Heft 
(1987) 44
Seite
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finden, aus dem sie der daran interessierte Benutzer mühsam herauszusor­tieren hätte. Doch trifft der Ausdruck original hier nur annäherungs- bzw. teilweise zu; denn für den Vorabdruck vonSchach von Wuthenow" fehlt die Möglichkeit einer exakten Kontrolle, und fürUnwiederbringlich" ist nur eine partielle Dokumentation möglich. Ich hielte deshalb eine detaillierte Beschrei­bung der orthographischen Differenzen, verbunden mit der Erläuterung ihrer Ursachen und veranschaulicht durch eine exemplarische Auflistung im Bereich einzelner Kapitel für sinnvoller als deren lückenlose Verzeichnung. Selbstverständlich gibt es auch orthographische und Interpunktionsvarianten, die den Text in seiner Struktur berühren, besonders auf dem Felde der Grofj- oder Klein- wie der Getrennt- oder Zusammenschreibung, und daß ein falsch gesetztes oder ein fehlendes Komma den Sinn einer Aussage verändern kön­nen, ist allgemein bekannt. Nicht in jedem Falle läßt sich mit letzter Sicherheit spontan entscheiden, ob eine Augenvariante nicht auch zugleich eine Laut­variante ist. Ein Herausgeber, der zwischen Textvarianten und Textdifferenzen unterscheidet und diese Unterscheidung bei seiner Textkonstituierung berück­sichtigt, muß die Stileigentümlichkeiten und Schreibgewohnheitenseines" Autors genau kennen und darf seine Entscheidung nicht allein von der einzel­nen Werkstelle her treffen. Auf diese Weise bleibt für die Textkonstituierung ein subjektiver Spielraum, der sich durch langfristige Arbeitsvorbereitung und kollektive Herausgeberschaft zwar einschränken, nicht aber völlig aufheben läßt. Wer Textphilologie als eine schöpferische und nicht als eine ausschließ­lich (wenn auch hochqualifizierte) mechanische Tätigkeit versteht, wird das nicht unbedingt als einen Nachteil ansehen.

Größeres Gewicht als die orthographischen Differenzen haben für die Qualität eines Textes jeneaccidental variants", die phonetische Unterschiede betreffen, den Lautstand sowohl als auch die elidierten oder nicht elidierten Wortformen. Hier sind weder Normierungen noch Modernisierungen am Platze. Wer immer ein älteres literarisches Werk als Neudruck herausbringt und dies nicht allein deshalb tut, um es als historisches Dokument vcrzustellen, der sollte der Inten­tion des Autors in bezug auf Lautstand und Wortformen so nahe wie möglich zu kommen versuchen. Daß die Überlieferungslage dieser Forderung Gren­zen setzt, schränkt ihre prinzipielle Gültigkeit nicht ein. Sofern die vom Autor angefertigte oder in seinem Auftrag abgeschriebene und von ihm autorisierte Satzvorlage vollständig überliefert ist, sollten, der Editionstheorie von Greg und Bowers gemäß, in diesem Bereich die Veränderungen, die der Text wäh­rend des technischen Produktionsprozesses erfahren hat, rückgängig gemacht werden, sofern sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als bewußte oder versehentliche Eingriffe Fremder ausgemacht werden können. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß man eine exakte Unterscheidung zwischensubstantive variants" undaccidental variants" trifft und präzis festlegt, welche Arten vonaccidentals" man als die Struktur des Textes tan­gierende gelten läßt. Dem Einwand, daß man ja, wenn die vom Autor benutz­ten Korrekturabzüge verschwunden sind, nicht genau wissen könne, ob die eine oder andere Veränderung nicht vielleicht eine Autorvariante ist, und sich deshalb doch lieber an die Überlieferung halten solle, diesem Einwand läßt sich damit begegnen, daß es besser ist, gelegentlich gegen den Autorwillen zu verstoßen, als diesen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wissentlich

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