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Deutschland.
Arbeitszimmer zurück. Er eilte ihr nach. In rasender Eifersucht, entflammt von wahnsinniger Leidenschaft zu diesem Weibe, das ihm verloren zu gehen drohte, und dem er sich doch mit jedem Worte — er fühlte es wohl — mehr entfremdete, hackte er sie am Handgelenk. Die Überlegenheit und kühle Ruhe, mit der er sich zu handeln vvrgenommen, waren einer maßlosen Wut gewichen, die jetzt zu einem elementaren Ausbruch kam.
„Soll ich Dir sagen, weshalb Du hier bleiben willst? Soll ich's Dir sagen? Stillfrieds wegen! — Du liebst ihn, Du . . .!"
„Laß mich los, Du thust mir weh — laß mich los!"
„Sage die Wahrheit, die Wahrheit! Was ist zwischen Euch vorgefallen?"
„Laß mich los, Du .... ich verachte Dich!"
Sie maß ihn kalten Auges, ohne sich durch seine drohenden Blicke einschüchtern zu lassen. Er drückte sie nieder, daß sie mit einem Aufschrei zu Boden siel. Ängstlich beugte er sich über sie. Scham und Schreck löschten plötzlich den Zorn in ihm aus. Er wollte ihr helfen, sich zu erheben. Aber mit einem verächtlich ausgestoßenen „Geh!" wies sie die dargereichte Hand zurück, stand schnell auf und eilte in das Schlafzimmer, dessen Thür sie hinter sich verschloß. Als sich der Schlüssel knackend im Schloß drehte, fühlte er, daß sie ihm verloren sei. Ängstlich lauschte er hinein. Er hörte sie laut schluchzen.
Sie hatte sich auf ihr Bett geworfen und wühlte sich tief in die Kissen ein. Endlich beruhigte sie sich und richtete sich langsam auf. Jetzt begann ein neues, ein besseres Leben! „Eine Ehe der Wahrheit!" Diese Worte Stillfrieds kamen ihr in den Sinn. Liebte sie der Dichter wirklich? Wenn er den Mut besaß, den Reichtum von sich zu werfen, der Gesellschaft, die ihnen vorläufig verschlossen blieb, den Rücken zu kehren und ihretwegen den Kampf mit dem Leben und den Vorurteilen der Welt aufzunehmen, dann war diese Neigung echt. Welches Opfer hatte es sie gekostet, ihm die Thür zu weisen, während sie danach fieberte, die alten, lieben Plauderstunden am runden Tisch wieder aufzunehmen, seinen beredten Worten, seiner sonoren, weichen Stimme zu lauschen! Und wie hatte man ihr dies Opfer gelohnt! Mit seinem Geld wollte sie dieser Mann, dessen Roheit heute hinter der konventionellen Maske zum Vorschein gekommen war, an sich fesseln. Sie wollte ihm zeigen, daß sie ihre Neigung, ihre Person nicht an den Meistbietenden verkaufe. Und doch hatte sie sich ihm verkauft — „ja, verkauft, verkauft!" Immer wieder murmelte sie diese Worte leise vor sich hin.
Und dann stellte sie diese beiden Männer einander gegenüber: hier der „Genußmensch," der „Kunstbarbar," dem die Welt, der sie angehörte, ein Buch mit sieben Siegeln war, dessen höchstes Ideal „gute Geschäfte" sind! Auf der anderen Seite der Dichter, der in schweren Kümpfen nach dem Lorbeer rang, der feinsinnige Kenner und Genießer der Künste! Hier der Alternde — denn so war er ihr heute erschienen — mit der plumpen Gestalt, den grobgeschnitzten, stets geröteten Zügen — und dort der schöne Jünglingmann mit dem blassen, feingemeißelteu Christuskopf, den schwermütigen, düsteren Augen, der gewölbten, gedankenreichen Stirn, den zum Spotte geschürzten Lippen! Dort oberflächliche Halbbildung — sie dachte an „Puschkins Raskolnikow" und an tausend ähnliche Verlegenheiten, in die er sie gebracht — hier der mit einer philosophischen und litterarischen Gedankenwelt vertraute Poet! Phi
lister und Künstler: konnte sie da noch schwanken? Dankbarkeit? Er hatte es heute quitt gemacht, was sie ihm schuldete. Hatte er das Opfer gewürdigt, ja, nur begriffen, das sie ihm gebracht und weiter bringen wollte? Und was verdankte, was schuldete sie ihm denn? Seidene Kleider, eine luxuriöse Wohnung, gutes Essen und Trinken! Hatte sie sich ihm nicht dafür hingegeben mit Leib und Seele? Wie entwürdigend erschien ihr das nun: ein Tauschgeschäft, bei dem sie den größeren Einsatz geopfert!.
