Heft 
(1898) 11
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178
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Die Aungersteine.

Roman

Gertrud Iranke-Schieveköem.

(Fortsetzung.)

^Jum erstenmal erfaßte Hubert die ganze Fein- heit dieses Hellen Gesichts. Die zierlich ge- ßogene Nase, Mund und Kinn so delikat und energisch, die Haut blaß und klar. An dem ganzen Köpfchen nichts weichlich Verschwommenes. Jede Form fest und doch zart hingesetzt wie von Meisterhand. Und ein Leben in den Augen! ganz hellbraunen Augen mit ein paar dunkleren Pigmentflecken in der goldig-schimmernden Iris, die jetzt, wo das Licht ihr tief hineinschien, deutlich bemerkbar waren.

Und aus diesen sprühenden, fast feindselig auf ihn gerichteten Augen blickte ihn plötzlich etwas an, das ihm schmeichelte, ihn heimlich beglückte, mehr, als der lauteste Willkommengruß es vermocht Hütte.

Er lächelte, fühlte sich auf einmal Herr der Situation.Vielleicht fürchtete ich die Gefahr," sagte er halblaut.

Gefährd" Sie warf geringschätzig die Lippen auf.Hier thut Ihnen keiner was."

So mein' ich's auch nicht," lächelte er überlegen. Aber um Ihnen das zu erklären, müßte ich Sie mit meiner ganzen Lebensgeschichte bekannt machen."

Eine Geschichte?" fragte sie aufhorchend, mit wärmerer Stimme.Sie haben also eine?" Und wie für sich fügte sie seufzend hinzu:Ich wollte, ich hätte auch eine."

Er sah sie so finster an, daß sie betroffen schwieg. Seine täglichen Sorgen, das Gespenst der Zukunft, sein schiefes Verhältnis zur Gesellschaft das stand plötzlich vor ihm wie der Cherub mit dem Schwert.

Er zwang sich zu einem Lächeln.Ein teures Vergnügen, mein Fräulein. Es kostet Herzblut."

Gerade darum!" rief sie, immer mehr aus sich herausgehend.Mein Gott, so hindämmern! Was hat man davon! . . . Wir haben einmal einen Sturm auf dem Atlantic erlebt. Alles ging drunter und drüber. Man dachte jeden Augenblick: adieu, Welt! Als es wieder still wurde, wußte ich auf einmal allerlei, was ich vorher nicht gewußt hatte. Eigne Dinge, die man sonst nicht denkt. Und dann das wundervolle Gefühl: nein, unterkriegen läßt du dich nicht! Von keinem, nicht einmal vom Tode! Ah, es war schön!"

Sie sah, ohne mit der Wimper zu zucken, in das Helle Licht hinein, das breit durch die Fenster strömte. Es lag eine tiefe Sehnsucht in ihrem Blick. Hubert war's, als finge es in seiner Brust an zu brennen, sich zu dehnen, zu wachsen.

Auch eine," hatte ihr Vater gesagt. Ja, gewiß, eine verwandte Natur. Gar nicht wie die andern Weiber, feig und kleinlich, bange vor jedem Schmerz. Das war ihm etwas ganz Neues. Er grübelte, verstummte.

Woran denken Sie?" fragte sie plötzlich.

An Sie," antwortete er ruhig.

Sie sah ihm aufmerksam in die Augen. Nein, es war keine Unverschämtheit, daß er ihr das sagte. Der braucht ja die kleine Münze der Phrasen und Höflichkeiten nicht, dachte sie. Und wie dumm bist du gewesell, sagte sie sich beschämt, dem znzutrauen, daß er sich hatbitten lassen" wollen, aus Dichter­eitelkeit, aus Ziererei... Und daß du ihn deshalb so schlecht behandelt hast.

Und er mußte sie im geheimen mit Johanna vergleichen. Die arme, demütige Johanna, der seine Laune Regen und Sonnenschein war und diese hier, fest und selbstbewußt... so etwas Freies, Sicheres, Mutiges im Blick, in der Haltung.

So hatten sie beide ihre Verwunderung an­einander.

Charlotte, im Bewußtsein, ihn verkannt zu haben und ihm eine Genugthuung schuldig zu sein, lächelte auf einmal mit versteckter Schelmerei.

Soll ich Ihnen auch sagen, was Sie von mir gedacht haben?"

Können Sie Gedanken lesen?"

Ein bißchen. Also: ich bin ein überspanntes Geschöpf. Habe ich recht?"

Iteber Land und Meer.

Nein," sagte er sehr ernst. Es war ihm über­haupt fast unmöglich, eine Sache scherzhaft zu nehmen. Diese Frage, die ihn wirklich tief beschäftigt hatte, am allerwenigsten.

