Heft 
(1898) 03
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Ueber Land und Meer.

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auch von der Majorität mit dem üblichenstürmischen Bei­fall" begrüßt werden, so ist das ironische Lächeln oder die skeptische Miene des besonnenen Hörers dagegen stark in Anschlag zu bringen, denn sie bedeuten den schlimmsten Er­folg, den eine solche Brandrede haben kann. Neuerdings befolgen die einberufenden Damen die richtige Taktik, das; sie vor Eröffnung der Diskussion durch den Mund der Vor­sitzenden ernstlich und dringend um Maß und Ruhe bitten.

Der Ton des Triumphes und der Siegesgewißheit, durch­setzt mit bitteren Ausfällen gegen die bösen und verkommenen Männer, die sich von der absoluten Gleichberechtigung der Geschlechter noch immer nicht haben erfüllen lassen, hat doch dann nur Fug und Grund, wenn ein unerschütterlich sicheres Fundament für die Frauenbewegung im Volksbewußtsein der weitesten Kreise ein für allemal gewonnen ist, wein; über alle wesenlichsten Ziele derselben unter allen Gebildeten ein Sinn und eine Meinung herrscht. Es wäre nun aber ein grobes Verkennen der Situation oder eine sträfliche Selbsttäuschung, wenn die Führerinnen an eine solche Ueber- einstimmung in der gebildeten Welt bezüglich der von ihnen erstrebten Ziele ernstlich glauben sollten oder wenn sie gar meinten, daß sie durch kühne und scharfe rednerische Vor­stöße neuen Boden für ihre Bestrebungen finden könnten.

Die neuen Rechtsanschauungen über die Stellung der Frau im bürgerlichen Leben dringen sehr langsam in die Massen und bedürfen zu ihrer Verwirklichung unermüdeter, geduldiger und langer Arbeit. Jeder Uebereifer, jede Hast, die sprungweise ihre Ziele erreichen will oder glaubt durch trotzigen Angriff erzwingen zu können, was nur durch ruhige, überzeugende Ueberredung gewonnen werden kann, ist gerade hier unberechenbar schädlich. Es handelt sich bei der Frauen­bewegung noch immer um die ruhige und sichere Befestigung des Fundaments, zu der mir in erster Linie die Erweiterung der Erwerbsfähigkeit der Frau zu rechnen haben.

Läge die Sache anders und wäre dies Fundament im Bewußtsein und Urteil der Gebildeten bereits gesichert, so wäre die Ablehnung der bekannten Petition von Helene Lange und Marie Mellien um freie Zulassung der Frauen zum Besuch der Universitäten in der Sitzung des Ab­geordnetenhauses vom 24. Juni eine Unmöglichkeit ge­wesen! Die Bedeutung dieses parlamentarischen Ereignisses ist meines Wissens von den Zeitungen gar nicht erörtert worden, nur die Verhandlung selbst mußte für sich sprechen. Und diese Thatsache ist bedauerlich. Denn durch sie ist einstweilen jede Aussicht beseitigt, den wahrhaft unerträg­lichen Vexationen, die dem akademischen Studium der Frauen in einem auf seine Kultur mit Recht stolzen Lande auf Schritt und Tritt begegnen, endlich ein Ziel gesetzt zu sehen. Da man nicht annehmen darf, daß die Abgeordneten etwa aus Groll über die ihnen gelegentlich seitens der Frauen­rechtlerinnen gespendetenHöflichkeiten" die genannte Petition durch Uebergang zur Tagesordnung abgelehnt haben, so darf man bis auf weiteres annehmen, daß die Frauen­frage für die Majorität unsrer Volksvertreter noch nicht Gegenstand ernsten Studiums geworden ist, wie sie es verdient. Die Debatte würde sonst nicht an der Oberfläche stehen geblieben sein, sondern die tiefere sittliche Bedeutung einer vertiefteren Beschäftigung der Frauen mit unserm geistigen Leben dargelegt haben. Außer dem Abgeordneten Rickert, der kurz und bündig die Zulassung der Frauen zum Studium forderte und die Befürchtung eines Wettbewerbs wegen der geringen Zahl der Bewerberinnen als völlig überflüssig abwies, stand nicht ein Redner auf der Höhe der Situation, das heißt: nicht einer wußte das notwendige kräftige Wörtlein" für die Freigabe des Frauenstudiums auszusprechen, nicht einer die Ungerechtigkeit hervorzuheben, die grell zu Tage tritt, wenn man die Willenskraft und Ausdauer von geistig leistungsfähigen Mädchen durch ein­fache Negation lahm legt. Wer in seiner amtlichen Thätig­keit diese Leistungsfähigkeit an einem großen Kreise erwachsener Mädchen kennen und würdigen gelernt hat, der wird jener Härte des Versagens nur mit ernstem Bedauern gegenüber stehen. Die von der Berliner Universität zu Anfang des vorigen Sommersemesters erlassenen Bestimmungen für die Zulassung von Frauen zu den Universitätsstudien boten eine solche Häufung von Erschwernissen, daß den Frauen tat­sächlich nichts andres übrig blieb, als durch eine Petition an das Abgeordnetenhaus den entscheidenden Versuch zu machen, sich freie Bahn für ihre Bestrebungen zu schaffen. Er ist mißglückt, und niemand kann absehen, wann endlich unfern Töchtern der Zugang zu den Hörsälen ohne hochnot­peinliche Vorschriften frei und unbehindert offen stehen wird. Diesen erschwerenden Vorschriften setzt jener Paragraph die Krone auf, durch welchennach Prüfung der Zeugnisse und Ausstellung des Erlaubnisscheins durch den Herrn Rektor die Einwilligung der Professoren und Dozenten, deren Vor­lesungen zu hören gewünscht wird, einzuholen ist".

