Heft 
(1898) 03
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Talleyrand gesagt haben soll. Aber, Pardon, daß ich Sie mit so was überhaupt noch belästige. Schon mein Vater sagte mal: ,Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten Wiener Kongreß­witze? Und das ist nun schon wieder ein Menschen­alter her."

Ach, diese alten Kongreßwitze," sagte Rex ver­bindlich,ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, daß diese alten Witze besser sind als die neuen. Und kann auch kaum anders sein. Denn wer waren denn die Verfasser von damals? Talley­rand, den Sie schon genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, daß das Metier seitdem sehr herab­gestiegen ist."

Ja, herabgestiegen ist alles, und es steigt immer weiter nach unten. Das ist, was man neue Zeit nennt, immer weiter runter. Und mein Pastor, den Sie ja gestern abend kennen gelernt haben, der be­hauptet sogar, das sei das Wahre, das sei das, was man Kultur nenne, daß immer weiter nach unten gestiegen würde. Die aristokratische Welt habe abgewirtschaftet, und null komme die demo­kratische ..."

Sonderbare Worte für einen Geistlichen," sagte Rex,für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen kennen sollte."

Dubslav lachte.Ja, das bestreitet er Ihnen. Und ich muß bekennen, es hat manches für sich, trotzdem es mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich meine den Pastor, ja Wohl noch beim zweiten Frühstück sehen, wo Sie dann Gelegen­heit nehmen können, sich mit ihm persönlich darüber auseinanderzusetzen; er liebt solche Gespräche, wie Sie wohl schon gemerkt haben, und hat eine kleine Lntherneigung, sich immer auf das jetzt übliche: ,Hier steh' ich, ich kann nicht anders' auszuspielen. Mitunter sieht es wirklich so aus, als ob wieder eine gewisse Märtyrerlust in die Menschen gefahren wäre, bloß ich trau' dem Frieden noch nicht so recht."

Ich auch nicht," bemerkte Rex,meistens Renommisterei."

Na, na," sagte Czako.Da Hab' ich doch noch die letzten Tage von einem armen russischen Lehrer gelesen, der unter die Soldaten gesteckt wurde (sie haben da jetzt auch so was wie allgemeine Dienstpflicht), und dieser Mensch, der Lehrer, hat sich geweigert, eine Flinte loszuschießen, weil das bloß Vorschule sei zu Mord und Totschlag, also ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieser Mensch ist sehr gequält worden, und zuletzt ist er gestorben. Wollen Sie das auch Renommisterei nennen?"

Gewiß will ich das."

Herr von Rex," sagte Dubslav,sollten Sie dabei nicht zu weit gehen? Wenn sich's nms Sterben handelt, da hört das Renommieren auf. Aber diese Sache, von der ich übrigens auch gehört habe, hat einen ganz andern Schlüssel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen Renommisterei, das liegt an: Lehrertum. Alle Lehrer sind nämlich verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich meine Studien gemacht habe; heißt Krippenstapel, was allein schon was sagen will. Er ist grad um ein Jahr älter als ich, also runde siebenundsechzig, und eigentlich ein Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber verrückt ist er doch."

Das sind alle," sagte Rex.Alle Lehrer sind ein Schrecknis. Wir im Kultusministerium können ein Lied davon singen. Diese Abc-pauker wissen alles, und seitdem Anno sechsundsechzig der unsinnige Satz in die Mode kam, ,der preußische Schulmeister habe die Oesterreicher geschlagen' ich meinerseits würde lieber dem Zündnadelgewehr oder dem alten Steinmetz, der alles nur kein Schulmeister war, den Preis zuerkennen seitdem ist es vollends mit diesen Leuten nicht mehr anszuhalten. Herr von Stechlin hat eben . von einem der Humboldts ge­sprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt trauen sie sich noch nicht recht heran, aber was Alexander von Humboldt konnte, das können sie nun schon lange."

Da treffen Sie's, Herr von Rex," sagte Dubs­lav.Genau so ist meiner auch. Ich kann nur wiederholen, ein vorzüglicher Mann; aber er hat den Prioritätswahnsinn. Wenn Koch das Heilserum erfindet oder Edison Ihnen auf fünfzig Meilen eine Oper vorspielt, mit Getrampel und Händeklatschen

Ueber ^5and und Meer.

dazwischen, so weist Ihnen mein Krippenstapel nach, daß er das vor dreißig Jahren auch schon mit sich rumgetragen habe."

Ja, ja, so sind sie alle."