Doch muß ich Ihnen gestehn," sagte er nach­denklich,daß ich noch ein wenig im Dunkeln tappe. Tief, leidenschaftlich, phantasievoll, selbstbewußt ja, das sind Sie. Darauf schwör' ich schon jetzt. Ueberspannt? . . . Nein. Um Gottes willen! Wie können Sie den Begriff nur mit sich in Zusammen­hang bringen?"

Die Wichtigkeit, mit der er ihr Wesen Zu er­gründen suchte, war ihr wieder halb amüsant, halb befremdend. Ein richtiger Kauz, dachte sie.

Sie zuckte voll Uebermnt die Achseln.Meine sogenannten Freundinnen behaupteten es. Weil ich nämlich so eine dumme Art hatte, mit mir selber immer auf dem Kriegsfuße zu stehn. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen?"

Er sah sie staunend an.Sie auch?"

Natürlich! Erst recht! ... So einen ewigen Hunger nach... man weiß selber nicht, was. Ach, und die andern, immer vollkommen mit sich und der Welt zufrieden. . . Und wenn ich nur ein Wort davon laut werden ließ, dann lachten sie mich aus. Ich wurde auch wir legten uns alle große Namen Zu der ,Faust' genannt. Nun, Sie lachen ja nicht "

Er sah sehr wenig danach aus.

Faust," sagte er grübelnd, mit seinen mageren weißen Fingern sein Kinn streichelnd,der Typus des Menschen aus zwei Welten ... den Boden unter den Füßen hat er verloren .. . und wenn er in den Himmel greift, bleibt seine Hand leer..."

Sie lächelte.Und doch kann er's nicht lassen. Und denkt immer, daß er noch einmal einen Stern, oder einen Sonnenstrahl, oder sonst was von da oben erwischen könne," sagte sie heiter scherzend.

Zweilebige Geschöpfe wir alle, wir Künstler," murmelte er, sie tiefsinnig anblickend wie etwas Merkwürdiges, das er nie zu sehn erwartet hatte. Sie sind auch Künstlerin. . . Ihr Vater sagte so etwas . . . Und den ewigen Hunger. . . und den ewigen Kampf..."

Er sprach nicht zu Ende. Und plötzlich, unter einem tiefen Blick, drückte er ihr die Hand, fest und kräftig wie einem Kameraden.

Charlotte hatte ganz betroffen aufgesehn bei dieser unverhofften Vertraulichkeit. Konfessionen waren sonst ihre Sache nicht. Aber dieser Mensch war so anders, so viel einfacher, so viel offener als alle, die sie kannte. In einem dunkeln Drange, sich ihm verständlich zu machen, hatte sie ihm wohl zu viel verraten von ihrem streng verschlossenen Innenleben.

Ein feines Rot der Scham überzog ihr Gesicht. Sie löste ihre Hand hastig aus der seinen.

Hubert, im Punkt der Gesellschaftsregeln nie ganz taktfest, erschrak hinterher über seine Kühnheit. Vielleicht hatte er etwas gethan oder gesagt, was in diesen vornehmen Kreisen verpönt war.

Verzeihen Sie," sagte er schnell und unsicher.

!Sie sehn mich heut Zum erstenmal. Und es ist i vielleicht eine Unart, wenn ein Wildfremder..."

! ' Sie schüttelte den Kopf.Fremd? Ich kenne

^ Sie ganz genau."

!Sie meinen meine Sachen?"

! Sie nickte.

^Herrgott! Für Frauen Hab' ich ja nie. . .

nicht mal meine Gedichte gehören auf den Schreib- ! tisch einer Dame."

!Eine ,Dame' bin ich auch Gott sei Dank nicht,"

^ sagte Lotte in ihrer schnellen, heiteren Art.Als Backfisch hatte ich zwar die größte Lust, eine 'raus­zubeißen. Aber Papa Sie kennen Papa noch nicht genug"

!Ich verstehe ihn schon."

! Sehn Sie, und deshalb liegt auf meinem Schreib-

^ tisch auch so allerlei, was auf diesen unnützen Mö­beln sonst nicht zu liegen Pflegt. Und deshalb. . . nein, das sag' ich Ihnen nicht... Uebrigens," unterbrach sie sich plötzlich weich und vorwurfsvoll, warum wollten Sie nicht zu uns kommen?"

