Heft 
(1898) 16
Seite
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Weber Land und Weer.

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Reihe; das darf nicht vergessen werden. Und die Armee! Aber jeder glückliche General ist immer eine Gefahr! Und unter Umständen bilden eine solche Gefahr auch noch andre Glückliche! Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder an, den Zivil- Wallenstein."

Und Sie glauben," warf der Graf hier ein, an dieser scharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich gescheitert?"

Ich glaub' es."

Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wär' es schließlich ein Glück, daß es anders kam und daß wir nicht vor diese Frage gestellt worden sind."

Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag es nicht tadeln) oft über diese Frage gesprochen. Er war natürlich für Neuzeit, also für Experimente. Nun hat er inzwischen das bessere Teil erwählt, und während wir hier sprechen, ist er schon über Trebbin weg. Sonderbar, ich bin nicht allzu viel gereist, aber immer, wenn ich an diesem Neste vorbei kam, hatt' ich das Gefühl: ,jetzt wird es besser, jetzt bist du frei'. Ich kann sagen, ich liebe die ganze Sand­büchse da herum, und bloß aus diesem Grunde."

Der alte Graf lachte behaglich.Und Trebbin wird sich von dieser Ihrer Schwärmerei nichts träumen lassen. Uebrigens haben Sie recht. Jeder lebt zu Hause mehr oder weniger wie in einem Gefängnis. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reisen und speziell gegen die Hochzeitsreiserei. Wenn ich so Personen in ein Coups nach Italien einsteigen sehe, so kommt mir immer ein Dankgefühl, dieses ,höchste Glück aus Erden' nicht mehr mitmachen zu müssen. Es ist doch eigentlich eine Qual, die man sich auferlegt, und mau wird auch wieder davon zurückkommen; über kurz oder lang wird man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon steigt, bloß von Berufs wegen. Das hat dann einen Sinn. Aber nicht um des Ver­gnügens willen. Und wozu denn auch? In alten Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt kommt allerorten der Berg aus uns zu. Das Beste vom Parthenon sieht man jetzt in London und das Beste von Pergamum in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich, sagen wir am Kupser- graben, im Laufe des Vormittags in Mykeuä und nachmittags in Olympia ergehn."

Ganz Ihrer Meinung, teuerster Graf. Aber doch zugleich auch ein wenig betrübt. Sie so dezi­diert gegen alle Reiserei zu finden. Ich stand näm­lich auf dem Punkte, Sie nach Stechliu hin ein­zuladen, in meine alte Kate, die meine guten Glob- sower unentwegt ein ,Schloß' nennen."

Ja, lieber Stechlin, das ist was andres. Und um Ihnen ganz die Wahrheit zu sagen, wenn Sie mich nicht eingeladen hätten (eigentlich ist es ja noch nicht geschehn, aber ich greife kühnlich vor), so hätt' ich mich bei Ihnen angemeldet. Das war schon lange mein Plan."

In diesem Augenblicke ging draußen die Klingel. Es war Melusine.

Bringe den Vätern, respektive Schwiegervätern allerschönste Grüße. Die Kinder sind jetzt mutmaß­lich schon über Wittenberg, die große Luther- und Apfelkuchenstation, hinaus und in weniger als zwei Stunden in Dresden. O diese Glücklichen! Und dabei verwett' ich mich, Armgard hat bereits Sehn­sucht. Vielleicht nach mir."

Kein Zweifel," sagte Dubslav. Die Gräfin selbst aber fuhr fort:Ehe man nämlich ganz Abschied von dem alten Leben nimmt, sehnt man sich noch einmal gründlich danach zurück. Freilich, Schwester Armgard wird weniger davon empfinden als andre. Sie hat eben den liebenswürdigsten und besten Maun, und ich könnt' ihn ihr beinah' beneiden, trotzdem ich noch im Abschiedsmoment einen wahren Schreck kriegte, weil ich ihn sagen hörte, daß er morgen vormittag mit der armen Armgard vor die Sixtinische Madonna treten wolle. Bei welchen Worten er noch dazu wie verklärt aussah. Und das sind' ich einfach unerhört. Warum unerhört, werden Sie mich vielleicht fragen. Nun denn, weil es erstens eine Beleidigung ist, sich aus eine Madonna so ex­trem zu freuen, wenn man eine Braut oder gar eine junge Frau zur Seite hat, und zweitens, weil dieser geplante Galeriebesuch ein Mangel an Dispo­

