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Ueber Land und Weer.
M. 3
Eine Mljllerfthrt nach Mli-Wm.
Humoristische Erzählung
KurrL Kckberrg.
(Fortsetzung.)
/^^eber den ersten Löffeln Suppe waltete ein säst heiliges Schweigen mit Fliegen- gesumme, das endlich Cohn unterbrach.
„Meine Damen, wie gesagt, Sie sind nach dem Konzert alle eingeladen zur Frau Goldstein. Sie giebt das Fest nämlich nur zu Ehren vom großen Sänger Mecerino." Er führte dreimal den überfließenden Löffel rasch zum Munde. „Meine Damen, finden Sie nicht auch, daß der Mecerino ihr schuldig ist eine Staatsvisite? Sie ist die Erste in Rempen! — Und 's ist 'n feines Haus, auf meine Ehre," er schlug sich auf die Brust. „Austern und Sekt, ich versichere es Ihnen. Der Herr Bolle — bitte, Willibald, grüßen Sie 'n schön wieder — der Herr Bolle hat doch auch verkehrt in dem Hause. Und was der Herr Bolle ist — alle Achtung! — Immer bares Geld! Immer bar bezahlt. Ein seiner Mann, der Herr Bolle! — Der Herr Bolle würde gewiß auch Zureden zur Visite. Ach, was hatte der für ein Herz! Ein goldenes Herz hatte der Bolle."
„So halten Sie doch endlich 's Maul!" sagte Mecerino nervös und warf den Löffel nachlässig in den leeren Suppenteller, während er selbst sich gegen die Stuhllehne warf und sein zähes Weißbrot in zwei Stücke riß.
„Es sei ferne von mir, Sie zu belästigen," dienerte Cohn. „Sie werden heut abend die Bekanntschaft vom Levison machen —"
„Von dem widerlichen Kerl, von dem Sie mir vorhin erzählten..."
„Der meinen Vater gebracht hat um sein ganzes Vermögen."
„Das habe ich noch nicht recht begriffen," gähnte Mecerino.
Cohn wandte sich nach der Thür.
„Jeremias, bring 's andre Essen!"
Der Kleine mit der Serviette trug einen far- eierten Gänsehals herein, der vorzüglich zubereitet war. Isidor zerlegte ihn, und jener servierte.
„Das ist doch ganz einfach," knüpfte Isidor an. „Sie haben gewiß wieder die Gedanken gehabt bei Ihrer heil'gen Cäcilie."
Dieser an und für sich ganz harmlose Scherz hatte für die Spatz einen verdächtigen Beigeschmack.
„Meinen Sie jemand Bestimmtes damit?" siel sie ihm sofort in die Rede.
„Wie haißt..."
„Ich meine —" sie wurde rot.
Mecerino lachte.
„Sie meint irgend eine Chansonnette —"
Cohn hob erschrocken alle zehn gespreizten Finger.
„Gott der Gerechte, ich weiß von gar nichts."
„Da haben Sie's, Sie kleiner Bohrwurm. — Isidor, fahren Sie fort im Kriminalroman von Ihrem Freunde."
„Freund! Freund! Beileibe nicht Freund!" Das Entsetzen malte sich auf seinen Zügen.
„So erzählen Sie doch los!" drängte die Spatz.
Er wandte sich gegen sie.
„Mein Vater war ein armer Mann, als er kam über die polnische Grenze. Aber er war ein arbeitsamer Mann, und ein sparsamer Mann war er auch. Hat er hier und da verdient, hat er gemacht ein Geschäft, hat er gespart — hat er gehabt in einigen Jahren ein kleines Kapitälchen. Wie hat er's angelegt? Eine Schankwirtschaft hat er übernommen mit einigen Hypotheken von einem bankerotten Wirt. Der Levison hat ihm geborgt 's Betriebskapital zu hohen Zinsen. Zuerst ging's gut. Nachher singen die Leute an, den Schnaps zu trinken aus Borg. Hat er ihnen nicht mehr gegeben, sind sie nicht mehr gekommen — hat er ihnen gegeben, ist er los geworden den Schnaps gratis. Wie der Levison es hat gemerkt, hat er ihm gekündigt 's Kapital. Hat er's nicht gehabt — war er pleite. Und der Levison hatte die Restauration."
„Das ist ja empörend!" ries die Spatz voll Mitgefühl.
„Fräulein," sagte Cohn bitter und legte ihr ver
traulich die Hand auf die Schulter, „wenn Sie erst kennen werden den Levison, werden Sie sich über nischt mehr Wundern."
