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Ueöer Land und Meer.
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Aber rede mir nich von dem Doktor. Ich mag unrecht haben, aber ich will ihn nicht. Sage, wie steht das eigentlich mit der Buschen? Die soll ja doch Herbst vorm Jahr Kossät Rohrbecks Frau wieder aus die Beine gebracht haben."
„Ja, die Buschen..."
„Na, was meinst du?"
„Ja, die Buschen, die weiß Bescheid. Versteht sich. Man bloß, daß sie 'ne richtige alte Hexe is, und um Walpurgis is sie meistens weg. Un die Mächens gehen immer Sonnabends hü:, ganz still und heimlich, wenn's schummert, und Uncke hat auch schon welche notiert und Anzeige gemacht. Aber sie streiten alle Stein un Bein, und ein paar haben auch schon geschworen, sie wüßten von gar nichts."
„Kann ich mir denken. Und vielleicht war's auch nich so schlimm. Und dann, Engelke, wenn du meinst, daß sie so gut Bescheid weiß, da wär's am Ende das beste, du gingst mal hin oder schicktest wen. Denn deine alten Beine wollen auch nich mehr so recht, und außerdem is Schlackerwetter. Und wenn du mir auch noch krank wirst, so Hab' ich ja keine Katze mehr, die sich um mich kümmert. Woldemar is weit weg. Und wenn er auch in Berlin wäre, da hat er doch seinen Dienst und seine Schwadron und kann nich den ganzen Tag bei seinem alten Vater sitzen. Und außerdem, Krankenpflegen ist überhaupt was Schweres, und darum haben auch die Katholiken 'nen eignen Segen dafür. Ja, die verstehn es. So was verstehn sie besser als wir."
„Nei, gnäd'ger Herr, besser doch Wohl nich."
„Na, lassen wir's. So was is immer schwer festzustellen, und weil heutzutage so vieles schwer festzustellen ist, haben sich die Menschen das angeschafft, was sie 'ne ,Enquete' nennen. Keiner kann sich freilich so recht was dabei denken. Ich gewiß nicht. Weißt du, was es ist?"
„Nei, gnäd'ger Herr."
„Siehst du! Du bist eben ein vernünftiger Mensch und hast einfach ein Einsehn davon, daß es eigentlich am besten wäre, wenn ich zu der Buschen schicke. Was die Leute von ihr reden, geht mich nichts an. Und dann bin ich auch kein Mächen. Und Uncke wird mich ja wohl nicht aufschreiben."
Engelke lächelte: „Na, gnäd'ger Herr, dann werd' ich man unten mit unse' Mamsell Pritzbur sprechen; die kann denn die lntte Marie 'rausschicken. Marieken is letzten Michaelis erst eingesegnet, aber sie war auch schon draußen."
Noch an demselben Nachmittag erschien die Buschen im Herrenhause. Sie hatte sich für den Besuch etwas zurecht gemacht und trug ihre besten Kleider, auch ein neues schwarzes Kopftuch. Aber man konnte nicht sagen, daß sie dadurch gewonnen hätte. Fast im Gegenteil. Wenn sie so mit 'nem Sack über die Schulter oder mit 'ner Kiepe voll Reisig aus dem Walde kam, sah man nichts als ein altes, armes Weib; jetzt aber, wo sie bei den: alten Herrn eintrat und nicht recht wußte, warum man sie gerufen, sah man ihr die Verschlagenheit an, und daß sie für all und jedes zu haben sei.
Sie blieb an der Thür stehen.
„Na, Buschen, kommt man 'ran oder stellt Euch da ans Fenster, daß ich Euch besser sehn kann. Es ist ja schon ganz schummrig."
Sie nickte.
„Ja, mit nur is nich mehr viel los, Buschen. Und nu is auch noch Sponholz weg. Und den neuen Berlinschen, den mag ich nicht. Ihr sollt ja Kossät Rohrbeckens Frau damals wieder aus die Beine gebracht haben. Mit mir is es auch so was. Habt Ihr Courage, mich in die Kur zu nehmen? Ich zeig' Euch nicht an. Wenn einem einer hilft, is das andre alles gleich. Also nichts davon. Und es soll Euer Schaden nicht sein."
„Ick weet joa, jnäd'ger Herr . . . Se wihren joa nich. Un denn de Lüd', de denken ümmer, ick kann hexen un all so wat. Ick kann awer joar nix un hebb man blot en beten Liebstöckel un Wacholder un Allermannsharnisch. Un allens blot, wie't sinn muß. Un de Gerichten können mi nix dohn."
„Is mir lieb. Und geht mich übrigens auch nichts an. Mit so was komm' ich Euch nich. Kann .Gerichte' selber nich gut leiden. Und nu sagt mir,
Buschen, wollt' Ihr den Fuß sehn? Einer is genug. Der andre sieht ebenso aus. Oder doch beinah'."
