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mit seinem erprobten, netten, kleinen Accompagneur konnte er's unmöglich verderben. Er war so eingesungen mit ihr, er brauchte nie etwas zu proben, sie gehorchte ihm und seiner Stimme, wie ein gutes Schulpferd seinem Reiter. Und sie war jetzt wirklich im stände und reiste ab! Man sah's ihr an — sie war zu allem entschlossen, zur Fahnenflüchtigkeit in jeder Gestalt.
„Gehen Sie nur, gehen Sie nur!" rief sie abermals spitz und heftig. „Herr Cohn, einen Wagen will ich!"
„Gott der Gerechte, es ist ja noch Zeit!" — Er glitt dicht an Mecerino heran und flüsterte vorsichtig^ „Herr Mecerino, soll ich nicht lieber die Glasphyra fortschickend"
Es giebt Biedermänner, welche in Momenten wie dieser ein gedämpftes Verhandeln durchaus verschmähen. Hierzu gehörte Mecerino. Was hatte der Cohn wie auf der Bühne ,beiseill zu sprechen d Er selber brauchte das nicht, wenn er nicht wollte. Mochte doch Spätzchen hören, was er sagte. Mit voll erhobener Stimme schrie er demgemäß Cohn ins Gesicht:
„Ich fertige meine Klienten nicht ab wie 'n Zahnarzt, der ziehmüde ist. — Sie können ja gar nicht wissen, was die junge Dame eigentlich von mir will!" Ein spitzer Seitenblick auf Spätzchen: „Lieber tot als unhöflich! Wer ein edler Ritter ist, läßt keine Dame sitzen!"
Spätzchen erwiderte diesen Ausspruch mit einem Schweigen, das durch den beredten Blick, der es begleitete, fürchterlich wurde. Ein Tugendengel, der einen Verlorenen anklagt, ist nichts dagegen.
Mecerino hielt fromm, frei und fröhlich diesen Blick aus. Cohn indessen fühlte sich einer einlenkenden Erwiderung benötigt.
„Nu," wendete er sich besänftigend zu ihr, „der Mecerino ist doch 'n solider Mann!"
„Was nennen Sie denn eigentlich solid d" fiel Spätzchen kampflustig ein. „Von zwanzig denken immer zehne, daß er sie aufs Heiraten hin hofiert! Jawohl, Mecerino, seien Sie ganz still! - Und das nennen Sie solid, Herr Cohnd Ich verstehe unter ,solid' ganz etwas andres."
„Bitte, setzen Sie das doch rasch auseinander," sagte Mecerino, unbesorgt, ob seine Dame draußen auf den ersehnten Ritter wartete.
„Daß man's mit einer hält!"
„Wenn aber doch so viele nett sind —"
„Machen Sie rasch!" drängte Cohn. „Die Glas- phyra darf nicht so lange von zu Hause fort. Die Goldstein paßt auf die Minute. Sie wird gehalten wie in 'nem Käfig, bis der Levison wird mit seiner goldnen Hand den schönen Vogel —"
„So bestellen Sie doch das Anspannen!" trieb Spätzchen und gab die Thür frei.
„So was Dummes!" brummte Mecerino. „Als Tugendwächter Hab' ich Sie wahrhaftig nicht mitgenommen. Wenn Sie aber mal so sind, na, dann lassen Sie nur die Dame 'reinkommen, Isidor."
Auf dieses Stichwort hin riß Jeremias die Thüre auf und winkte wild mit der Serviette.
„Kommen Sie'rein! Kommen Sie 'rein!" schrie er. „Der Herr Mecerino will's haben!"
VI.
Wir stoben auseinander und ließen Mecerino im Zentrum des Zimmers allein zurück. Ich suchte in der Fensternische eine bescheidene Zuflucht, und Spätzchen nistete sich mit ihrer zähen Eifersucht im ausgesessenen Polster des braunen Familiensofas ein, mit dessen Farbenton sie förmlich zusammenfloß. Nur ihre Augen glühten mißtrauisch: zwei bewegliche Funken.
Cohn eilte noch zu Mecerino und zischelte ihm ins Ohr:
„Sie ist ein bißchen ängstlich."
„Das sagten Sie schon vorhin," versetzte jener. „Ich bin nicht schwachsinnig."
„Ich meine nur.. . Damit Sie ihr tüchtig Zureden . . . Jedes Pferd braucht mal 'nen Sporn ..."
Die Spatz hörte die Bemerkung so gut wie ich. Sie Zuckte auf, als ob sie etwas Persönliches darauf erwidern wolle, schwieg aber und sank wieder in sich zusammen, denn schon kam Glasphyra.