„Da bleibt er ja im gewohnten Geleise, wenn er Ihnen hier gegenüber ein Konkurrenzhotel bauen will. Na, wenn Sie Geld brauchen, Isidor, wenden Sie sich nur an das goldene Herz von Bolle, der ist Ihnen noch erkenntlich wegen der Dschim-Dschims."
War's Aerger über Mecerinos Spott, war's die Wucht des Ingrimms über Levison — Cohn stürzte Plötzlich nach einer Ecke des Zimmers, um dort die Eintracht einer Fliegenklatsche und eines Spucknapfes zu stören. Er ergriff den unheimlichen Prügel und fuhr damit über den Tisch und in der Luft herum, so daß sich ein wahrhaft wilder Reigen der gestörten Fliegen erhob, welche bisher in stiller Beschaulichkeit unser Mahl geteilt.
„Der Bolle hat den Levison auch im Magen!" rief er aufgebracht. „Er hat bei ihm zur Miete gewohnt — Gott der Gerechte, so 'n stiller Mieter wie der Herr Bolle! Kein Kind, kein Hund, kein nächtlicher Unfug! Aber der Levison hat 'n schikaniert. Wo er konnte, hat er 'n schikaniert! Wegen der Myrjam nämlich," endete er mit vorgehaltener Hand.
„Weiß schon," machte Mecerino ablehnend.
„Durch Bolle?"
„Durch wen wohl sonst!"
„Die Myrjam hat dem Bolle förmlich nachgestellt. Aber er hat sie nicht genommen. Da hat sie den Levison ausgeschlagen und sich mit dem Joel getröstet —"
„Weiß schon, weiß schon."
„Gott — Sie wissen ja alles! Aber Sie wissen nicht, daß der Levison die Glasphyra mit Füßen getreten hat, als sie noch ein häßliches Kind war. Wenn er zur Goldstein gekommen ist wegen der Myrjam und die Glasphyra hat vor der Thüre gesessen - wenn sie satt war, hat sie vor sich hingesungen, und wenn sie hungrig war, hat sie gekauert und vor sich hingestarrt — da hat er ihr gegeben einen Fußtritt, weil's ihm nicht wert schien, ihr zu geben ein freundliches Wort, damit sie ihm aus dem Wege ging. Er hat ihr oft weh gethau. Blaue Flecken hat sie gehabt an Armen und Beinen. Meiner Mutter ist sie klagen gekommen; die hat's gesehn mit eignen Augen."
„Das nennt man in Berlin: er hat sich kurz gefaßt," spöttelte Mecerino.
„Schämen Sie sich! — So was!" tadelte Spätzchen.
„Jeremias, bringe den Lammsrücken! — Hören Sie weiter, was der Levison für 'n Mann ist. — Einen schönen Flügel sollt' ich besorgen für die Frau Goldstein aus 'ner Erbschaft gegen fünf Prozent Provision. Was thut er? Kauft'n unter der Hand vor der Auktion mir vor der Nase weg und bietet ihn der Goldstein sehr coulant ohne Provision an. Sie dachte, es wäre wegen der Myrjam, und hat 'n übernommen. Und 's ehrliche Geschäft? — Zuschlag hat er genommen mehr als zehn Prozent. Nachher, als sie dahintergekommen ist, hat sie gesagt: „Lieber hätt' ich gekauft den Flügel mit fünf Prozent Provision vom Isidor Cohn; wär' ich billiger dazu gekommen."
Er ergriff heftig die Fliegenklappe. Klatsch, klatsch, klatsch, fünf Fliegen mit jedem Male.
„Und ift die Unternehmung mit dem Hotel etwa schön? Hat er's nötig? Wirft ihm 's Bankgeschäft in Breslau nicht genug ab? Muß er auch mich bringen um meinen Verdienst? Ein Hotel da drüben zu bauen mit Berliner Komfort, daß die Leute kommen zu ihm und nicht mehr zu mir. . . heißt mich ruinieren." — Er pustete erregt vor sich hin. „Aber: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wenn ihm 's Auge aufgehen wird, wird er meiner gedenken! Heute — was glauben Sie wohl — heute vermietet er Fensterplätze für dreißig Pfennig den Stuhl."
„Ei gar!" rief die Spatz mit großen Augen. „Und worüber sollen ihm denn die Augen aufgehen, Herr Cohn?"
„Nu, — das ist meine Sache. Sie werden ihm schon aufgehen; auf meine Ehre, sie werden ihm aufgehen! — Und 's Hotel mit 'm Berliner Komfort wird ihm vor der Nase tanzen wie 'ne Fliege über 'm Abgrund."
Endlich fand ich Gelegenheit zu einer Frage.
