer einsamen Schlucht ihre Tage als entsagungsvolle Klausner zu beschließen. Rechts an der Seite sitzt einer von diesen Sanyassis. Einst im Vollbesitz aller Glücksgüter schwelgend, wandern sie von hier­aus in die Einsamkeit, nur mit einem baumwollenen Tuche bekleidet, eine Kette von Fruchtkernen nur den Hals, an der sie ihre Puranastrophen zählen, ans der Schulter ein Antilopenfell zum Nachtlager, in der Hand die Bettlerschale, dieLola", ans der sie auch beim Baden das Wasser an­dächtig über Kopf und Schultern gießen. Ein stützender Stab ist den Angehörigen dieser Sekte jedoch nicht vor dem sechzigsten Jahre erlaubt.

Nicht allein in so kritischen Zeiten schwerster Heimsuchung,

besuchen? Freilich erfordert der Anblick feste Nerven, beson­ders zu Zeiten verheerender Epidemien, wo hier täglich Hunderte den Flammen übergeben werden.

vorüber, die ans morschen Tempelhallen und Palasthöfen das Flußbett hinnnterleiten. Jetzt, am Nachmittage, liegen diese Marmor- und Sandsteinstufen verödet, ans denen bei

Gehen von Badenden wogt. Hie und da hocken unter riesigen Sonnenschirmen aus Bambnsgeflecht ein paar nackte Jogis, blödsinnig geworden durch unablässiges Jn-die-Sonne-starren oder ähnliche Bnßübnngen.

Dort aber, unweit des schimmernden Palastes des Rajah von Nagpur der gleich allen brahminischen Rajahs sein eignes Badeghat am Ganges besitzt dort herrscht ge­schäftiges Treiben. Rauchwolken qualmen empor und tragen die furchtbaren Düste verbrannten Fleisches, versengter Haare und Knochen zu uns herüber.

Wir lassen die Fährleute die Ruder in den Strom stemmen und photographieren vom Schiffsbord die User- seene. Wo sind unsre fast weihevollen Vorstellungen geblieben, die wir von dem indischen Scheiterhaufen hegten, entsprechend den phantasievollen Malereien, die ihn so oft als das hehre gemeinsame Flammengrab des Hindu und seiner ihm freiwillig folgenden Witwe verherrlichten?

Zahlreiche Steinplatten und Obelisken erinnern an jene Sattis", die bis zum Jahre 1880 hier mit den toten Gatten verbrannt wurden aber wie oft wurde wohl derenFrei­willigkeit" durch Niederdrücken mittels Stricken nnd Hebebänmen befördert, während gellende Muschelhörner und rasender Trommellärm den Hilferuf der Unglücklichen übertönte!

Da, stehen am lehmigen Gangesufer vier niedrige Holz­stöße, in denen bereits die Leichname verpackt sind.. Wir sehen die Zipfel der Leichentücher an den Fußenden der Scheiterhansen hervorhüngen. Einige Dhums, Parias niederster Sorte, sind beschäftigt, trockenes Stroh zwischen die Holzscheite zu stecken und mit geschmolzener Butter zu begießen, damit der Holzstoß Feuer sängt, sobald ihn der nächste männliche Anverwandte des Verstorbenen mit seiner Fackel aus wohlriechendem Sandelholz berührt

Ungewöhnlich, für unser Gefühl sogar verletzend, ist alles, was mit dein sterbenden Hindu geschieht. Stirbt er innerhalb seines Hauses, so wird er, in ein weißes oder gelbes, rotgesprenkeltes Laken gewickelt, auf einer rohen Bahre aus dem Hanse getragen aber nicht durch die

Weber Land und Meer.

! Thür, sondern durch ein in die Wand geschlagenes und dann I schnell zugemanertes Loch, damit die abgeschiedene Seele ^ keinen Rückweg zu den Hinterbliebenen finde und sie nicht beunruhige.

In eiligem Trabe schleppen die Träger, beständigSat Hai, sat Hai" keuchend, die Leiche an das Gangesufer, wo sie einige Zeit so niedergelegt wird, daß sie von den Wellen des Stromes bespült und von der Sonne beschienen werden kann, wie dies ans einer unsrer Abbildungen ersichtlich ist. Daß gerade diese heiligen Wellen Seuchen schnell weiter­verbreiten, ahnt der Hindi: nicht.

Verscbied der Kranke aber in unmittelbarer Nähe dieses

auf die erbleichenden Lippen gedrückt, dann wird der Ver­storbene ans die Bahre gelegt, diese in das Gangeswaffer getaucht und schließlich zwischen die Holzknüttel oder ge­dörrten Kuhdüngerscheiben des Scheiterhaufens verpackt. Einige schiwaltischen Sekten beobachten den furchtbaren Brauch, zuvor eiue Kokosnuß auf dem Schädel des Toten zu zerschlagen, der dann von dem Safte überströmt wird.

