Heft 
(1889) 35
Seite
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Seite 578.. ., DeuLschlanb.

schloß Christine ihre Rede und zog sich bescheiden in den Hin­tergrund zurück.

Dem Doktor hatte es eigentümlich in den Mundwinkeln gezuckt; er beneidete Christine um ihre Zuversicht, um die Frische ihrer Genußfähigkeit. Sein einstiger Traum, mit feurigen Rappen im Triumph durch die Gassen zu jagen, an jenen vorbei, die seine Ideen verlacht, seinen Genius verspottet und sein Streben verachtet, war ihm ganz entschwunden. Seine Aufgabe zu lösen, war der einzige Wunsch, der ihm von den unzähligen Wünschen seiner ehrgeizigen Jugend übrig geblieben.

Zwischen diesen beiden Menschen nun stand der kleine Rotkops in völliger Vereinsamung, denn niemand achtete mehr seiner. In tiefen Gedanken lehnte er an der Wand, die Hände in den Taschen, während sein Blick bald die gebeugte Gestalt des alten Herrn, bald Christinens hagere Erscheinung streifte; soviel hatte er heraus, die Katzen waren ein Geheimnis, und diese Entdeckung verursachte ihm ein unbeschreibliches Vergnügen; an diesen Katzen hielt er seine alte Feindin fest, die ihm den Eingang in diesen Raum verwehren wollte. Wenn ihn einer- gefragt Hütte, was ihn immer wieder in die stille Gelehrten­stube treibe, er wäre um die Antwort verlegen gewesen. Aber er hatte nngefangen alle Dinge dieser Welt in schöne und häßliche einzuteilen, und schön war in seinen Angen das Thun und Treiben des alten Herrn, der sich keinen Sonntag gönnte, den keine Wirtshausfreuden von seiner ernsten Arbeit lockten. Er selbst suchte die Gelehrtenstube immer nur sozusagen in dem Glorienscheine einer schönen That ans, die er dann un­umwunden berichtete, in dem dumpfen Wunsche, sein Erscheinen auf diese Weise zu rechtfertigen.

Für Christine zog er andere Saiten auf; der lose Bursche spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus. Immer unter der Drohung, ihre Lieblinge zu verraten, zwang er sie, daß sie ihm die Honneurs mache, wie einem General. Und wenn sie dann, die Hand an der Haube, zähneknirschend dastand, warf er sich in die Brust:So ist's recht, so gehört sich's. Alles dafür, wenn man anständige Leute Judas nennt."

Sie suchte dafür sein Ansehen bei ihrem Herrn zu unter­graben, dem sie die längsten Briese schrieb, in denen sie sich weidlich über die Sündhaftigkeit des hergelaufenen Bettelbuben ausließ. Der Doktor warf diese Briefe ungelesen ins Feuer. Er wunderte sich im stillen mehr und mehr über seinen jungen Gast, der, als er ihm eines Tages ein Mittagessen anbot, mit einem Kopfschütteln erklärte:Es schickt sich nicht, etwas an­zunehmen, wenn man es nicht zurückgeben kann."

Wer hat Dir das gesagt, Bursche?" fragte der Doktor.

Niemand, das ist meine Meinung."

So." Bei sich dachte der alte Herr:Es steckt Ehr­gefühl in ihm. Hin, hm warten wir's ab, warten wir's ab," beschwichtigte er die Stimme, die sich in seinem Innern regte.Wer weiß, worauf es der Bursche abgesehen die Menschen sind durchschnittlich schlechter als man denkt einen Grund muß sein Kommen haben."

Aber der alte Herr vergaß, daß sein Leben der Arbeit und Bedürfnislosigkeit Wunderbares genug an sich hatte für ein Kind, das in einer Umgebung lebte, in der gearbeitet wurde, um zu verdienen, und der Verdienst ebenso schnell im Genuß anfging; er vergaß, daß, trotz der schwarzen Perücke auf seinen weißen Haaren, die Furchen, die ihm sein Kämpfen und Ringen

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eingetragen, ehrwürdige waren, und daß die Worte, welche er sprach, in dieses junge Gemüt wie Offenbarungen sielen.

