34
Ke 6er Land nnd Meer.
M 2
Kim Kimlllerftlnt ngch MWcii.
Humoristische Erzählung
Krrr:L Gckbetvg.
ii.
^^ottlob, meine Konzerttoilette war fertig und meine Schneiderin soeben mit einem Seufzer der Erleichterung entlassen, als Mecerino mit der Tristanpartitur erschien.
„Wo ist Spätzchen?" fragte er nach kurzem Gruß und schleuderte seinen weichen Sommerhut auf den ersten besten Stuhl. Er duftete diskret nach Alkohol.
„Sie wird wohl gleich kommen."
„I wo, die hat sich versteckt."
Damit ging er schnurstracks nach dem Alkoven, um die Vorhänge zurückzuziehen.
„Halt, Mecerino! Was füllt Ihnen ein! Sie haben wohl eben bei Hansen gesrühstückt?"
„Mit Bolle. Steinberger Kabinett."
Sein Interesse war aber nur aus die Spatz gerichtet.
„Wie lange wollen Sie eigentlich noch Vogel Strauß spielen?" rief er nach dem Alkoven hin.
„Sie ist nicht da," lächelte ich.
„Halten Sie mich doch nicht für so dumm," sagte er verächtlich. „Sie lief doch vor mir die Treppe hinauf."
„Nicht möglich."
„Jawohl; ich traf sie auf der Straße. Sogar die ersten Stufen bin ich mit ihr herausgegangen. Sie stöhnte über die Hitze. Bei jeder Bewegung klappte sie zusammen . . . Na, da wollt' ich ihr behilflich sein," er lächelte vielsagend, „und wuppdich, hastenichgesehen, lange Nase und wie 'n Wiesel die Treppe 'rauf! Wenn ich nicht gestolpert wäre, hätt' ich sie eingeholt. Natürlich steckt sie irgendwo hinter dem Vorhang oder gar unter Ihrer Bettdecke. So was Dummes!"
Nachlässig zog er die Noten unter dem linken Arm hervor und stellte sie aufs Klavier.
„So kommen Sie doch endlich Zum Vorschein, Sie kleine Hexe! Wir können ja ohne Sie nichts anfangen!"
Da klingelte es stürmisch, und herein schoß wie eine Pistolenkugel die Spatz.
In ihrem bräunlichen Alltagskleide hatte sie wirklich Aehnlichkeit mit ihrem gefiederten Namensbruder: kurze gekräuselte Haare und ein behender Schnabel.
„Puh, puh! Wie heute die Sonne sticht!"
Sie riß sich das kleine Barett vom Kopfe und schlenkerte es am Gummibande fächelnd um ihr Gesicht. Daun that sie, als entdecke sie erst jetzt Mecerino, der, seinen Schnurrbart drehend, am Ofen stand.
„Menschenskind! — Sie schon hier? — Sie sagen ja nicht piep. Ja, ja, wenn man abgefallen ist —
Sie blinzelte ihn schelmisch an.
„Sie waren ein bißchen grob," murrte er, aber seine Lippen kräuselten sich.
„Und Sie dreist."
„Ach was!"
„Wollen Sie das etwa noch bestreiten?"
„Aufs bestimmteste."
„Nun, hören Sie nur, Hagemännchen!"
„Was hat er denn gethan?"
Sie guckte ihn herausfordernd an.
„Ins Ohrläppchen hat er mich —"
Plötzlich stockte sie und wurde dunkelrot.
„Beißen wollen," vollendete er. „Sie hielten's mir ja förmlich hin."
„Da bin ich rasch 'naufgesprungen bis ans den Boden..."
Mecerino, der bei einem Wortscharmützel mit der Spatz immer zu kurz kam, drehte räuspernd den Klaviersessel aus seinen Zenit, hielt die beiden Arme fest darauf gestützt und sagte: „Zum Neben haben Sie heute wohl keine Lust?"
Sie sprang auf, nahm den ihr auf diese Weise angebotenen Platz kokett ein, legte beide Hände über ihre kleinen Ohren und steckte die Nase in die Noten.
Mecerino lachte und murmelte vor sich hin: „Ein allerliebster Fratz!"
Sie riß sich die gezwirnten Handschuhe von den Fingern.