Alan sollte doch meinen, daß die Einwilligung dieser Herren nach der Genehmigung der oberen Instanzen eine ganz selbstverständliche wäre. Was geschieht nun aber, wenn dieser oder jener von den Herren Dozenten die er­betene Erlaubnis verweigert, was bei der an der Berliner Universität noch immer vorherrschenden Stimmung, die eine starke Stütze an dem nun abgetretenen Rektor Professor Brunner fand, immerhin sehr wahrscheinlich ist? Hat doch selbst ein so hochstehender Gelehrter wie Hermann Grimm seine Kollegien den Damen ohne weiteres verschlossen, obwohl

gerade seine Gegenstände (litterarische und kunstgeschichtliche) ihnen interessant sein mußten! Ist die Zulassung zu den Vorlesungen in das Belieben der Dozenten gestellt, dann ist die ganze Verfügung des Herrn Ministers thatsächlich illu­sorisch. Nicht mit Unrecht hat der Abgeordnete Rickert in jener Sitzung vom 24. Juni es für wünschenswert erklärt, die Namen derjenigen Professoren zu veröffentlichen, die den Damen den Zutritt zu den Vorlesungen verweigern.

Auf dem vorjährigen Kongreß der Evangelisch-Sozialen in Stuttgart erstattete der damalige Rektor der Universität, Herr Professor Adolf Wagner, Bericht über seine mit den Hörerinnen gemachten erfreulichen Erfahrungen. Er betonte, daß irgend welche formellen oder materiellen Mißstände sich seit der Teilnahme der Damen an den Vorlesungen in keiner Weise gezeigt hätten,der Ton sei geradezu besser geworden". Er würde es als eine Schande der deutschen Jugend be­zeichnen, wenn die studierenden Damen irgendwie belästigt würden. Die Damen seien ganz besonders eifrig und fleißig. Nach diesen Erfahrungen können wir sagen," so schloß Professor Wagner seine bemerkenswerten Ausführungen,es wird den Frauen der Besuch der Hochschule erleichtert werden."

Man geht wohl nicht fehl mit der Annahme, daß diese erfreuliche Aussicht die obengenannten Antragstellerinnen zu ihrer Petition bestimmt hat. Denn man durfte in der Thnt annehmen, daß diese kompetenten Ausführungen Wagners an den betreffenden Stellen Beachtung finden würden, daß die noch bestehenden Erschwernisse nach solchem Zeugnis fallen, daß besonders Wagners Nachfolger im Berliner Rektorat, Herr Professor Brunner, sich freundlicher zu den berechtigten Ansprüchen der Damen stellen würde. Man durste wohl auch annehmen, daß das Parlament sich nun etwas näher mit diesen Dingen beschäftigen und jener Petition ein geneigtes Gehör schenken werde. Aber nichts von alle­dem geschah. Professor Brunner ging nicht auf die An­regung seines Amtsvorgängers ein, ja er verweigerte sogar dem Fräulein Lange einen Raum in der Universität zur Abhaltung eines Vortrags. Man darf hoffen, daß die am 3. August erfolgte Wahl des bekannten Professors Schmoller endlich einen Umschwung in diese unhaltbaren Zustände bringen werde, wobei freilich nicht vergessen werden darf, daß er auf dem evangelisch-sozialen Kongreß zu Erfurt erklärte, daß die Frau nicht in den Konkurrenzkampf mit den Männern geworfen werde!: dürfe.