sition bedeutet, der mich für Woldemars ganze agrarische Zukunft besorgt machen kann. Denn rich­tige ,Dispositionen', wie man mir sagt, sind in der Landwirtschaft alles. Aber lassen wir was kommt, und bleiben wir bei der Gegenwart. Jedenfalls fährt er jetzt in das Land der Madonnen hinein und will da doch mutmaßlich mit frischen Kräften antreten; wenn er sich aber schon in Deutschland etappenweise vertrödelt, so wird er, wenn er in Rom ist, wohl sein Programm ändern müssen, und statt im Palazzo Borghese zu schwelgen, nebenan im Cafs Cavour eine Berliner Zeitung lesen. Wir werden nämlich jetzt Weltstadt und wachsen mit unsrer Presse dann und wann schon über Charlotten­burg hinaus ... Uebrigens läßt auch die Baronin bestens grüßen. Eine reizende Frau, Herr von Stech­lin, die grad Ihnen gefallen würde. Glaubt eigent­lich gar nichts und geriert sich dabei streng katholisch. Das klingt widersinnig und ist doch richtig und reizend zugleich. All die Süddeutschen sind über­haupt viel netter als wir, und die nettesten, weil die natürlichsten, sind die Bayern."

XXXVI.

Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf seinem Granseer Bahnhof eintraf, fand da Martin und seinen Schlitten bereits vor. Engelke hatte zum Glück für warme Sachen gesorgt, denn es war in­zwischen recht kalt geworden. Im ersten Augenblick that dem Alten, in dessen Coups die herkömmliche Stickluft gebrütet hatte, der draußen wehende Ost­wind wohl, sehr bald aber stellte sich ein Frösteln ein. Schon tags zuvor, bei Beginn seiner Reise, war ihm nicht recht wohl gewesen, Kopsweh, Druck auf die Schläfe; jetzt war derselbe Zustand wieder da. Trotzdem nahm er's leicht damit und sah in das Sternengeflimmer über ihm. Die wie Riesen­besen ausragenden Pappeln warfen dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er die nach links und rechts hin liegenden toten Schneeselder mit den wechselnden Bildern alles dessen belebte, was ihm der zurückliegende Tag gebracht hatte. Da sah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel- Marmortreppe samt dem Oberkellner in Gesandt- schaftsattachshaltung, und im nächsten Augenblicke den Küster der Garnisonkirche, den er anfänglich für einen als Gast geladenen Konsistorialrat gehalten hatte. Da­neben aber stand die blasse, schöne Braut und die reizende, bieg- und schmiegsame Melusine.Ja, der alte Barby, wenn er auf die sieht, der hat's gut, der kann es aushalten. Immer einen guten und klugen Menschen um sich haben, immer was hören und sehen, was einen anlacht und erquickt, das ist was. Aber ich! Ich für mein Teil, gleichviel ob mit ob ohne Schuld, ich war immer nur aus ein Pflichtteil gesetzt, als Kind, weil ich faul war, und als Lieutenant, weil ich nicht recht was hatte. Dann kam ein Lichtblick. Aber gleich danach starb sie, die mir Stab und Stütze hätte sein können, und durch all die dreißig Jahre, die seitdem kamen und gingen, blieb mir nichts als Engelke (der noch das beste war) und meine Schwester Adelheid. Gott verzeih mir's, aber ein Trost war die nicht; immer bloß herbe wie 'n Holzapfel."

Unter solchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf ein und hielt gleich danach vor der Thür seines alten Hauses. Engelke war schon da, hals ihm und that sein Bestes, ihn aus der schweren Wolfs­schur herauszuwickeln. Der immer noch Fröstelnde stapfte dabei mit den Füßen, warf seinen Staats­hut den er unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal verwünscht hatte mit ersichtlicher Be­friedigung beiseite und sagte gleich danach beim Ein­treten in sein Zimmer:Ach, das is recht, Engelke. Du hast ein Feuer gemacht; du weißt, was einem alten Menschen paßt. Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch heißes Wasser ist? So 'n fester Grog, der sollte mir jetzt gut thun; ich friere Stein und Bein."

Heiß Wasser is nich mehr, gnädiger Herr. Aber ich kann ja 'ne Kasseroll' ausstellen. Oder noch besser, ich hole den Petroleumkocher."

Nein, nein, Engelke, nicht so viel Umstände. Das mag ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erst recht nich; da kriegt man bloß Kopsweh, und ich habe schon genug davon. Aber bringe mir den Cognac und kaltes Wasser. Und wenn man dann

so halb und halb nimmt, dann is es so gut, als wär' es ganz heiß gewesen."

