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Deutschland.
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nachzujagen. Hier begegnen sich die schwächsten Züge von Goethe mit den besten von Thorwaldsen. Goethe suchte aus Homer schöne Schulaufgaben für junge Künstler heraus, schrieb aber selbst Hermann und Dorothea, wenn auch in Hexametern; Thorwaldsen ist durch Lösung dieser Schulaufgaben berühmt geworden. Zu Dutzenden hängen in dem Museum, welches durch seine Vollständigkeit so mibarmherzig wird, die Reliefs, welche Scenen aus Homer zum Gegenstände haben. Wie sind sie doch alle so nett, so deutlich, so beredt und doch so stumm!
Auch der Alexanderzug ist ein Ruhmestitel Thorwaldsens. Gr ist eine Nachahmung des Panathenüenzuges im Parthenon. Und da beachte man nur einen Umstand. Der berühmte Fries gehörte ins Parthenon; er war gewissermassen nur ein Auszug aus dem Gewühle des Festtages. Jeder einzelne, der im Zuge gewesen war, konnte sich selbst oder seinen Stellvertreter da oben erblicken; es war der höchste Realismus wenigstens in der Einheit des Lokals. Der Alexanderzug wurde zur Verherrlichung Napoleons I. für Rom ersonnen, für Kopenhagen und Paris umgearbeitet und endlich für eine Villa in Oberitalien ausgeführt. Man stelle sich vor, daß der berühmte Parthcnonfries ursprünglich zur Verherrlichung des Pharao Rhamses geplant gewesen und endlich in einem römischen Badc- hause als Verzierung angebracht worden wäre.
Das falsche Griechentum Thorwaldsens reichte just für seine anakreoutischen Spielereien, seine Amoretten-Darstellungen hin. Es lähmte ihn aber bei allen großen Aufgaben, sowohl den klassischen als den christlichen. Und will man gerecht sein, so muß man zngeben, daß dem Jesus eines Uhde, welcher vorläufig unsere Stimmung am besten ausspricht, selbst die Nazarener in Rom verständnisvoller zustrebten, als ihr Zeitgenosse Bertel Thorwaldsen mit seinem schönen aber toten Christus.
Kleine Kritik.
Milton über moderne Erziehung. Nachdem fängst in diesem Blatte die Umgestaltung des altsprachlichen Unterrichts in vortrefflicher Weise besprochen wurden, mag daran erinnert werden, daß bereits vor mehr als zweihundert Jahren wesentlich gleiche Klagen geführt und Forderungen gestellt worden, und zwar vvn dem großen Dichter-Denker John Milton, in seinem 1644 au Mr. Samuel Hartlib gerichteten Briefe. Milton geht davon aus, daß die Sprache nur wegen ihres Inhaltes oder doch nur in Verbindung mit demselben ein Bildungsmittel sei. „Sprache ist nur das Instrument, das uns Wissenswertes znsührt. Und wenn," fährt er fort, „ein Sprachkundiger sich rühmen sollte, alle Zungen, die Babel über die Welt zerstreut hat, zu beherrschen, und er hätte nicht ihren wesentlichen Inhalt ebensogut studiert, wie die Wörter und die Wörterbücher, so wäre er um nichts mehr für einen Gelehrten zu erachten, als irgend ein in seiner Muttersprache genügend unterrichteter Landwirt oder Handelsmann. Daher kommen die vielen Mißgriffe, die den Unterricht durchgehends so unerfreulich und so unergiebig gemacht haben. Zuerst verfehlen wir es damit, daß wir sieben oder acht Jahre darauf verwenden, soviel elendes Latein und Griechisch zusammenzukratzen, als auf andere Weife leicht und angenehm in einem Jahre gelernt werden kann, und dann wird unser Fortschreiten darin so gehemmt, weil wir unsere Zeit verlieren teils durch übermäßige Ferien aus Schulen und Univer sitäten, teils durch eine verkehrte Anforderung, welche die leeren Geister vvn Kindern zwingt, Aufsätze, Verse und Reden zu verfassen, welche eine Sache reifsten Urteils sind und das schließliche Werk eines durch langes Lesen und Beobachten mit ausgebildeten Gedanken und reichen Vorstellungen erfüllten Kopfes. Diese Dinge können den armen Jungen nicht ansgepreßt werden, wie Blut aus der Nase, oder wie man unreife Früchte abpslückt; abgesehen von der Übeln Gewohnheit, die sie erlangen,
barbarisch gegen das lateinische und griechische Idiom zu sündigen mit ihre,: rohen Anglieismen, die widerwärtig zu lesen und doch nicht zu vermeiden sind ohne wohlgeleiteten, fortgesetzten und einsichtsvollen Umgang mit reinen Autoren, von denen sie kann, eine Probe erhalten."
