unberücksichtigt zu lassen. Auf Fontanes Romane und Erzählungen kann man allerdings dieses Verfahren — mit einer Ausnahme — nicht anwenden, da zur Zeit nur die Satzvorlage für die Erstausgabe von „Ellernklipp" vorhanden ist. (Es wäre deshalb wünschenswert, wenn von dieser Erzählung einmal eine Art kritische Modelledition erarbeitet würde, die zugleich die Möglichkeit böte, Editionsmethoden und Editionstechniken praktisch zu erproben.) Für alle anderen Romane und Erzählungen Fontanes müfjte der Vorabdruck oder die erste Buchausgabe die Vorlage für den zu edierenden Text bilden, da es nicht angeht, innerhalb eines Werkes nach unterschiedlichen Editionsprinzipien zu verfahren. Um so dringender aber ist es geboten, dafj der Herausgeber die Leser auf die Probleme aufmerksam macht und sie über die von den Setzern stammenden Deformierungen orientiert. Die vollständige Verzeichnung der akzidentiellen Lautvarianten erscheint mir dabei wichtiger als die penible Registrierung des „historisch orthographischen Abfalls" 89 .
Im Lichte der Theorie von Greg und Bowers sollte die verbreitete Auffassung neu überdacht werden, wonach dem edierten Text einer kritischen Edition nur dann anstelle des Erstdrucks dessen Satzvorlage zugrunde gelegt werden darf, wenn diese vollständig überliefert ist und wenn der Autor nachweislich keine Korrektur gelesen hat (oder — was nur in Ausnahmefällen vorkommt — wenn Korrekturabzüge überliefert sind, deren vom Autor korrigierter Satz mit dem Druck übereinstimmt ). 90 Die erste Bedingung — vollständige Überlieferung der Satzvorlage — bleibt unbestritten (wie oben bereits ausgeführt): für die zweite schlage ich eine Modifikation vor: Zwar mufj, wenn der Autor Korrekturen im Schriftsatz vorgenommen hat, die Korrekturabzüge aber nicht mehr vorhanden sind, der Druck den edierten Text bilden; für die akzidentiellen Lautvarianten aber ist die in der autorisierten Satzvorlage dokumentierte Form maßgebend. Dasselbe gilt für die Interpunktion sowie für die rein orthographischen Differenzen, sofern die Rechtschreibung nicht generell behutsam modernisiert wird. Ausgeschlossen bleiben Änderungen, für die sich kein Beleg beibringen läßt, etwa Rekonstruktionen nach dem Analogieprinzip in Fällen, wo in einer Handschrift nur wenige Seiten fehlen oder einzelne Textstellen infolge Beschädigung unleserlich geworden sind. Das Verfahren darf auch nicht auf die „substantive variants" übertragen werden, selbst dann nicht, wenn der Herausgeber davon überzeugt ist, dafj solche Varianten in dem einen oder anderen Falle nicht vom Autor stammen, weil es sich um typische Setzerversehen wie Auslassungen, Erweiterungen, Vertauschungen, Ersetzungen von Buchstaben, Silben, Wörtern oder Satzteilen 91 handelt. Hier würden Eingriffe eine Kontamination zweier Textfassungen bedeuten. Die Oberflächenrestaurierung (im Bereich der „acci- dentals") des verderbten, überfremdeten, „verwitterten " 92 Textes dagegen ist kein kontaminierendes oder eklektisches Verfahren; sie wirkt vielmehr den Deformierungstendenzen entgegen, denen ein literarisches Werk „im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" (W. Benjamin) zwangsläufig unterliegt.
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Die von mir vorgeschlagene Methode der Textkonstituierung ist zwar weit interessanter für eine kritische Keller-, Raabe- oder Storm-Edition — da von diesen Autoren in beträchtlichem Umfang handschriftliche Satzvorlagen erhal-
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