Engelke brachte, was gefordert, und eine Viertel­stunde danach ging Dubslav zu Bett.

Er schlief auch gleich ein. Aber bald war er wieder wach und druste nur so hin. So kam der Morgen heran.

Als Engelke zu gewohnter Stunde das Frühstück brachte, schleppte sich Dubslav mühsamlich von seinem Schlafzimmer bis an den Frühstückstisch. Aber es schmeckte ihm nicht.Engelke, mir ist schlecht; der Fuß ist geschwollen, und das mit dem Cognac gestern abend war auch nicht richtig. Sage Martin, daß er nach Gransee fährt und Doktor Sponholz mit­bringt. Und wenn Sponholz nicht da ist der arme Kerl kutschiert in einem fort rum; ohne Land­praxis geht es nicht dann soll er warten, bis er kommt."

Es traf sich so, wie Dubslav vermutet hatte; Sponholz war wirklich aus Landpraxis und kam erst nachmittags zurück. Er einen Bissen und stieg dann aus den Stechliner Wagen.

Na, Martin, was macht denn der gnäd'ge Herr?"

Joa, Herr Doktor, ick möt doch seggen, he seiht en beten verännert nt; em wihr schon nich so recht letzten Sünndag nn doa müßt' he joa nu grad nach Berlin. Un ick weet schon, wenn ihrst een' nach Berlin muß, denn is ook ümmer Wat los. Ick weet nich, Wat se doa mit 'n ollen Minschen moaken."

Ja, Martin, das is die große Stadt. Da übernehmen sie sich daun. Und dann war ja auch Hochzeit. Da werden sie wohl ein bißchen gepichelt haben. Und vorher die kalte Kirche. Und dazu so viele seine Damen. Daran ist der gnäd'ge Herr nicht mehr gewöhnt, und dann will er sich berappeln und strengt sich an, und da hat man dann gleich was weg."

Es dämmerte schon, als der kleine Jagdwagen aus der Rampe vorsuhr. Sponholz stieg aus und Eugelke nahm ihm den grauen Mantel mit Doppel­kragen ab und auch die hohe Lammsellmütze, drin er freilich das einzige an ihm, das diese Wirkung ausüben konnte wie ein Perser aussah.

So trat er denn bei Dubslav ein. Der alte Herr saß an seinem Kamin und sah in die Flamme.

Nun, Herr von Stechlin, da bin ich. War über Land. Es geht jetzt scharf. Jeder dritte hustet und hat Kopsweh. Natürlich Influenza. Ganz verdeubelte Krankheit."

Na, die wenigstens Hab' ich nicht."

Kann man nicht wissen. Ein bißchen fliegt jedem leicht an. Nun, wo sitzt es?"

Dubslav wies aus sein rechtes Bein und sagte: Stark geschwollen. Und das andre sängt auch an."

Hm. Na, wollen mal sehen. Darf ich bitten?"

Dubslav zog sein Beinkleid heraus, den Strumpf herunter und sagte:Da is die Bescherung. Gicht ist es nicht. Ich habe keine Schmerzen . .. Also was andres."

Sponholz tippte mit dem Finger auf dem ge­schwollenen Fuß herum und sagte dann:Nichts von Belang, Herr von Stechlin. Einhalten, Diät, wenig trinken, auch wenig Wasser. Das verdammte Wasser drückt gleich nach oben, und dann haben Sie Atemnot. Und von Medizin bloß ein paar Tropfen. Bitte, bleiben Sie sitzen; ich weiß ja Bescheid hier." Und er ging an Dubslavs Schreibtisch heran, schnitt sich ein Stück Papier ab und schrieb sein Rezept. Ihr Kutscher, das wird das beste sein, kann bei der Apotheke gleich mit Vorfahren."

Im Vorflur, nach Verabschiedung von Dubslav, fuhr Sponholz alsbald wieder in seinen Mantel. Engelke hals ihm und sagte dabei:Na, Herr Doktor?"

Nichts, nichts, Engelke."

Martin und der Jagdwagen hielten noch wartend aus der Rampe draußen, und so ging es denn in rascher Fahrt wieder nach der Stadt zurück, von wo der alte Kutscher die Tropfen gleich mitbringen sollte.

Der Winterabend dämmerte schon, als Martin wieder zurück war und die Medizin an Engelke ab­gab. Der brachte sie seinem Herrn.

Sieh mal," sagte dieser, als er das rund­liche Fläschchen in Händen hielt,die Granseer werden jetzt auch sein. Alles in rosa Seidenpapier