„Die Hitze! Wie 'ne Sülze bin ich, wie 'ne Sülze! — Was — Tristan? — Konnten sich fürs Konzert auch was Ansprechenderes aussuchen! Ein Liebesgezerre, bei dem jeder Vernünftige seekrank wird. — So lassen Sie doch Ihre Hand von den Noten, Mecerino! Sehen Sie — bums! Da liegt der ganze Kladderadatsch auf der Erde! Du meine Güte! Ich dacht's ja. Geben Sie noch ein dickes Heft her, Hagemännchen; Männer haben keine blasse Ahnung von Korrektheit. So, dann könnten mer also ansangen."
Mit diesem beliebten Stichwort nistete sie sich festen Nückes förmlich vor dem Flügel ein. Zwei breite Jetarmbänder klirrten auf die Brüstung des Instruments; es folgten drei schmale Fingerringe, und nun kam das Taschentuch an die Reihe.
Die Manipulation mit dem Taschentuche war eine mit der Spatz engverwachsene Angewohnheit. Wie sich der Spatz den Schnabel wetzt, ehe er Kirschen pickt, so war diese Angewohnheit ein geradezu unentbehrliches Moment bei jeder Kunstleistung des Spätzchens. Unter keinen Umständen begann sie je zu spielen, ohne die Tasten zuvor mit dem Taschentuche abzustäuben und die Hände heftig und nervös damit zu reiben, als ob hierdurch eine dem Spiel notwendige Elektricität entwickelt würde. Und schließlich warf sie das Taschentuch mit Tanzstundengrazie zu der übrigen abgelegten Flügeldekoration. Das war das mimische Präludium ihres Spiels.
Nun ging's los.
Mecerino probte recht gleichgültig nnd heftete sein Hauptinteresse aus Spätzchens rosiges Ohr, in dessen kleinem Zipfel ein echtes Perlchen wie aus pfirsichsarbenem Sammet glänzte.
„Das geht ja famos," sagte er, als wir fertig waren. „Selbst eine Cortagli ist ersetzbar."
Die indirekte Schmeichelei floß mir wU Honigseim ins Herz.
Die Spatz schnurrte sich ans ihrem Klaviersessel blitzschnell zu uns herum.
„Wissen Sie eigentlich, Hagemännchen, was ihn nach Rempen Zieht?"
Wie solche Frage doch überraschen kann! Mecerino hatte mir zwar den Anstoß Zu dieser Konzertfahrt mitgeteilt, aber diese Bemerkung setzte plötzlich ein Fragezeichen dahinter. Ich sagte nicht ja, nicht nein, ich sah nur die Spatz mit jenem Gesichtsausdruck an, den kluge Leute mit nrdumm bezeichnen.
„Mein Gott, Sie wissen's ja," versetzte Mecerino ungeduldig.
„Das, denken Sie, soll ich glauben, daß Sie da nur Ihrem Schulfreunde Cohn zuliebe hingehen? Sie thun doch nie, was Ihre Freunde wollen, sondern Ihre Freunde thun, was Sie wollen; das kennen wir doch von Bolle her. — Plötzlich, Ende Juni, bei Siedehitze nach Rempen! 's ist nicht zu glauben! Wahrhaftig, Mecerino, zuerst Hab' ich gedacht, bei Ihnen rappelt's."
„Mein Gott, im Winter kann man doch nicht nach Rempen fahren!" stieß er aus.
„Warum muß es denn durchaus Rempen sein?"
„Schockschwerenot — es ist doch aber nun einmal Rempen! Und wenn Sie keine Lust hatten, dann hätten Sie's eher sagen müssen!"
Er rannte erregt im Zimmer herum.
„Ei du meine Güte," gab sie trocken zurück, „natürlich komm' ich mit nach Rempen! Ich werde Sie doch nicht allein ins gelobte Land reisen lassen! Da kann man gar nicht wissen —" Sie brach ab und schnurrte wieder in ihre Accompagnements- stellnng zurück. Sie begann zu spielen. . . Das einschmeichelnde „Warum" von Schumann war der Nachklang des kleinen Disputs.
Diese zwei waren ein personifiziertes Lustspiel für mich. Mochten sie sich? Mochten sie sich nicht? Liebten sie sich einseitig? Liebten sie sich wechselseitig? Oder waren all diese kleinen Neckereien und Scharmützel nur der Ausfluß eines originellen Humors?
Ein kurioses Paar!
III.
Die Fahrt nach Rempen war heiß und langweilig.
Bolle hatte uns eingeschifft und uns Damen eine köstliche Bonbonniere mit aus den Weg gegeben.