Uebrigens. . . Aber darf ich Ihnen nicht noch voir diesen gebackenen Schinken vorlegen?... Uebrigens mahnt mich Krippenstapel daran, daß die Feststellung eines Vormittagsprogramms wohl an der Zeit sein dürfte; Krippenstapel ist nämlich der geborene Cicerone dieser Gegenden, und durch Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die Freude machen wollen, sich um Stechlin und Umgegend ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See um den See natürlich am meisten, denn der ist unsre xibes äo rssistaoee. Das andre giebt es wo anders auch, aber der See. . . Lorenzen erklärt ihn außerdem noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich mitrnmort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch wirklich so. Mein Pastor aber sollte, beiläufig bemerkt, so was lieber nicht sagen. Das sind so Geistreichig- keiteu, die leicht übel vermerkt werden. Ich Per­sönlich lass' es lausen. Es giebt nichts, was mir so verhaßt wäre wie Polizeimaßregeln, oder einem Menschen, der gern ein freies Wort spricht, die Kehle zuzuschnüren. Ich rede selber gern, wie mir der Schnabel gewachsen ist."

lind verplauderst dich dabei." sagte Woldemar, und vergißt zunächst unser Programm. Um spätestens zwei müssen wir fort; wir haben also nur noch vier Stunden. Und Globsow, ohne das es nicht gehen wird, ist weit und kostet uns wenigstens die Hälfte davon."

Alles richtig. Also das Menü, meine Herren. Ich denke mir die Sache so. Erst (da gleich hinter dem Bnxbaumgange) Besteigung des Aussichtsturms, noch eine Anlage von meinem Vater her, die sich, nach Ansicht der Leute hier, vordem um vieles schöner ausnahm als jetzt. Damals waren nämlich noch lauter bunte Scheiben da oben, und alles, was man sah, sah rot oder blau oder orangefarben aus. Und alle Welt hier war unglücklich, als ich diese bunten Gläser wegnehmen ließ. Ich empfand es aber wie 'ne Naturbeleidigung. Grün ist grün und Wald ist Wald . . . Also Nummer eins der Aussichtsturm; Nummer zwei Krippenstapel und die Schule; Num­mer drei die Kirche samt Kirchhof. Pfarre schenken wir uns. Dann Wald und See. Und dann Globsow, wo sich eine Glasindustrie befindet. Und dann wieder zurück und zum Abschluß ein zweites Früh­stück, eine altmodische Bezeichnung, die mir aber trotzdem immer besser klingt als Lunch. ,Zweites Frühstück' hat etwas ausgesprochen Behagliches und giebt zu verstehen, daß man ein erstes schon hinter sich hat. . . Woldemar, dies ist mein Programm, das ich dir, als einem Eingeweihten, hiermit unter­breite. Ja oder nein?"

Natürlich ja, Papa. Du triffst dergleichen immer am besten. Ich meinerseits mache aber nur die erste Hälfte mit. Wenn wir in der Kirche fertig sind, muß ich zu Lorenzen. Krippenstapel kann mich ja mehr als ersetzen, und in Globsow weiß er all und jedes. Er spricht, als ob er Glasbläser ge­wesen wäre."

Darf dich nicht wundern. Dafür ist er Lehrer im allgemeinen und Krippenstapel im besonderen."

So war denn also das Programm festgestellt, und nachdem Dubslav mit Engelkes Hilfe seinen noch ziemlich neuen weißen Filzhnt, den er sehr schonte, mit einem wotanartigen schwarzen Filzhut vertauscht und einen schweren Eichenstock in die Hand genommen hatte, brach man aus, um Zunächst auf den als erste Sehenswürdigkeit festgesetzten Aus- sichtsturm hinaufzusteigen. Der Weg dahin, keine hundert Schritte, führte durch einen sogenannten ,Poetensteig'.Ich weiß nicht," sagte Dubslav, warum meine Mutter diesen etwas anspruchsvollen Namen hier einführte. Soviel mir bekannt, hat sich hier niemals etwas betreffen lassen, was zu dieser Rangerhöhung einer ehemaligen Taxushecke hätte Veranlassung geben können. Und ist auch recht gut so."

Warum gilt, Papa?"

Nun, nimm es nicht übel," lachte Dubslav. Du sprichst ja, wie wem: du selber einer wärst. Im übrigen räum' ich dir ein, daß ich kein rechtes Urteil über derlei Dinge habe. Bei den Kürassieren

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war keiner, und ich habe überhaupt nur einmal einen gesehen, mit einem kleinen Verdruß und einer Gold­brille, die er beständig abnahm und putzte. Natürlich bloß ein Männchen, klein und eitel. Aber sehr elegant."