Der Holzstoß links steht bereits in vollen Flammen; wo aber weilt der Leidtragende, der sie entfachte? Dort kauert er gelassen links oberhalb des Scheiterhaufens

! Hindnsitte ein Barbier die Haare spiegelblank vom Kops schert. Hat er ans diese Weise seinem Verlust Ausdruck gegeben, so schmaucht er mit den andern Verwandten eine gemeinschaftliche, mit Opium gefüllte Hnka-Wasserpfeife, bis der Holzstoß heruutergebraunt ist dann sammeln die Hinterbliebenen die nicht völlig verbrannten Gebeine, be­gießen sie mit Milch und geschmolzener Butter und versenken sie schließlich in einem Thonkrug in den Ganges.

Doch lassen wir die Toten ruhen! Wir rudern ans Land; unser Wagen raffelt durch die engen Bazargassen. Wohl bergen die winzigen Läden oder, richtiger, die darin anfgespeicherten Truhen die fesselndste Augenweide.- duftige Brokatstoffe, wie für Elfen geschaffen, Stickereien wie für das Hochzeitsgewand einer Feenkönigin, kaum zu , überschätzende Schmncksachen würde der Händler aus den unscheinbaren Kisten und Küsten ans unfern Wink ent­hüllen doch heute müssen wir eilen. Unsrer harrt eii: nicht alltägliches Schauspiel. Wir sind vom Intendanten der Gefängnisse zur Besichtigung derselben eingeladen; zwei riesige Zuchthäuser lehren den aus ganz Indien in Benares zusammenströmenden Hindu die Achtung vor den englischen Gesetzen: das Central-Jail und Distrikt-Jail.

Voll besetzt sind die langen Hallen in den von radialen Mauern durchzogenen kreisrunden Höfen, mit deren Hilfe

Händen weniger Europäer, die Aufsicht wird durch Sträf­linge von guter Führung bewirkt.

An der Töpferscheibe oder am Kochherd, an: Fürbertrog oder an: Schmiedefener müssen die Gefangenen arbeiten, je nach ihrer Kaste. In der langen Halle dort hocken die Teppichwirker, die nach uralter Weise ihre Decken weben, natürlich, wie bei allen Handarbeiten in Indien, unter Zuhilfenahme der Füße. Mit den großen Zehen wird der Schußfaden hin und her gezogen, während die Hände das Pocheisen regieren.

das Kastenvorrecht der einflußreichen Brahminen zu wahren, selbst hier im Gefängnis zn Tage. Nicht allein, daß die eingesperrten Brahminen bei ihrer Arbeit hübsch unter sich bleiben dürfen, selbst das Essen erhalten diese Herren aus einem Extrakessel, in dem nur Köche hernmrühren dürfen, die gleichfalls die heilige Schnur der Brahminen aus der Schnlter tragen. Hat aber gar ein Spitzbube oder sonstiger Verbrecher, der der Brahminenkaste angehört, die in den in­dischen Gefängnissen seit einigen Jahren wieder eingeführte Prügelstrafe verwirkt, so wird ihm die neunschwünzige Katze nur von einem Mitgefangenen aus gleich hoher Kaste ver­abreicht.

Jammergeheul eines derart Gepeitschten dringt an unser Ohr, wir wollen dem Schalle nachgehen Da plötzlich öffnet sich klirrend vor uns eine Kerkerthür, heraus tritt eii: Sträfling, Todesgrauen in den energischen Zügen. Ein in: Kriege gegen Birma gefangener Häuptling jetzt ein verlorener Mann, der seinen letzten Gang antritt. Er hat sich gegen einen ihn peinigenden Aufseher zur Wehr- gesetzt und ihn mit den Eisenstangen niedergeschlagen, die er von seinen gefesselten Fußknöcheln riß ein todes­würdiges Verbreche::!

So stürmt ein erschütternder Eindruck nach dem andern

Umschau Zu halten. Nur widerstrebend wird'uns auch das Frauengefängnis geöffnet, zunächst die Kornmühle Welches ^ Knirschen, Knarren, Rauschen der wuchtigen Mühlsteine! , Zwei Frauen ergreifen die Handhabe des oberen Steines !

auf dem unteren, größeren Steine herum. !