Miltvns Forderung geht nun dahin, daß nach einem grundlegenden, auf das notwendigste zu beschränkenden Unterricht in den dein Ge düchtnis einzuprägenden und in ihrer praktischen Anwendung nach einem kurzen Übungsbuch zu erlernenden Sprachformen sogleich mit einem ans die Sachen selbst eingehenden wissenschaftlichen Unterricht zu beginnen, und dieser, gemäß dem Wesen des menschlichen Geistes, anfangend von den sinnlich faßlichsten Gegenständen, stufenweise fortzusetzen sei in steter Verbindung mit der entsprechenden Lektüre, wodurch die Schüler zugleich mit ihrer wissenschaftlichen Ausbildung auch über die Sprache bald die Herrschaft erlangen müßten.
Er schildert dann weiter, wie die der grammatikalischen Plackerei der Schule entronnenen Jünglinge ans den Universitäten wiederum, wenn auch in anderer Weise, in der Hoffnung ans wahrhafte und erfreuliche Erkenntnis getäuscht, meistens von Verachtung und Haß gegen die Lehr- Meinungen erfüllt werden, und daun so den verschiedenen Berufsarteu sich zuwenden: „einige ergreifen die Rechtspraxis, aber dabei gründen sie ihr Absehen nicht auf die weise und erhabene Gerechtigkeit und Billig keil, die man sie niemals gelehrt hat, sondern auf vielversprechende und angenehme Aussichten auf streitige Grenzen, fette Prozesse und reichliche Sporteln: andere befassen sich mit den Staatsangelegenheiten, während ihre Seelen von wahrhaft edler Bildung so weit entfernt sind, daß ihnen Schmeichelei, Kunstgriffe und machtpvlitische Aphorismen als die Gipfelpunkte der Weisheit erscheinen, und sie ihren dürftigen Herzen einen bewußten Servilismus einpflanzen, wenn derselbe nicht, wie ich eher glaube, erheuchelt ist." Da sind also als Erziehnngsfrüchte auch die Streber, ganz wie bei uns! Überhaupt, wenn man Miltons Klagen hört, klingt es fast, als hätte er seine Erfahrungen großenteils in unfern Tagen gesammelt. Sehr stolz dürfen wir daher auf unsere Fortschritte in dieser Sache nicht sein; vielleicht wird es nach wiederum zweihundert Jahren etwas besser damit anssehen. U. bll-ü<?lUvwi,.
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Über den Sarkasmus Heinrich Heines. Eine Kritik von Asch- kenas Apparntus. (Leobschütz. Georg Schnnrpfeil.)
Der Sarkasmus Heines wäre an sich wohl einmal einer kritischen Untersuchung wert, bezw. wie sich bei ihm die einzelnen Formen des Witzes (der Ironie, des Humors u. s. w.> mischen, wie diese Mischungen entstanden sind und wohin ihre künstlerische oder litterarische Tendenz zielt. Dieser Untersuchung fühlte sich Apparatus aber nicht gewachsen und statt dessen beliebt er die bekannten und längst genossenen Schmähungen auf Heine (seine Bosheit, seinen Leichtsinn, seine Vaterlandslosigkeit, seine Gemeinheit, seine Charakterlosigkeit n. s. w.) noch einmal zun, besten zu geben. Wäre das Ganze nicht so thöricht geschrieben, inan wäre ver sucht, den Autor der Unredlichkeit zu zeihen, nämlich derselben Unredlichkeit, welche sich die meisten Heine-Gegner zu schulden kommen lassen, und die man erst kürzlich selbst einem Manne wie dem Professor Treitschke nachgewiesen hat, nämlich der Citaten-Fälschung. Wer behaupten kann, daß Heine nur „vor einem Geisteshelden Achtung geheuchelt" habe, der muß entweder das Buch über Deutschland nicht gelesen haben oder sich für berechtigt halten, offenbare Unwahrheitei, in die Welt zu setzen, so wie es eine Zeitlang die Anti-Wagnerianer mit Wagners sogenannter Mißachtung aller früheren und gleichzeitigen Musiker thaten. — Weil Heine keine Hexameter machen konnte, deshalb hat er kein Formgefühl besessen. Unverkennbar irvnische Äußerungen werden als seine Glaubensbekenntnisse ausgegeben, ja selbst die Eidechsen-Philosvphie in der italienischen Reise als Heines Weltanschauung eitiert, auch wird es ihm übel vermerkt, daß er in seinen Gedichten so viel gefeilt habe u. s. w. Doch jedes Wort ist schon zuviel, das wir an dieses Machwerk verschwenden. Freunden unfreiwilligen Humors sei es bestens empfohlen! 1-. 11.
Briefkasten. Alle auf die Redaktion bezüglichen Sendungen bitten wir bis zuin 10. August an die Adresse: Fritz Manthner, Swinemiinde zu richten.
Verantwortlicher Redakteur: Fritz Mauthner in Berlin >V., Frobcnstraße 33. — Truck und Verlag von Carl Fle Mining in Glogau.