Heft 
(1889) 09
Seite
160
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Deutschland.

Schilderung des alten Berliner Hauses, welches der Professor bewohnt, vorzüglich die Hauptsache, die Darstellung des Fiebers; etwas flüchtig ist das Erwachen der Liebe zwischen Ada und Richard behandelt; aber auch da bietet ihr gemeinsamer Aus­flug man hätte statt des geradezu gegenerotischen Weges nach Tegel einen schönen Punkt an der Havel oder Oberspree, Schildhorn oder Hanckels Ablage wählen können vielen Reiz. Auf die sogenannte Moral der Geschichte gehe ich nicht ein. Lindau scheint Wert darauf zu legen, daß niemand die Schande des Professors erführt, daß der Mord die Untreue seiner Frau aus der Welt schafft; und der Aufenthalt im Jrrenhause (während dieser Zeit werden dem Professor die Früchte jahrelanger Arbeit von seinem Assistenten gestohlen) soll offenbar eine Art Buße vorstellen und die beleidigte Ge­rechtigkeit versöhnen. Ich gestehe, daß diese Unterstreichung der äußeren Ehre, welche den Poeten doch nicht allein kümmern sollte, dem Ausgange einen etwas spanischen Anstrich giebt.

Wie dem auch sei,Im Fieber" ist eine sehr hübsche Novelle und wäre eine vorzügliche, wenn dem Verfasser das Geheimnis seiner Kraft schon aufgegangen wäre, wenn die Sach­lichkeit und trockene Gegenständlichkeit der Sprache, wie sie an den besten Stellen zu bewundern ist, nicht allzu häufig von einenc gut lesbaren und gewiß auch beliebten, im Grunde aber farblosen Feuilletondeutsch unterbrochen würde. Es wäre un­gerecht, leugnen zu wollen, daß Lindau selbst auf diesen leicht hingeworfenen Seiten geschmackvoller bleibt, als die meisten andern; es wird eben von Deutschen die eigene Muttersprache bekanntlich behandelt, wie es den Franzosen und Engländern niemals gestattet wäre. Aber wer die Gabe eines wirklich guten, eigenartigen und kräftigen Stils in so hohen: Grade be­sitzt wie Panl Lindan, der sollte das nicht nur hier und da durch kleine Proben verraten, sondern einmal eine Novelle schreiben, die vom ersten bis zum letzten Worte einen Lindau dritter Periode böte, und die dann nicht nur einen Saison- Erfolg hätte, sondern durch die einfache Schönheit der Sprache dauern würde. Es wäre thöricht, ein solches Verlangen an den ersten besten zu stellen; aberIm Fieber" beweist, daß Paul Lindau ein solcher Meister der Sprache werden kann, wenn er will.

Kleine Kritik.

SN

Welt- und Kleinstadtgeschichten von Paul von Schönthan. (Dresden, Verlag von Pierson.)

Ein graziöser, ungesuchter Humor erfüllt die zehn kleinen novelli­stischen Skizzen, welche geeignet sind, die arg in Mißkredit gekommene Be­zeichnung Humoresken wieder zu Ehren zu bringen. Schönthan offenbart hier ein sehr liebenswürdiges, leicht gestaltendes Erzählertalent und weiß auch in fast allen Skizzen bis zum Schluß zu fesseln und zn unterhalten. Sehr geschickt und wirksam behandelt der Verfasser die Brief- und Tage­buchform. Wertlos ist nur die SkizzeAlte Briefe" alle anderen zeigen bei flotter Darstellung gute Beobachtung und vielgestaltige Laune. 8t.

Freiland. Ein soziales Zukunftsbild von Theodor Hertzka. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1890.)

Dieses Buch zu lesen, ist ein hoher Genuß. Endlich einmal ein Mensch, der noch an die Zukunft des menschlichen Geschlechtes glaubt, ein Optimist im besten Sinne des Wortes. Das ist eine physische Er­quickung in einer Zeit, wo die Verzweiflung unsere ganze Kultur infiziert hat und Skepsis zur eigentlichen Modekrankheit geworden ist. Dabei steht doch Hertzka hoch über den Schwachköpfen, die mit allem Bestehen­den zufrieden sind, weil es einmal besteht. Nein, in seinem zuversicht­lichen Glauben an die Weiterentwickelung unserer Rasse wird er so kühn und frei, entschwindet ihm so sehr alles ängstliche Zagen, daß er mit