Nachdem das Abgeordnetenhaus die erwähnte Petition mindestens ebenso oberflächlich und befangen behandelt hat, als der Reichstag im vorigen Frühsommer das Vereins- und Versammlungsrecht behandelte, wäre es doch endlich an der Zeit, daß unsre Parlamentarier mit mehr Wohlwollen und Unbefangenheit die Frauenfrage prüften und denberechtigten Kern" von der Forderung voller Gleichberechtigung unter­scheiden möchten, die ja doch nur von einem kleinen Teile der Frauenrechtlerinnen geltend geinacht wird. Bei wirklich unbefangenem Verhalten könnten sie nicht dabei stehen bleiben, den geistig begabten und Willensstärken Frauen, deren Sinn und Neigung der geistigen Arbeit zugewendet ist, ihren schon ohnehin schwierigen Weg durch künstliche Einschränkungen erschweren oder verlegen zu wollen. Darin muß in einem Kulturstaate die Frau dem Manne gleichstehen, daß sie sich in allem bilden und fördern darf, wohin Neigung und Begabung sie treibt, und von diesem Standpunkt, den schon Fanny Lewald vor etwa dreißig Jahren mutig und zugleich logisch zu vertreten wußte, müssen die er­schwerenden Bestimmungen für das Frauenstudium an allen deutschen Hochschulen aufs eifrigste bekämpft werden. Darf man doch nicht vergessen, daß jene Frauen, die sich aus reinem, innerem Trieb dem Studium widmen und durch dies mutige. Loslösen vom alten Herkommen sich mit den Anschauungen weiter Kreise in Gegensatz stellen, doch that­sächlich mehr Anerkennung und Wohlwollen zu beanspruchen haben als jene ungezählten Tausende, die in trägem Dahin­träumen, dekoriert durch allerlei wahllose Lektüre, Klavier­spiel oderMalen" ihre Tage müßig hinbringen oder das Vergnügen um jeden Preis" auf ihre Fahne geschrieben haben.

Man begegnet heutzutage häufig der Anschauung, daß eine ernste wissenschaftliche Ausbildung der Frauen in der Gegenwart leichter erworben werden könne als früher. Mir scheint das nur in dem einen Sinne richtig, daß man jetzt mehr als früher Einrichtungen trifft, die solche Ausbildung begünstigen; im übrigen halte ich die geistige Bildung der Frauen jetzt für schwieriger als zu irgend einer andern Zeit. Das moderne bunte Leben erfaßt unsre junge weibliche Welt mit unwiderstehlicher Gewalt; die Zunahme des bürger­lichen Wohlstandes lehrt mit jedem Tage neue Bedürfnisse kennen, der wachsende Luxus mit seinen unerfreulichen Be­gleiterscheinungen drängt den Sinn für geistige Thätigkeit und geistigen Besitz mehr und mehr zurück. Unsreim Zeichen des Verkehrs" stehende Zeit weist mehr als je auf Ausflüge und Reisen hin; die Geselligkeit mit ihren viel­seitigen Abziehungen und künstlerische Genüsse verschiedenster Art fordern ihr Recht, und in diesem lockenden, zerstreuenden Tagestreiben ist ernste,, stille Arbeit und zurückgezogenes Versenken in die Welt des Geistes in ungeahnter Weise er­schwert. Und auf der andern Seite bieten populäre wissen­schaftliche Anregungen verschiedenster Art eine leichte Ge­legenheit, sich mit einem wenn auch trügerischen Schimmer von Kenntnissen und Bildung zu umkleiden und auch dein geistig Trägen so viel Verständnis für Tageserscheinungen

auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet zu ver­mitteln, daß er sich mit leidlichen Ehren an unsrer land­läufigen Tageskonversation beteiligen kann. Dieübertünchte" Halbbildung ist eine hervorstechende Eigenschaft unsrer Zeit.

Durch diese nicht wegzuleugnende Erscheinung begründet sich die Forderung ganz von selbst, daß für ernster strebende Frauen eine Möglichkeit geschaffen werde, sich durch eine straffere geistige Zucht und ernstere Schulung aus dem ver­flachenden Treiben der Gegenwart zu flüchten und ihrer nach geistiger Bethätigung verlangenden Beanlagung ein Feld zu eröffnen, wo sie unter Gleichstrebenden sich unsre besten Bildungsschätze aneignen können, gleichviel, ob diese geistige Arbeit eine Vorbereitung zu einer Prüfung sein und praktische Zwecke verfolgen soll, oder ob sie als Selbstzweck angesehen wird.