Machen Sie denn nie Feiertag?" hatte ihn der Bube einst gefragt, und er erwiderte:Ich habe keine Zeit znm Feiern, ich bin alt und muß fertig werden."

Wenn Sie aber fertig sind, bekommen Sie dann auch recht viel Geld?"

Wenn ich fertig bin, habe ich der Welt gezeigt, daß ich etwas kann," erklärte der alte Herr.Das Geld ist Neben­sache."

Geld ist aber doch nicht Nebensache," begann Fritz eines Tages seine Unterhaltung;denn wenn ich Geld hätte, ging ich gewiß nicht in die Lehre znm Onkel Kupferstecher."

So, Du hast einen Onkel Kupferstecher?" fragte der Doktor.

Ja, er giebt aber der Mutter nie etwas, er ist ihr Bru­der. Er thnt's nicht gern, daß er mich in die Lehre nimmt; denn er ärgert sich, daß ich ans der Welt bin und giebt unr­eine Ohrfeige, so oft er mich sieht. Wenn man arm ist, muß man alles einstecken; aber Hab' ich einmal meinen Hansen Geld verdient, kriegt der Onkel seine Ohrfeigen zurück, und wenn ich sie alle auf dem Amt bezahlen muß; sie sind teuer eine vier Mark; aber vielleicht wenn's viele sind, kriegt man's billi­ger. Geld regiert die Welt," setzte er altklug hinzu.

Es war darum für den habgierigen Burschen keine Klei­nigkeit, immer den Versuchungen zu widerstehen, die ihm Chri­stine in Gestalt von Geldstücken, silbernen Eßlöffeln und der­gleichen in den Weg legte. Fritz, der keinen Augenblick im Zweifel war, wo das alles hinaus wollte, rächte sich damit, daß er die alte Person immer mehr zu einer vollständigen De­mut des Betragens zwang.

Und es geschah, daß die Kirchenglocken eines Abends die heilige Christnacht verkündeten, und Arme und Reiche sich in gemeinsamer Hast in den Gassen stießen und drängten. Mü­der Doktor in seiner Stube ließ sich durch das feierliche Ge­läute der Christglocken nicht in der Arbeit stören. Als jedoch die Hausthür knarrte, schob er plötzlich den Tiegel, in dem er gerade gerührt hatte, von sich und lauschte. Draußen auf dem Gange stand das Straßenkehrweib und haderte mit Christinen.

Jetzt," sagte sie,Hab' ich den ganzen Tag Eis anfge- hackt und Schnee gefegt, jetzt werden Sie mich doch nicht fort- schicken. Zur heiligen Weihnacht werde ich doch dem Herrn Doktor wenigstens das Kehrgeld schenken dürfen."

Christine sparte sich die Worte, schob das Weib auf die Gasse und schloß hinter ihm ab.

So," sagte sie und verfügte sich zu ihren Katzen. Sie zündete ihnen ein Bäumchen an und putzte es mit lauter Wurst­stückchen aus. Eines der Tiere hatte das Pfötchen verbunden.

Sei nur ruhig," nickte ihm Christine zu,gleich ans der Stell' soll's der gottvergessene Bäckerjnnge gesagt bekommen." Sie holte einen Bogen Papier und begann mit der vielver­sprechenden Aufschrift:Sie unverschämter Mensch!"

Nachdem sie den Brief geschrieben, kam das Gebetbuch an die Reihe; es war sehr abgegriffen und mit unzähligen Zeichen und Eselsohren versehen.Dies Buch," pflegte Chri­stine zu sagen,will ich mit ins Grab nehmen; denn es kann für mich zeugen, daß ich meinen Teil an Beten hienieden ge­leistet und darum meine ewige Glückseligkeit redlich verdient habe."