„Nei, jnäd'ger Herr. Loaten's man. Ick weet joa, wi dat is. Jhrst sitt et hier up de Bost, un denn sackt et sich, un denn sitt et hier unnen. Un is all een un dat sülwige. Dat möt allens 'rut, un wenn et 'rut is, denn drückt et nich mihr, un denn künnen Se wedder gapsen."
„Gut. Leuchtet mir ein. M muß 'rut,' sagt Ihr. Und das sag' ich auch. Aber womit wollt Jhr's ,'rut'bringen? Das is die Sache. Welche Mittel, welche Wege?"
„Joa, de Mittel hebb ick. Un hebben wi ihrst de Mittel, denn sinnen sich ook de Weg'. Ick schick' hüt noch Agnessen mit twee Tüten; Agnes, dat is Karlinen ehr lütt Deern."
„Ich weiß, ich weiß."
„Un Agnes, de sall denn unnen in de Küch' goahn, to Mamsell Pritzbur, un de Pritzburn de sall denn den Thee moaken för'n jnäd'gen Herrn. Morgens ut de Witte Tüt', un abens ut de blue Tüt'. Un ümmer man 'nen gestrichnen Eßlöffel vull Än nich to veel Woater; awers bullern möt et. Un wenn de Tüten all sinn, denn is et 'rut. Dat Woater nimmt dat Woater weg."
„Na gut, Buschen. Wir wollen das alles so machen. Und ich bin nicht bloß ein geduldiger Kranker, ich bin auch ein gehorsamer Kranker. Nun will ich bloß noch wissen, was Ihr mir da in Euern Tüten schicken wollt, in der Weißen und in der blauen. Is doch kein Geheimnis?"
„Nei, jnäd'ger Herr."
„Na also."
„In de Witte Tüt' is Bärlapp un in de blue Tüt' is, Wat de Lüd' hier Katzenpoot nennen."
„Versteh', versteh'," lächelte Dubslav, und dann sprach er wie zu sich selbst: „Nu ja, das kann schon Helsen. Dazwischen liegt eigentlich die ganze Geschichte. Mit Bärlapppulver zum Einstreuen fängt die süße Gewohnheit des Daseins an und mit Katzenpfötchen hört es aus. So verläuft's. Katzenpfötchen sind ja die gelben Immortellen, woraus sie die schrecklichen Kränze machen... Na, wir wollen sehn."
An demselben Abend kam Agnes und brachte die beiden Tüten, und es geschah, was beinahe über alles Erwarten hinaus lag: es wurde wirklich besser. Die Geschwulst schwand, und Dubslav atmete leichter. „Dat Woater nimmt dat Woater", an diesem Hexenspruch, den er, wenn er mit Engelke plauderte, gern citierte, richteten sich seine Hoffnungen und seine Lebensgeister wieder auf. Er war auch wieder für Bewegung und ließ, wenn es das Wetter irgendwie gestattete, seinen Rollstuhl nicht bloß auf die Veranda hinausschieben, sondern fuhr auch um das Rundell herum und sah dem kleinen Springbrunnen zu, der wieder sprang. Ja, es kam ihm vor, als ob er höher spränge. „Findest du nich auch, Engelke? Vor vier Wochen wollt' er nich. Aber es geht jetzt wieder. Alles geht wieder, und es ist eigentlich dumm, ohne Hoffnung zu leben; wozu hat man sie denn?"
Engelke nickte bloß und legte die Zeitungen, die gekommen waren, auf einen neben dem Frühstückstisch stehenden Gartenstuhl, zu unterst die „Kreuzzeitung" als Fundament, auf diese die „Post" und dann die Briefe. Die meisten waren offen, Anzeigen und Anpreisungen, nur einer war geschlossen, ja sogar gesiegelt. Poststempel: Berlin. „Gieb mir mal das Papiermesser, daß ich ihn manierlich aufschneiden kann. Er sieht nach was aus, und die Handschrist is wie von 'ner Dame, bloß ein bißchen zu dicke Grundstriche."
„Is am Ende von der Gräfin."
„Engelke," sagte Dubslav, „du wirst mir zu klug. Natürlich is er von der Gräfin. Hier is ja die Krone."
Wirklich, es war ein Brief von Melusine, samt einer Einlage. Melusinens Zeilen aber lauteten am Schluß: „Und nun bitt' ich, einen Brief beilegen zu dürfen, den unsre liebe Baronin Berchtesgaden gestern aus Rom erhalten hat, also von Armgard, deren Glück ich aus diesem Brief und allerhand kleinen, ihrem Charakter eigentlich fernliegenden Uebermütigkeiten erst so recht ersehe."
