Heft 
(1889) 10
Seite
161
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Erscheint Sonnatirnds

und ist in der Post-ZcitungsprciSlistc nntcr Nr. 1694c eingetragen.

Berlin^ den 7. Dezember.

Abonnementspreis

bei der Post oder im Buchhandel vierteljährlich 3 Mark.

1889.

Inhalt : Tie itiede ist gerettet. Skizze von Ilse Fvapan. Das böhmische Ttaatsrecht. Von In . Heinrich Iriedjnng. Ter Arbeiterschntz in Holland und in Teutschland. Von tigvn Nialherbe. -- In stiller Nacht. Novelle von Franz Tcrvacs (Schluß). Friedrich Nietzsche. Studie von Leo Berg «Schluß). Tie Jugend Friedrichs des Großen. Von Arthur Lleinschmidt. - - Ter verboteneGeneralfcldobcrst." Von F. M. Kleine Kritik.

Hie AieVe gerettet.

Skizze

von

)lse Fvapan.

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r hatte sehr früh geheiratet, aus Eigensinn mehr denn aus Liebe: zu früh uud unglücklich, das sagte er sich selbst schon nach einigen Jahren. Aber er sagte es ganz leise. Was konnte sie dafür, daß Frauen so schnell altern, geistig, daß ihr Wachstum überraschend bald anfhört, und daß sie dann, ein armselig Zwitterding, durchs Leben gehen? Kindisch in allen höchsten Dingen; ganz kalter Weltverstand, sobald der Alaun an ihrer Seite einen Schwung wagen möchte. Er fühlte, daß er weiterwachsen mußte seiner Natur nach, und daß sie es ihm erschwerte, und seine Augen wurden schwach über dem Anblick der eisernen Pflicht, sie fingen I an, hinansznspühen, zu snchen.

In einem großen Schinerz, der ihn betroffen, als Pfle­gerin, Trösterin, hätte die erstarrte Seele seiner Gattin viel­leicht wieder weich und flüssig werden können: aber die Probe blieb erspart, es ging Jahr auf Jahr weiter ohne besonderes Unglück. Es waren auch keine Kinder da, die durch ihr Leben oder Sterben ein Bindeglied gebildet hätten.

So blieb es bei jenem gefährlichen Snchen. Das Schick­sal war ihm gnädig oder grausam: es führte ihm ein Mäd­chen in den Weg, das gerade Widerspiel seiner Gattin, voll Leben und Saft. Er sträubte sich nicht einen Augenblick, stürzte sich mit aller znsammengesparten Glut auf das Glücks- gefchenk, bediente sich aller Mittel, edler und ruchloser, um ihre Liebe zu gewinnen. Es gelang ihm, sie gehörte ihm, er ^ hielt sich für den glücklichsten Menschen.

Daß die Geliebte ein ganzer Mensch war und darum auch ihn ganz verlangte, daß sie ihn mit Gram und Abscheu in der Lüge leben sah, lernte er erst durch ihre Worte er- >

kennen: ja, erst als Jahre vergangen und er die Neigung der Geliebten erkalten fühlte, durchzuckte ihn der Gedanke, daß et­was geschehen, daß er sich befreien müsse. Diese Gewißheit verließ ihn nicht mehr, aber sie ward zu einem Alp, der ihm Tag und Nacht ans die Brust drückte. Er fand die Worte nicht, seiner Gattin, die ihn mit ihren schwarzen Angen so klug und ruhig ansah, wenn er ihr ans alter Gewohnheit die Hand küßte, seiner Gattin, die er selbst gewählt, die er zu schützen und zu stützen versprochen, und die seinen Schutz auch täglich beanspruchte, wenn sie ins Theater ging oder spät ans einer Gesellschaft heimkam, so plötzlich zu erklären, daß er jetzt eine andere heiraten müsse, und daß zwischen ihnen alles zu Ende sei.Was «Collage!»" rief er und schleuderte den französischen Roman auf den Boden,die Ehe ist der wahre Collage! Wer mir das gesagt Hütte, als ich so leicht hinein­ging!" Und er vergrub seinen Kopf in die Sofakifsen und schloß die Angen mit dem Wunsche, sie nie wieder anfznthnn.

Um so wacher war seine Frau, sie beobachtete ihn eifer­süchtig und scharf. Er hatte die Absicht gehabt, sich allmäh­lich immer weiter von ihr znrückznziehen, damit ihr der letzte Ruck nicht so wehe thue: aber sie ging ihm immer um soviel nach, als er ihr answich, und so blieb die Entfernung doch die gleiche. Heute hatte sie ihn fast liebreich angesehen und ge­sagt:Du arbeitest zu viel, schreibst immer bis tief in die Nacht: ich denke, Du bist recht blaß, wollen wir nicht den Arzt fragen?" Ein roher Mensch würde sie jetzt auschreien, dachte er in Verzweiflung, würde sagen, Du bist mein Un­glück, Du machst mich krank! Aber kann denn ich das? Kann ich ihr so antworten, wenn sie mit diesem Blick, diesem Blick ans den ersten Tagen unserer Ehe mich ansieht? O, wie beneide ich diese rohen Menschen! - Sie entfernte sich von ihm mit einem lauernden Lächeln, achselzuckend über sein Nichtantworten.

Als er allein war, zog er nach vielem ängstlichen Um­herschauen einen Brief von der Geliebten hervor; ach, er war schon ein halbes Jahr alt, und sie sagte ihm darin, sie sei es