An Stahlringen tragen diese Weiber hölzerne Klötze um ! den Hals, auf denen ihre Sünden und die Tauer ihrer ! Kerkerstrase zu lesen sind; in weiße Tücher sind dieleich- i teren", in orangegelbe die bösartigeren Verbrecherinnen ^ gekleidet. Diese letzteren werden mit den: nächsten Transport außer Landes, auf die Andamanen-Jnseln, geschafft. >

In dem angrenzenden Spinnhaus erregt eiue derartige Orangedame unsre Aufmerksamkeit. Morgen soll sie wegen der Ermordung ihrer beiden Töchterchen in die Strafkolonie

Wohlthat erwiesen, ihr kleines Söhnchen auf einige Ab­schiedsstunden in ihren Kerker zu lassen. Aberglaube und Kastenzwang haben diese Frau zur Verbrechern gemacht. Ihre Kaste gebot ihr, die Vermählung jener Töchter dereinst mit einem für ihre Mittel ganz unerschwinglichen Aufwand

Bilde des elefantenköpfigen Ehegottes Ganesch in einen:

, Kessel mit siedender Milch zum Opfer brächte, denn zum ! Lohne würde sie diese beiden Kinder nochmals als Knaben i gebären. Hohe Geldsummen mußten in früheren Zeiten den Brahminen erlegt werden, damit sie in solcher Weise den unerwünschten Mädchenbestand vermindern halsen!

! Flüchten wir uns aus diesen Zellen des Lasters und ! des Elends hinaus ins Freie! Wie kühlt hier draußen das ^ milde Grün der im Abendwind wogenden Mohnfelder unsre Augen, die noch von den sonnendurchglühten, lehmgelbe::

. Kerkermauern geblendet sind!

Die Wohnkultur, die Opiumfabrikation, hat zwischen ! Benares und Ghazipur ihren Hanptsitz. Unser Bild zeigt eine Hindnfrau, beschäftigt, die grünen Mohnköpfe mit einem Messer aus fünf schmalen znsammengebnndenen Eisenklingen einzuschneiden, während der in: Felde kauernde Alaun den herausperlenden Safk mit einer kleinen Eisenkelle znsammen-

dem kostbaren Opinmsaft veruntreut wird; selbst die Wasch- ! wasser der zun: Pressen der Opinmknchen dienenden Holz- ! formen werden eingedampst, um die darin etwa gelösten ! Opiate zu gewinnen.

^ Inzwischen ist es Abendessenszeit geworden. Das Rast- ! Haus für europäische Reisende, der Dak-Bnngalow, ist leid- ^ lich behaglich; der Koch hat ein delikates Huhn mit Reis ! gekocht, er hat es sogar auf mein ausdrückliches Bitten nicht ^ lebendig gerupft, obgleich ihn: das sonst unendliche:: Spaß ! bereitet, was will man mehr? Mit innigem Ergötzen denke ich überdies gerade an diesen Abend in: Dak-Bungaloiv ! an Benares zurück. Ich hatte nämlich bei meinen mittels Magnesiumblitzlicht erzielten Aufnahmen in den düsteren ! Gefüngnishallen noch eine unbenutzte Platte übrig behalten. Wie wür's, sagte ich mir, wenn ich damit zum Tagesschluß die mich bedienenden Indier meuchlings anfnähme? Die braunen Burschen hatten mich durch ihre Weigerung, mir zu einem Bilde zu sitzen, ein wenig verdrossen, sie beriefen sich als Moslemin kaltlächelnd ans Mohammeds Verbot des menschlichen Abbilds. Nebenbei bemerkt, sind die bei Tisch auswartenden Diener stets mohammedanische Hindu brah- minische würden schwerlich zu bewegen sein, ihren: Sahib ein saftiges Filet-Beefsteak oder ein ähnliches Gericht vomhei­ligen" Rind ans die Tafel zu stellen.

Das Kunststück reizte mich. Flugs verbarg ich, während die Diener die Mahlzeit anrichleten, den photographischen Apparat und die Blitzpatronen zwischen meinem Berg von Koffern und Kisten, stellte Tisch und Stuhl auf der Matt-

der andre aber war bei der Entladung zu Boden gestürzt und lag winselnd aus der Nase Auf dem Tisch aber blieb alles so schön und ruhig stehen, wie ich es vorbereitet hatte: meinHimalaya-Album", in dem ich einige Ergebnisse meiner Hiinalaya-Besteiguugen verewigt habe, und davor das schelmisch lächelnde Bildnis meiner Frau, das sie mir stets als Memento in das Land der schokoladefarbigen Bajaderen mitzugeben pflegt. -

Sprüche.

Von

A. Stier.

Wohl jeden:, der, wenn der Tag sich erneut,

Ein Etwas hat, darauf er sich freut:

Des erwachenden Kindes Morgenkuß,

Von fernen: Freunde Br:ef und Gruß,

Am Rosenstock, den er täglich begießt,

Die erste Knospe, die sich erschließt;

Solch kleines Glück am frühen Morgen Vergoldet selbst einen Tag voller Sorgen.

Wer allzuviel von seinenRechten" spricht,

Nimmt's meist nicht allzuschwer mit seiner Pflicht.

Wo der Mund zu groß geraten,

Fehlt's der Hand an Kraft zu Thaten.

Wer sich scheut vor den rauhen Wegen,

Den: kommt die Gefahr auf den glatten entgegen.