Die litterarischen und die Finanzkreise Berlins nnd alles, was mit ihnen zusammeiching, gerieten in Anfregnng, als zwei Tage später Stillfried und Asta Ullenius entflohen waren. Erst flüsterte man es sich leise zu. Mau wies das Gerücht lachend ab. Dann besprach man es lanter und immer lauter, bis man nicht mehr daran zweifeln konnte, lind sich schließlich einige in Sensation machende Zeitungen des dankbaren Stoffes bemächtigten und ihn mit allerlei Details und mit den An fangsbuchstaben der Beteiligten ihren Lesern auftischten.
Ullenius hatte es wie eiu Donnerschlag getroffen, als erden Brief Astas ans ihrem Schreibtisch fand: „Er möge ihr verzeihen, aber ein ferneres Beisammenleben zwischen ihnen sei unmöglich. Die Neigung zu Stillfried könne sie nicht bekämpfen, sie müsse ihr folgen, sei es selbst in Not nnd Schande, sei es selbst in den Tod."
Er hatte die Buchstaben angestarrt, ob sie nicht lögen und sich vor seinen Augen verwandelten, so unerwartet war ihm trotz des Vorgefallenen dieser Bruch gekommen. Er hatte sich eiugeredet, daß sich Frau Stillfried wohl doch getäuscht habe, daß schlimmsten Falls dieses «k'aillle» für den interessanten und eleganten Dichter bald wieder vergehen würde. An einen Skandal, an eine Flucht dachte er nicht entfernt. Davon hatte er in seiner Familie und in der Vaterstadt nie ein Beispiel gesehen. Das gehörte für ihn der Welt des Romans an, die er als eine vom wirklichen Leben ganz verschiedene betrachtete; das wollte in seine bürgerliche und behaglichnüchterne Existenz gar nicht hineinpasseu. Und neben dem tiefen Kummer, den er darüber empfand, schämte er sich, daß sein Name durch den Schmutz geschleift wurde, daß die Zeitungen von dem „bekannten Financier" oder dem „Bankier U." schrieben; auch vor der Vaterstadt schämte er sich, vor all dieser: Frauen und Mädchen, die er verschmäht, vor diesen Müttern, die er in ihren Töchtern gekränkt. So blieb er denn in Berlin, wo er leichter untertaucheu konnte, wo ein neues Sensationsereiguis, ein Fürstenbesuch oder ein Raubmord, schon nach kurzer Zeit den Vorfall aus dem Gedächtnis der Welt verdrängte.
Frau Stillfried war infolge der Aufregungen und des Kummers schwer erkrankt. Nach ihrer Genesung saß sie still und bleich, halb liegend in ihrem Lehnstuhl am Kamin; aus dieser Ecke wagte sie sich nicht mehr hervor. Nur Ullenius und der Rechtsanwalt, den beide mit der Scheidung beauftragt hatten, wurden von ihr empfangen. Anfangs hatte sie sich dagegen gesträubt. Sie hoffte noch immer, daß der Dichter eines Tages reumütig zu ihr zurückkehren würde. Aber Ullenius hatte ihr das ausgeredet, er hatte ihren weiblichen Stolz zu entfachen gesucht. Als sie diese Hoffnung aufgab, kam ihrem neues Bedenken. Sie wolle nicht durch ihre Verzichtleistung die Heirat der beiden ermöglichen. Ullenius mußte