!Einfach, weil ich Sie nicht kannte und mir ganz falsche Vorstellungen. . . und dann meine Ver­hältnisse ..." Ein tiefer Seufzer stieg aus seiner l Brust.

j Sie streifte mit einem flüchtigen' Blick seinen

bescheidenen Anzug und blieb an seinem Kopf hängen. Er war nicht eigentlich schön, obgleich er kräftige und regelmäßige Formen zeigte. Ueber seinen dich­ten Brauen hatten die Widrigkeiten seiner Jugend allerlei abgelagert: Trotz, Verachtung, Verbitterung. Aber höher hinauf war die Stirn hell, friedvoll und von seltener Schönheit.

Ihre Verhältnisse!" rief sie.Nein, so klein­lich dürfen Sie nicht sein. Nein, Sie nicht! Warten Sie nur in ein paar Jahren sehn Sie uns alle über die Achsel an!"

Sie schwieg verwirrt, beschämt, kam sich entsetzlich taktlos vor, an seine Armut gerührt zu haben. Und er hatte es anders gemeint. Die Ketten, mit denen er gebunden war, fielen ihm ein.

Wie sollst du das verstehn? dachte er. Es kam ihm vor, als betrüge er sie. Er atmete auf, als die Thür sich öffnete, und das Zwiegespräch, das eine so unerwartete Wendung genommen hatte, ein Ende fand.

Der Konsul trat ein, eine ältere Dame führend, die etwas unbehülflich auf den Füßen schien. Lotte sprang ihnen entgegen, schob ihren Arm unter den der stattlichen Frau und begleitete sie zum Sofa.

Hier meine Schwester und Antipodin, Frau von Nienstedt," rief der Konsul.Liebe Sophie, dieser Herr empfiehlt sich deiner Huld. Nicht wahr, Herr Hubertus? Thun Sie's nur gleich im Anfänge. Versichern Sie sich ihrer Gunst!"

Frau von Nienstedts ruhiger und etwas strenger Blick ruhte lange prüfend auf dem Gast. Hubert verneigte sich schweigend, steif und durchaus nicht ver­bindlich. Er hatte nicht die geringste Lust, sich irgend jemandes Huld zu empfehlen. Frau von Nien­stedt merkte ihm an, daß diese Einführung durchaus nicht nach seinem Sinne war.

Sie hatten sich alle zwanglos in dem Eckchen mit der Phönixpalme niedergelassen. Lolo saß, kaum sichtbar für Hubert, etwas im Hintergründe. Doch hatte er fortwährend das Bewußtsein ihrer Gegen­wart, wohlthuend, schmeichelnd, als ließe er sich von der Frühlingssonne bescheinen.

Der Konsul war heiter und gesprächig. Alles strömte bei diesem Mann aus dem Vollen. Und verwunderlich war's Hubert, daß das vornehme Haus ihn nicht bedrückte. Aber das bißchen Drum und Dran kam neben diesen Menschen gar nicht in Betracht.

Er suchte sich auch mit der Schwester des Kon­suls ins reine zu setzen. Ihr volles Gesicht hatte etwas Geschlossenes. Sie sprach wenig, doch jedes Wort warwie in Erz gegossen".

Wo ist denn Kläre?" fragte Berghauer auf einmal.

Sie hat die Wirtschaftswoche. Gleich wird sie kommen."

Das arme Ding!" sagte er gutmütig bedauernd.

Lieber Wilhelm"

Pardon, Sophie. Na, der macht's wenigstens Spaß. Aber die Lolo, wenn die die Aufsicht hat der reine Pegasus im Joche."

Ein schlankes Mädchen kam hereingelaufen, ein halbes Kind noch, die vollen Wangen dunkelrot vom jungen warmen Blut. Sie grüßte ein wenig linkisch, und Spott und Befangenheit sahen ihr aus den braunen Augen. Dann ging sie zur Tante und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Sie essen natürlich einen Löffel Suppe mit uns," sagte Berghauer und wollte von einer Wei­gerung nichts wissen.

Hubert blickte einen Moment unschlüssig auf Charlotte. Sie schwieg. Aber ihre lebhaften Au­gen sagten: so bleib doch!

Berghauer hatte mehrmals nach der Thür gesehn.

Jetzt, als sich draußen im Korridor ein Geräusch vernehmen ließ, sagte er zufrieden:Aha! Sie kommt also, die Ueberraschung."

Er hatte seiner Schwester den Arm gereicht. Bitte, noch einen Augenblick. Wir haben noch einen Gast. Ich Hab' ihn mir noch schnell gekapert, als ich unfern Dichter glücklich erwischt hatte."

Kläre rief:Ich weiß, Papa!"

Sie umschlang ihre Schwester und tuschelte, und als sich jetzt die Thür öffnete, lachte sie:Da ist er!"

Karl Wedekind erschien auf der Schwelle und blieb einen Augenblick wie angedonnert stehn.

Na? Hab ich's recht gemacht?" fragte der Konsul.

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