Von diesem Gesichtspunkt scheint mir jene Bestimmung der Berliner Universität besonders hart, daßAnmeldungs­bücher nur denjenigen Frauen ausgehändigt werden sollen, die sich auf eine Prüfung vorbereiten und zu dieser einen Nachweis über die gehörten Vorlesungen zu führen haben". Da^drängt sich doch die Frage auf, warum denn die mit der nachgewiesenen genügenden Vorbildung ausgerüstete Dame nicht lediglich zur Erweiterung ihrer allgemeine!; Bildung und ihres geistigen Besitzes an der Berliner Hochschule Vorlesungen hören soll, die ein allgemeines Interesse für sie haben? Warn»; in aller Welt sollen ihr zum Beispiel Vorträge über LilteraMr, Geschichte, Kunst­geschichte, Nationalökonomie und andre verschlossen bleiben ? Eine Furcht vor übergroßem Andrange ist, wie ich bereits öfters darzulegen versucht habe, durchaus eitel unsre deutschen Mädchen sind mit so festen Banden an Haus und Familie gebunden, daß nur ganz willensstarke Naturen mit ausgesprochener Begabung für geistige Arbeit den Anspruch auf Zulassung zu den Studien erheben werden. Wen;; jemand meinen sollte, daß die Zahl von 95 Hörerinnen, die im letzten Winter an der Berliner Universität Vorlesungei; besuchten, doch eigentlich nicht mehr klein zu nennen sei, so muß daran erinnert werden, daß sich unter diesen Damen sehr viele Ausländerinnen befinden, die sich aus Rußland, Schweden, Dänemark, den Balkanstaaten und aus außer­europäischen Ländern hier zusammengefunden haben. Die Zahl der deutschen studierenden Mädchen ist klein und wird voraussichtlich niemals wesentlich zunehmen. Diese wenigen Damen aber haben das Recht auf Rücksicht und Erleichterung ihres reinen, ehrlichen Strebens. Denn ehe sie den end­gültigen Entschluß eines wissenschaftlichen Berufes oder freier Geistesarbeit faßten, haben sie sich selbst sorgfältig geprüft und sich klar gemacht, daß diese Art von Thätigkeit von dem Wege der Weltfreude und des Lebensgenusses weit ab- führt und nicht nur ein bedeutendes Maß von seelischer und geistiger Kraft erfordert, sondern auch ernste Resignation, die darauf gefaßt macht, ihr Streben verkannt zu sehen und mit den traditionellen Anschauungen der Menge über das wahre Wesen der Weiblichkeit in Gegensatz zu treten. Das alles haben sie wohl überlegt und in sich verarbeitet, und nun, da der entscheidende Schritt geschehen soll, sehen sie sich plötzlich vor den Schranken solcher von ödem bureau- kratischen Geiste diktierten und mit alle;; nur denkbaren Verklausulierungen gespickten Bestimmungen! Und die still genährte Hoffnung, daß diese Bestimmungen fallen, daß nach einer unbefangenen Auffassung der wirklichen Sachlage in; Parlament eine wohlwollende Stimmung Platz greifen würde sie ist einstweilen in nichts versunken. Unsre denkenden Frauen und Männer werden de;; Beschluß be­klagen, wenn sie auch nichts an der Thatsache ändern können; einmütig aber können sie protestieren gegen die Behauptung des Regierungsvertreters, daß die Meinungen über die Zu­lassung der Frauen noch nicht geklärt seien. Wer die Sachen kennt und unbefangen urteilt, weiß das Gegenteil. Auch die enragierten Feinde des Frauenstudiums haben nicht be­haupten können, daß die bisher gemachten Erfahrungen un­günstig seien.

Die vor kurzem veröffentlichte Verordnungbezüglich der Zulassung von Frauen als Hörerinnen der philo­sophischen Fakultäten an den österreichischen Universitäten" atmet nicht denselben engen Geist der preußische!; Bestim­mungen, wenn sie auch nicht als ganz einwandfrei zu be­zeichnen ist. Sie bietet aber gegen ungerechtfertige Abweisungen insofern eine gewisse Bürgschaft, als von den; Dekan der philosophischen Fakultät, dem die Aufnahmen übertragen sind, in; Abweisungsfalle an den Minister appelliert werden darf. Der österreichische Unterrichtsminister ist aber ein der Frauenfrage durchaus wohlgesinnter Mann.

Unfern intelligenten und willenskräftigen Frauen bleibt nichts andres übrig, als durch Zufammenschließen und ge­meinsame maßvolle Thätigkeit in Vereinen, Versammlungen und Presse die Freigebung des Frauenstudiums vorzubereitei; und sich durch die gemachte trübe Erfahrung einerseits nicht entmutigen zu lassen, andrerseits sich aber nicht in ihrer leicht verständlichen Verstimmung zu bitteren oder aggressiver; Remonstrationen Hinreißen zu lassen. Wie sich die Gym­nasialkurse für Mädchen trotz allen Widerstandes eingeführt und als notwendige Einrichtung festgesetzt haben, so ist auch die Freigebung des Frauenstudiums an unfern Universitäten eine mit voller Sicherheit zu erhoffende Thatsache immer vorausgesetzt, daß die Damen sich von den; oben gerügten provokatorischen Verhalten und von groben taktischen Fehlern