Elegant?" fragte Czako.Dann stimmt es nicht; dann haben Sie so gut wie keinen gesehen."

Unter diesem Gespräche waren sie bis an den Turm gekommen, der in mehrerer: Etagen und zuletzt auf bloßen Leitern anstieg. Man mußte schwindel­frei sein, um gut hinaufzukommen. Oben aber war es wieder gefahrlos, weil eine feste Wandung das Podium umgab. Rex und Czako hielten Umschau. Nach Süden hin lag das Land frei, nach den drei andern Seiten hin aber war alles mit Waldmassen besetzt, zwischen denen gelegentlich die sich hier aus weite Meilen hinziehende Seenkette sichtbar wurde. Der nächste See war der Stechlin.

Wo ist nun die Stelle?" fragte Czako.Natürlich die, wo's sprudelt und strudelt."

Sehen Sie die kleine Buchtung da, mit der weißen Steinbank?"

Jawohl; ganz deutlich."

Nun, von der Steinbank aus keine zwei Boots­längen in den See hinein, da haben Sie die Stelle, die, wenn's sein muß, mit Java telephoniert."

Ich gäbe was drum," sagte Czako,wein: jetzt der Hahn zu krähen an singe."

Diese kleine Aufmerksamkeit muß ich Ihnen leider schuldig bleiben und Hab' überhaupt da nach rechts hin nichts andres mehr für Sie als die roten Ziegeldächer, die sich zwischen dem Waldrand und dem See wie auf einem Bollwerk hinziehen. Das ist Kolonie Globsow. Da wohnen die Glasbläser. Und dahinter liegt die Glashütte. Sie ist noch unter den: alten Fritzen entstände:: und heißt die ,grüne Glashütte'."

Die grüne? Das klingt ja beinah' wie ans 'nem Märchen."

Ist aber eher das Gegenteil davon. Sie heißt nämlich so, weil man da grünes Glas macht, aller­gewöhnlichstes Flaschenglas. An Rubinglas mit Gold­rand dürfen Sie hier nicht denken. Das ist nichts für unsre Gegend."

Und damit kletterten sie wieder hinunter und traten, nach Passiernng des Schloßvorhofs, auf den quadratischen Dorsplatz hinaus, an dessen einer Ecke die Schule gelegen war. Es mußte die Schule sein, das sah man an den offenstehenden Fenstern nnd den Malven davor, und als die Herren bis an den grünen Staketenzaun heran waren, hörten sie auch schon den prompten Schulgang da drinnen, erst die scharfe, kurze Frage des Lehrers und dann die sofortige Massenantwort. Im nächsten Augen­blick, unter Vorantritt Dubslavs, betraten alle den Flur, und weil ein kleiner weißer Kläffer sofort furchtbar zu bellen anfing, erschien Krippenstapel, um zu sehen, was los sei.

Guten Morgen, Krippenstapel," sagte Dubslav. Ich bring' Ihnen Besuch."

Sehr schmeichelhaft, Herr Baron."

Ja, das sagen Sie; wenn's nur wahr ist. Aber unter allen Umständen lassen Sie den Baron aus dem Spiel .. . Sehen Sie, meine Herrn, mein Freund Krippenstapel is ein ganz eignes Haus. Alltags nennt er mich Herr von Stechlin (den Major unterschlägt er), und wenn er ärgerlich ist, nennt er mich ,gnäd'ger Herr'. Aber sowie ich mit Fremden komme, betitelt er mich Herr Baron. Er will was für mich thuu."

Krippenstapel, still vor sich hinschmunzelnd, hatte mittlerweile die Thür zu der seiner Schulklasse gegenüber gelegenen Wohnstube geöffnet und bat die Herren, eintreten zu wolle::. Sie nahmen auch jeder einen Stuhl in die Hand, aber stützten sich nur aus die Lehne, während das Gespräch zwischen Dubslav und dem Lehrer seinen Fortgang nahm. Sagen Sie, Krippenstapel, wird es denn überhaupt gehen? Sie sollen uns natürlich alles zeigen, und die Schule ist noch nicht aus."

O, gewiß geht es, Herr von Stechlin."

Ja, hören Sie, wenn der Hirt fehlt, rebelliert die Herde..."

Nicht zu befürchten, Herr von Stechlin. Da war mal ein Burgemeister, achtundvierziger Zeit, Namen will ich lieber nicht nennen, der sagte mal: Menu ich meinen Stiefel ans Fenster stelle, regier' ich die ganze Stadt.' Das war mein Mann."