Satzspiegels, des Buchformats, des Einbandes und der Papiersorte verlangen — und hätte doch statt des Originals nur dessen Imitation in der Hand und vor Augen! Es ist nicht möglich, hier all die Gründe aufzuzählen, die seriöse Verleger, die wissenschaftlich gebildete Buchredakteure und Herausgeber veranlassen, ihre Aufgabe „nicht in einer genauen Übernahme des Erstdrucks mit seinen Zufälligkeiten und Fehlern " 87 zu sehen. Gefragt aber werden muß: Wer mag und kann entscheiden, ob das „Ungenügen an den Klassikern" — wo und bei wem? — darin begründet liegt, daß sie „immer wieder zeitgenössisch verkleidet werden" 88 , oder ob nicht gerade der philologische Historismus jene „Einschüchterung durch die Klassizität" mitverschuldet hat und weiter mitverschuldet, von der Bertolt Brecht gesprochen hat und um deren Behebung er bemüht war.
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Was nun Fontane angeht, so wird nach meiner Ansicht der Text in seiner Substanz in keiner Weise verändert, ob ich nun (wie der Autor) kommandirt oder (nach Vorabdruck und Buchausgabe) commandirt oder aber (gemäß Duden-Regel) kommandiert drucken lasse. Muß ich Kolonnade zu Colonnade ändern, Kommando zu Commando, Operettenakt zu Operettenact, Prozeß zu Proceß, muß ich mich wirklich den Setzern fügen oder irgendwelchen Hausregeln der Druckereien, nur weil die „historische Faktizität" es nicht erlaubt, Fontanes „modernere" Schreibweise beizubehalten? Denn dessen Salzvorlage von „Unwiederbringlich" ist nicht vollständig überliefert und kommt deshalb als zu edierender Text nicht in Frage. Andererseits erscheinen mir (in den Drucken berichtigte) Fontanesche Schreibungen wie Roccoco oder Kiehnspahn kaum überlieferungswürdig; bei Knax oder Knix würde ich schon eher schwanken. Und wenn nun gar in den Drucken Capitän steht und in der Vorlage Capitain, dann glaube ich mich berechtigt, das Wort in Capitaine zu korrigieren (es handelt sich um einen Hauptmann, nicht um einen Schiffskapitän) ■ denn ich erspare mir und den Lesern eine Anmerkung, die zudem noch, ■expressis verbis oder nicht, den Zeigefinger des Schulmeisters — „Hier irrte Fontane!" — erkennen ließe.
Das alles gilt für Leseausgaben und für solche Studienausgaben — unter diesem Ausdruck werden ziemlich unterschiedliche Editionstypen zusammengefaßt —, von deren Benutzern angenommen wird, daß ihre Interessen nicht vorrangig philologischer Art sind. Gleichwohl erscheint es mir fraglich, ob den Benutzern wissenschaftlicher Editionen (im strengen und strengsten Sinne) wirklich mit einer minuziösen Verzeichnung sämtlicher orthographischer Differenzen gedient ist, vor allem dann, wenn diese zusammen mit den „substantive variants" und den die Textstruktur tangierenden „accidentals" in einem und demselben Apparat erscheinen. In einer historisch-kritischen Fontane-Ausgabe würde sich für „Schach von Wuthenow" wohl die erste Buchausgabe als Vorlage für den zu edierenden Text anbieten, weil der Vorabdruck zwar (weitgehend) Fontanes Orthographie, nicht abdf seine letzten Textänderungen enthält. Für „Unwiederbringlich" käme auf Grund der (gegenwärtigen) Überlieferungslage nur einer der beiden Drucke in Betracht, wohl ebenfalls die Buchausgabe mit den letzten Autorkorrekturen. In beiden Fällen also wäre die originale Rechtschreibung und Zeichensetzung nur im Apparat zu
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