Mecerino hatte schlecht geschlafen und saß uns gähnend gegenüber. Sprach er, so waren es nur wehmütige Stimmungsseufzer.
Trotzdem erreichten wir noch als leidlich zufriedene Staatsbürger den von der Stadt abgelegenen Bahnhof Rempen.
Die CouMhür wurde ausgerissen, und ein kleiner Mann mit einem Gesicht wie eine Zitrone, rötlichem Haar und rötlichem Vollbart bot uns in freudigem Lächeln das Willkomm von ganz Rempen. Es war Isidor Cohn.
Die Spatz fraß ihn förmlich mit einem Blick der Neugierde.
„Ergebenster Diener, ergebenster Diener, meine Damen. Mein Name ist Cohn! Wenn Sie sich mir anvertrauen wollen! Es ist alles bereit für Sie. Sprungfedermatratzen haben Sie auch. Es ist alles aufs feinste! Bitte, Ihren Handkoffer, Fräulein, Ihren auch, Mecerino. Man kann auf dem Bahnhof nie genug Hände haben! Langsam, langsam, meine Damen! Der Zug ist so galant, drei Minuten zu halten. Ich bin nämlich ein intimer Freund vom Mecerino —"
O, wie Mecerinos Nase in die Luft ging!
„Wir haben uns eigentlich seit der Schule nie wiedergesehen," näselte er.
„Das stimmt, das stimmt —"
„Ja, das stimmt. Intim ist also was anders. — Wie ging denn der Billetverkaus?"
„Alles gut, alles gut. Kein Stühlchen mehr frei —"
„Wagen hier?"
„Ei natürlich, natürlich. Für Sie einen und für die Damen der von der Frau Goldstein. Die Frau Goldstein hat gesagt, was wäre so 'n großer Künstler wie Mecerino, der müßte fahren in einer Equipage ganz allein."
Mecerino reckte sich. Er war ganz einverstanden damit, allein zu fahren.
„Hat sie den verhungerten Kuckuck noch bei sich?" sagte er weltmüde.
„Wie haißt — Kuckuck? — Einen Papagei hat sie im Haus, aber keinen Kuckuck."
Die Menschen drängten und schoben um uns herum. Mecerinos Laune war noch immer nicht rosig. Daß Bolle bei dieser Exkursion fehlte, lag ihm schwer im Sinne.
„Gehen Sie doch vorwärts," brummte er Cohn zu, „daß wir endlich aus diesem Gedränge herauskommen."
Cohn drehte sich hastig nach ihm um.
„Die Leute sind nur hier, um Sie zu sehen, Willibald. Hab' ich doch gemacht für Sie eine große Reklame. Hab' ich gesagt, seit Methusalem, Hab ich gesagt, wäre so was von Stimme nicht dagewesen."
Ich wußte noch nicht, daß Methusalem je ein großer Sänger gewesen.
Wirklich war der Perron und die Halle von einer Menschenmenge, deren Kopfzahl auf eine Stadt von sünfzigtausend Einwohnern schließen ließ, belebt. Indessen war Rempen so beicheiden, sich mit dem zehnten Teile in geographischen Lehrbüchern verzeichnen zu lassen.
„Da stehn die Wagen," sagte Cohn und schob sich aus die Treppe hinaus.
Mecerino aber blieb einen Augenblick wie angewurzelt stehen, elektrisiert durch eine hellgekleidete, jugendlich schlanke und üppige Gestalt mit edeln Zügen, warmer Gesichtsfarbe und schwarzem Haar, deren tieftranrige Augen mit unverkennbarer Spannung seinem Vorwärtsdringen entgegensahen. In ihrer Hand, die ein Handschuh in Marseiller Imitation umspannte, winkte ein Strauß dunkelroter Rosen. Jetzt war's, als ob sie ihm denselben über die sich zwischen ihr und ihm bewegenden Schultern hinweg zureichen wollte, aber sein Blick, in den sich die keckste Bewunderung drängte, schien sie zurückzuhalten. Sie sah wie erschrocken vor sich nieder.
Dem Spätzchen ging dies offen zur Schau getragene Schönheitsgefühl ihres Idols unangenehm aus die Nerven. Sie gab ihm ungeduldig mit ihrem Sonnenschirm einen Stoß in die Nippen.
„Marsch, marsch, marsch! Zu was bleiben Sie denn stehen wie die Kuh vorm neuen Thore?"
Das wirkte.
Unten auf dem breiten Vorplatz hielten in der