mutigen Strichen ein Bild der Zukunft zu zeichnen wagt, in dem sich von den Götzen der heutigen Kultur auch nicht ein Schatten mehr zeigt. Eine Menschheit, die zur vollkommensten Beherrschung der Naturkräfte fortgeschritten, bei unbeschränkter individueller Freiheit sich assoeiiert zu ebenso vollkommener gemeinschaftlicher Arbeit, in der die Gleichheit nicht hervorgeht aus kommunistischem Zwang, sondern aus souveräner Selbst­bestimmung, das ist ein Ziel, welches er in großen Zügen uns ausmalt. Daß Hertzka nicht mit Phantastischen Hirngespinsten arbeitet, sondern mit realen volkswirtschaftlichen Thatsachen, daß er die Entwickelung nicht sprunghaft geschehen, sondern aus dem Boden der heutigen Gesellschaft heraus sich organisieren läßt, ist bei einem so durchgebildeten und klar- denkenden Manne selbstverständlich. Aber was das Buch auch einein größeren Leserkreise zugänglicher macht, ist seine romanhafte Einkleidung, ein Versuch, über den die Professoren der Volkswirtschaft die Köpfe schüt­teln mögen, der aber trotzdem als durchaus gelungen bezeichnet werden muß. Freiland, mitten in Afrika, in dein hochgelegenen Seengebiete gegründet, ist der neue Staat, der zuerst die neue Gesellschaftsordnung verwirklicht, bis dann, wie ein Licht in dunkler Nacht weithin leuchtet, auch die anderen Knlturnationen sich angezogen fühlen und ihre Gesell­schaft nach denselben Prinzipien organisieren. Das Buch sei allen em­pfohlen, die nach einem Auswege aus den drückenden sozialen Verhält­nissen der Gegenwart suchen. U- ^l.

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Bei Hofe. Roman von Angnst Niemann. (Dresden und Leipzig, Pierson, 1889.)

Wem es Spaß macht, sich in einer Geschichte beteuern zu lassen, daß die schönsten und elegantesten Kavaliere mitunter die größten Schurken oder auch jämmerliche Feiglinge und Tröpfe sind, daß hinter dem liebens­würdigen Lächeln einer Hofdame sich gelegentlich schlangengleiche Falsch­heit verbirgt, daß Prinzessinnen, die Heine lesen, von ihren Standesge­nossen für überspannt gehalten werden, daß baronisierte Parvenüs zwar kein Adelsblut in ihren Adern, aber trotzdem ein von Edelmut erfülltes Herz haben können, und vor allen Dingen, daß das Laster zu Grunde gehen muß und die Tugend die Hoffnung nicht aufzugeben braucht, der­einst ihr Milliönchen in Sicherheit zu bringen wer alles dieses gerne hört und einen mit Vulgürweisheit gespickten Dialog unter die geistigen Genüsse rechnet, dem kann der vorliegende Roman aufs wärmste empfohlen werden.

Gedichte von Theodor Fontane. Dritte vermehrte Auflage. Mit einem Bildnis. (Berlin, Verlag von Wilh. Hertz, 1889.)

Gerade noch zur rechten Zeit, bevor man den siebzigsten Geburts­tag des Dichters zu feiern beginnt, hat die Verlagsbuchhandlung eine schön ausgestattete und mit dem Bildnis Fontanes geschmückte Gesamt­ausgabe seiner Gedichte heransgegeben. Auch wir werdeu Veranlassung haben, uns anläßlich des Jubiläums mit demSänger der Mark" näher zu beschäftigen. Heute sei der Nachdruck nur darauf gelegt, daß die neue Auflage einevermehrte" ist. Fontane ist durch seine preußischer: und englischen Balladen berühmt geworden; die neuesten Schöpfungen, welche bald an persönliche Erlebnisse, bald au die furchtbar großen Ereignisse der letzten Jahre anknüpfen, wären aber an sich schon geeignet, ihren Dichter berühmt zu machen. Ähnlich wie F. Th. Bischer hat auch Fon tane erst als alter Herr sein litterarisches Herz gefunden; und es scheint kein Zufall, daß in dem Zeitalter der Gerontokratie, der Greisenherrschaft, als Siebzigjährige die Schlachten des Jahrhunderts lenkten, auch die Dichter zwischen sechzig und achtzig Jahren plötzlich in Stoff und Form Führer der Jugend wurden. Unter den neuen Gaben Fontanes werden manche seiner Lieder und Sprüche, besonders aber sein Beitrag zum Menzel-Jubiläum, seine Verse auf Kaiser Friedrich (besondersLetzte Begegnung" ist die schönste poetische Antwort auf die philisterhafte An­schauung des Freytagschen Buches) bald in aller Munde sein, und nieder seine herzliche Bescheidenheit, noch sein herzhafter Stolz werden den Dichter davor schützen können, daß er als Antwort auf diese neue Aus­gabe seiner Gedichte das Seltenste erhält, was einem Schriftsteller zu teil werden kann: die Liebe seiner Leser. Fontane klagt in einem seiner persönlichen Gedichte, ihm fehle der Sinn für Feierlichkeit. Sollte der junge Herr Siebziger wirklich nicht ahnen, daß ihn gerade dieser Mangel so frisch und ungebrochen erhalten hat? -r-

Verantwortlicher Redakteur: Fritz Mauthner in Berlin >V., Frobenstraße 33. Druck und Verlag von Carl Flemming in Glogan.