Mit der Hast der Befangenheit eilte sie ins Zimmer. Sie schien einen Mangel an Selbstvertrauen und Welterfahrung durch die Raschheit
Ueöer Land und Weer.
ihrer Bewegungen und eine nicht ganz wahre innere Entschlossenheit decken zu wollen.
Mit unsicherem Blicke prüfte sie ihre Umgebung. Sie bemerkte uns und nahm uns notgedrungen mit in den Kauf. In dem Gruß gegen Cohn tauchte unwillkürlich eine gewisse Vertraulichkeit auf, um sogleich wieder zu verschwinden.
Nun hob sie ihre Augen zu Mecerino.
Der stand vor ihr, den rechten Fuß vorgesetzt, die linke Hand in der Hosentasche, die rechte am Schnurrbart; halb verlegen, halb überlegen lächelnd, ein Gemisch von Liebenswürdigkeit, Größenwahn und Selbstgefälligkeit. Seine Augen blickten dreist vertraulich, während er sie bewillkommend grüßte.
„Es ist wohl sehr unbescheiden von mir," begann sie überstürzt und stockte.
„O bitte. Solche Unbescheidenheit läßt man sich schon gefallen."
„Ich wollte Ihnen schon auf dem Bahnhofe meine Bitte aussprechen —"
„So, Sie haben eine Bitted"
Also deshalb die Rosen! Sie hatte seine Aufmerksamkeit erregen wollen.
„Aber es waren zu viele Menschen um uns herum —"
„Also sind Sie wirklich ängstlichd" Er lächelte ironisch.
Sie errötete leicht.
„Soll ich etwa 'ransgehend" fragte Cohn plötzlich mit so freundlicher Zudringlichkeit, daß er ihr die Antwort förmlich in den Mund legte.
„Lieber Herr Cohn, Sie genieren durchaus nicht."
Dabei sandte sie ihm einen Blick, wie man ihn nur einem nahen Freunde oder einem Vertrauensmann spendet.
Er reckte sich und schlich dann zu mir in die Fensternische. „Man sieht's ihr wirklich nicht an," tuschelte er mir zu, „wie sie so dasteht, daß die Goldstein sie schlägt."
Ich machte eine Bewegung des Entsetzens.
„Auf mein Ehrenwort, sie schlägt sie, wenn sie immer wieder sich sträubt, den Levison zu nehmen."
„Wie gesagt, — ich habe eine Bitte," wiederholte Glasphyra.
„Und die wäred"
„Sie betrifft mich selber."
„Nur Courage!"
„Herr Cohn riet mir. Sie um Ihr Urteil zu bitten..."
„Nur zu!"
Die Spatz, welche mit einer gewissen Unheimlichkeit in ihrer Sofaecke nistete, verfolgte mit Schlangenblicken Mienenspiel und Wortwechsel der beiden.
„Sie sind ein so großer Künstler, reich an Erfolgen und Ruhm, daß Herr Cohn mir sagte. Sie wären die geeignete Autorität für meine Zweifel und Bedenken —" Das Organ der Redenden war Gesang. Es schmeichelte sich süß, weich und schüchtern ins Ohr hinein, wie ein gedämpftes Liebeslied, das aus keuscher Beklommenheit verzittert, ehe es in vollem Jubel aus der Brust bricht. „Wenn einer — meinte Herr Cohn, — so könnten Sie mir sagen, ob es mir gelingen dürfte, eine Künstlerin zu werden, die — die —"
Sie stockte wieder und schien den Faden des offenbar wohlüberlegten, wenn nicht gar einstudierten Satzes verloren zu haben.
„Die reüssiert!" schrie Cohn laut.
Mecerinos Nase war gestiegen. Er hatte den rechten Fuß zurückgezogen und seiner Haltung dadurch größere Würde verliehen. Sein Selbstgefühl begann sich zu blähen.
„Fräulein," sagte er, und durch seine Stimme zog's wie ein Hauch antiker Weisheit, „wer kann das vorher wissend So etwas wird keinem an der Wiege gesungen."
„Aus der Wiege ist sie schon lange'raus!" rief Cohn. „Und daß sie reüssieren wird, dazu brauchen Sie sie nur anzusehen und zu hören."
Mecerino hob die Hand wieder zum Schnurrbart, dem er einige Minuten Ruhe gegönnt hatte.
„So so," machte er und fixierte sie aufmerksam.
Glasphyra seufzte unwillig und errötete.