Dubslav nickte. Dann nahm er die Einlage
und las: „Nom, im März. Teuerste Baronin. An wen könnt' ich von hier aus lieber schreiben als an Sie? Vatikan und Lateran und Grabmal Pio Nonos, und wenn ich Glück habe, so bin ich auch noch mit dabei, wenn am Gründonnerstage der große Segen gespendet wird. Man muß eben alles mitnehmen. Von Rom zu schwärmen, ist geschmacklos und nutzlos dazu, weil man an die Schwärmerei seiner Vorgänger doch nie heranreicht. Aber von unsrer Reise will ich Ihnen erzählen. Wir nahmen den Weg über den Brenner und waren am selben Abend noch in Verona. ,Torre di LondraL Was mich andern Tags in der Capuletti- und Montecchi-Stadt am meisten interessierte war ein großer Parkgarten, der Mardino Giusti', mit über zweihundert Cypressen, alle fünfhundert Jahre alt und alle beinah' so hoch wie das Berliner Schloß. Ich ging mit Woldemar auf und ab, und dabei berechneten wir uns, ob wohl auch schon die schöne Julia hier aus und ab gegangen sei? Nur eins störte uns. Zu solcher Prachtavenue von Trauerbäumen gehört als Abschluß notwendig ein Mausoleum. Das fehlt aber. Im Mardino Giusti' trafen wir Hauptmann von Gaza vom ersten Garderegiment, der, von Neapel kommend, bereits alle Schönheit Italiens gesehn hatte. Wir fragten ihn, ob Verona, wie einem beständig versichert würde, wirklich die ,italienischste der italienischen Städte' sei? Hauptmann von Gaza lachte. ,Von Potsdam', meinte er, ,kann man vielleicht sagen, es sei die preußischste Stadt. Aber Verona die italienischste? Nie und nimmer.'
„Aus Venedig an dieser Stelle nur einen kleinen Zug. Unser Hotel lag ganz in der Nähe einer mit Barock überladenen Kirche: San Mose. Daß es einen Sankt Moses giebt, war mir fremd und verwunderlich zugleich. Aber dann dacht' ich (und war beruhigt) an unsre Gendarmentürme!"
„Florenz überspring' ich und erzähle Ihnen gleich lieber vom Trasimenischen See, den wir auf unsrer Eisenbahnfahrt passierten. Woldemar, ein ganz klein wenig ein Taschen-Moltke, mochte nicht darauf verzichten, auch den großen Hannibal auf Herz und Nieren zu prüfen, und so stiegen wir denn in der Nähe des Sees aus, an einer kleinen Station, die, glaub' ich, Borghetto-Tuoro heißt. Es war auch für einen Laien über Erwarten interessant, und selbst ich, die ich gar keinen Sinn für derlei Dinge habe, verstand alles, fand mich in allem Zurecht. Ja, ich hatte das Gesühl, daß ich in diesem hochgelegenen Engpaß ebenfalls über die Römer gesiegt haben würde. Der See hat viele Zu- und Abflüsse. Einer dieser Abflüsse (künstlich; ein bloßer Kanal) nennt sich der Mnissarius', was mich sehr erheiterte. Noch interessanter aber erschien mir ein andrer Flußlauf, der, weil er am Schlachttage sich von Blut rötete, der ,Sanguinetto' heißt. Das Diminutiv steigert hier noch die Wirkung. Der See ist übrigens sehr groß, zehn Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erste Napoleon ihn auspumpen lassen wollte. Da hätte sich dann ein neues Herzogtum draus machen lassen..."
„Schau, schau," sagte Dubslav, „wer der blassen Comtesse mit den großen Augen das zugetraut hätte! Ja, reisen und in den Krieg ziehn, da wird man
anders." Und er legte den Brief beiseite. Zu
gleich aber war ein stilles Behagen über ihn gekommen, und er überdachte, wie manche Freude
doch das Leben habe. Vor ihm, in den Park
bäumen, schlugen die Vögel, und ein Buchfink kam bis auf seinen Tisch und sah ihn an, ganz ohne Scheu. Das that ihm ungemein wohl. „Etwas ganz besonders Schönes im Leben ist doch das Vertrauen, und wenn's auch bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt. Einige haben eine schwarze Milz und sagen: alles sei von Anfang an auf Mord und Totschlag gestellt. Ich kann es so schlimm nicht finden."
Engelke kam, um abzuräumen. „Is ein schöner Tag heut," sagte Dubslav, „und die Krokusse kom-, men auch schon 'raus. Eigentlich Hab' ich nich geglaubt, daß ich so was Hübsches noch mal sehn würde. Und wenn ich dann denke, daß ich das alles der Buschen verdanke! Merkwürdige Welt! Sponholz hatte bloß immer seine grünen Tropfen, und Moscheles hatte nichts als seinen ewigen Torgelow, und nu kommt die Buschen, und mit einem Mal is es besser. Ja, wirklich merkwürdig. Und nu