„Sagten Sie nicht bei unsrer Ankunft, daß Sie
alle Plätze vermietet hätten, Herr Cohn? Wie kommt Herr Levison zu . .."
„Hat er doch das Haus gegenüber der Konzerthalle!" schrie er mir mit einer Indignation ins Gesicht, als ob ich jenen zu der Schandthat des Hausbesitzes angestistet hätte. „Er vermietet die
Fensterplätze von seinem leeren Hause —"
„Das leere Haus wird immer interessanter," siel die Spatz ein.
„Was hat er für ein Recht dazu? Hat er bezahlt für die Musik über die Straße? Nichts bezahlt hat er. Dabei entriert er noch 'n Geschäft mit Butterbroten, die er verkauft an seine Zuhörer. Aber ich will ihm 's Geschäft versalzen!"
„Renommieren Sie doch nicht so!" suchte Mecerino den Erregten zu besänftigen.
„So wahr ich heiße Isidor Cohn, " er legte die gespreizten fünf Finger seiner Rechten ans die Brust — „ich will's ihm versalzen!"
Mecerino lächelte blasiert; jener bemerkte es.
„Sie wollen's nicht glauben? — Sie sollen's sehen!"
„Wie denn?" fragte die Spatz.
„Soll ich die Karten aus der Hand geben?" fragte er zurück. Dann griff er zur Weinflasche. „Bitte, meine Damen, trinken Sie aus! Willibald, Ihr Glas! Ich Hab' 'n selber abgezogen."
„Dann ist er sicherlich gemanscht," versetzte Mecerino.
„Gemanscht, gemanscht? Was werd' ich 'nem berühmten Sänger vorsetzen gemanschten Ungar!"
Er wurde durch Jeremias unterbrochen, der mit fliegender Serviette ins Zimmer fuhr und schrie:
„Die Glasphyra ist draußen!"
Cohn schnellte empor und wollte aus dem Zimmer stürzen, besann sich aber eines Bessern und setzte sich wieder.
Mecerino, der eben sein Weinglas an die Lippen hob, stellte es energisch auf den Tisch zurück. .
„Donner und Doria! Die muß 'reinkommen!"
„Sie will Sie sprechen," winkte der Halberwachsene.
„Mich?" Mecerino setzte erstaunt den Finger auf die Piqueweste.
„Sie will Sie allein sprechen," fügte Jeremias mit einem Seitenblick auf uns hinzu. „Sie sagt, sie geniert sich vor so vielen Leuten."
„Ja, sie ist ein bißchen schüchtern," bestätigte Isidor rasch.
Mecerino war emporgefahren. Er sprang zum Spiegel, zog an der Krawatte, drehte den Schnurrbart und wollte hinauseilen.
Aber er hatte die Rechnung ohne das Spätzlen: gemacht. Als er die Thür erreichte, stand sie schon wie der flammende Engel des Paradiefes davor und deckte die Klinke mit dem Rücken.
„Hier geblieben!"
„Was soll denn das, Spätzchen!" Er wollte sie zur Seite schieben. Aber als er sie berührte, zuckte sie auf wie eine Pantherkatze. Ihre Augen sprühten Funken der Eifersucht.
„Keinen Schritt weiter!"
„Na, na! Wenn mich einer sprechen will!"
„Eine—e—e—e ist aber nicht einer—r—r- r, daß Sie's nur wissen!"
„So gehen Sie doch weg!" Er wurde ungeduldig.
„Meinen Kopf drauf, Mecerino, ich lasse Sic heut abend mit dem Accompagnement sitzen, wenir Sie hier Liebesaffairen anzettelu oder aussechten."
„Nun wird's Tag!"
„So etwas schickt sich nicht für Sie!"
Ueber sein Gesicht zuckte der Mutwille, sich mit ihr zu necken.
„Ach was! Für mich schickt sich alles."
„Gut. —" Sie ließ die Klinke fahren. „So gehen Sie! — Gehen Sie nur! — Was gehen Sie nicht? — Herr Cohn, einen Wagen für mich! Ich will mit dem nächsten Zuge nach Breslau zurück!"
„Gott du Gerechter!" entfuhr es Cohn. „Der Zug geht erst in zwei Stunden . .. Aber Sie wollen doch nicht fahren vor dem Konzert?"
Mecerinos Hand war von der Klinke gesunken. Er stand total verblüfft. Bisher hatte er die kleine Spatz nur als ein harmloses Vögelchen gekannt, und jetzt zeigte sie auf einmal Geierkrallen! Da hieß es, sich in acht nehmen! Draußen die rosenspendende Schönheit war ja recht verlockend. Aber