„Meine Zukunft hängt von Ihrem Urteil ab," sagte sie kurz, „denn wenn ich aussichtslos dastünde, könnte mich nichts —"
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Cohn unterbrach sie mit bemerkbarer Absichtlichkeit.
„Sie werden schon was erreichen," schrie er eifrig. „Aber ein bißchen Mut und Selbstvertrauen gehört schließlich zu allem, was man riskiert."
„Haben Sie denn Stimme?" fragte Mecerino gedehnt.
„Natürlich hat sie Stimme!" fuhr Cohn wieder los. „Und was hat sie für eine Stimme! Sie sollen Sie bloß hören!"
Ein Impresario hätte sich nicht feuriger für einen neuen Stern in die Schranken werfen können als dieser Cohn für diese Glasphyra. Warum? Was trieb ihn, sie zu lancierend Die Kunstbegeisterung ? Nein, hier mußten andre Triebfedern spielen.
„Wenn ich Ihre Stimme beurteilen soll," sagte Mecerino kühl, „so müssen Sie mir unbedingt etwas singen."
„Hier?" warf sie hin.
„Natürlich, hier!" rief Cohn.
„Aber hier ist kein Instrument," bemerkte Glasphyra.
„Einen Edelstein erkennt man auch ohne —" Mecerino ließ sein Gleichnis im Stich.
„Lupe," fiel Cohu ein.
„Nein, Pianino wollte ich sagen. Kurz und gut, singen Sie nur ohne Pianino."
Einen Moment schaute Glasphyra zu Boden, als schäme sie sich, ihre Stimme unfern Ohren Preis- Zugeben. Dann sang sie ein polnisches Liebeslied.
Wer kann beschreiben, wie sie sang! Eine Stimme, die Thränen weckt. Ich hatte eine solche Stimme noch nie gehört.
„Sie haben ein Kapital in der Kehle!" rief Mecerino, noch ehe sie geendet hatte. Sofort brach sie ab.
„Was Hab' ich gesagt?" posaunte Cohn und eilte zu den beiden. „Hab' ich nicht gesagt, daß Sie das Vermögen vom Levison zweimal in der Kehle habend Hab' ich nicht gesagt, daß Sie nicht brauchen den Levison, um zu haben die Millionen?"
„Aber Sie müssen noch studieren," mahnte Mecerino.
„O, wie will ich lernen, wenn ich etwas erreichen kann!"
„Wo wollen Sie studierend Bei der Marchesi in Wien oder auf der Berliner Hochschule..."
Glasphyra errötete flammend wie der Morgenhimmel, wenn die Sonne steigt.
„In Warschau," versetzte sie kurz.
Sogleich kam ihr Cohn zu Hilfe.
„Sie hat da nämlich Anschluß..." Er dehnte das letzte Wort in einer Verlegenheit, die Argwohn erregen konnte.
„Anschluß?" Mecerino maß sie vom Scheitel bis zur Sohle. „Warum wollen Sie eigentlich zur Bühne? Haben Sie denn das nötig?"
„Sie hat keinen Pfennig," nahm Cohn ihr die Antwort vom Munde weg, „und der Verwandtschaft am Beutel zu hängen, ist nicht jedermanns Sache. Am besten schmeckt immer das Brot, das man sich selber bäckt."
„Ich denke," wandte Mecerino ein, „Sie können eine reiche Heirat machen? Isidor sagte uns doch... Sie mit Ihrem hübschen Gesicht..." Er wog bedenklich den Kopf und spielte sich auf den Väterlichen hinaus. „Fräulein, lassen Sie sich sagen, ein warmes Nest, gleichviel wer's gebaut hat, ist immer besser als ein goldner Trog auf den Brettern."
Isidor schien plötzlich Krämpfe zu kriegen. Er sprang auf und gestikulierte lebhaft.
„Was machen Sie für Geschichten!" rief er aufgebracht. „Was nehmen Sie ihr wieder den Mut, den ich ihr eingeflößt habe zu ihrem Besten! Wenn Sie würden kennen den Levison, würden Sie sagen — —"
Glasphyra war bleich geworden, so bleich wie die getünchte Wand. Und nun lohte es in ihrem Antlitz auf. ES war eine wilde Flamme, in der viele Leidenschaften sich begegneten.
„Ich lasse mich nicht verkaufen," sagte sie trotzig, „eher würde ich untergehen."
„Das ist 'n bißchen kühn," stieß Mecerino durch die Zähne und fixierte sie scharf.
Als sie seinen Gesichtsausdruck begriff, erglühte sie bis unter die dunkeln Stirnlocken. Sie that mir