Heft 
(1889) 40
Seite
671
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40.

Deutschland.

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eine Künstlerin machen zu können glauben, werden gut thun, sich die Thatsache zu merken, daß durch Vernachlässigung und Über­anstrengung eine Stimme gar leicht unwiederbringlich verloren gehen kann.

Lehergedanken im Thorwaldsen-LNuseum.

Bon

A M- II.

s^^^essen die Begabung Thvrwaldsens fähig gewesen wäre, ^ hättet^t ^ Banne der Winckelmannschen Ideen

gestanden, das sieht man aus einigen seiner Portrül Büsten, vor allem aber aus zwei Werken angeblich griechisch- klassischer Kunst, welche aber das Eigentümliche haben, Natur darzustellen. Bei einem nackten Merkur wissen wir es durch den Bildhauer selbst, daß ihn ein italienischer Lastträger, der in solcher Stellung eben sein Abendbrot verzehrte, auf den guten Gedanken brachte, die kecke Stellung in Marmor festzu­halten,' daß er dem armen Facchino die Kleider auszog und ihn hierauf Merkur nannte, das hat Winckelmann auf dem Gewissen. Die Kleiderberaubnng mag ihm verziehen sein; der Name aber nicht.Einst wird kommen der Tag," wo man unschuldige Hunde nicht mehr Nero und Sultan, und wo man nackte Menschen nicht Merkur und Apollo schimpfen wird. Ähnlich verhält es sich mit der köstlichenTänzerin" Thor- waldsens; auch da wollte er stilisieren, aber ein glückliches Modell machte ihn fast wider seinen Willen natürlich.

Wessen aber der Verehrer Winckelmanns, der thörichte Schüler unverständiger Griechenenthusiasten fähig war, das ist gar erschrecklich und ganz und gar nicht ergötzlich zu ersehen aus einer Bildsäule der Göttin der Hoffnung, welche mit der linken Hand ein Fültchen ihres Gewandes und mit der rechten eine bisher in der Botanik nicht Vorgefundene Blüte empor- hält. Mit welcher dieser Bewegungen sie die Hoffnung besser ausdrücke, erfahren wir nicht. Dagegen belehrt uns diese Göttin der Hoffnung sehr genau über den Jdeengang, der im Kopfe selbst eines solchen Künstlers wie Thorwaldsen möglich war und ist, sowie darüber, wie unheilvoll Kunstgeschichte wirken kann, wenn sie, nicht zufrieden mit ihrer historischen Aufgabe, das Alte mit dem Schönen verwechselt.

Thorwaldsen kam nämlich zu seiner einfach lächerlichen Göttin der Hoffnung durch den Zufall seiner archäologischen Studien. Er hatte den Auftrag erhalten, die bekannten Ägi- neten für die Münchener Glyptothekauf neu" auszubessern, und hatte sich dabei in den archaistischen Stil (d. h. Wohl einen Stil, der für die perikleische Zeit schon veraltet und steif war) so tief hineingedacht, daß er eine besondere religiöse oder phi­losophische Wirkung aus der Hölzernheit zu ziehen hoffte. Es ist beachtenswert, daß ungefähr um dieselbe Zeit unsere deut­schen Nazarener zu Nom über Raphael hiuausgiugen, um ihre fromme Innigkeit durch technisches Unvermögen zu äußern.

Es scheint wie ein Fluch auf der Wertschätzung des Alten zu ruhen, daß es zuerst um seiner Schönheit willen bewundert, später nur um eben seines Alters wegen verehrt wird, so daß es endlich naturgemäß von einem noch Älteren verdrängt wird. So glauben auch artige Kinder häufig, daß sie den Großeltern noch mehr gehorchen müßten als den Eltern. Bei Sammlern und Kuustgelehrten kommt dazu, daß daun, wenn die Schütze der eigentlichen Blütenperiode längst in festen Händen und von festen Forschern beschrieben sind, für sie nur noch bei den Vorläufern der Phidias und Raphael etwas zu holen ist. Auch Ludwig von Bayern hätte lieber die Parthenon-Skulpturen als die Ägineten erworben, wenn die ersten zu einem so billigen Preise zu haben gewesen wären.

Nun steht aber der Kenner der perikleischen Zeit diesen furchtbar lächelnden Ägineten nicht viel anders gegenüber, als

ein unverdorbener moderner Mensch den meisten Werken der besten griechischen Zeit. Was man auch sagen mag, sie sind für den Nichtgelehrten veraltet, und veralten für den Gelehrten nur um dessen willen nicht, weil er sich selbst künstlich und gewaltsam alt gemacht hat. Phidias war zu seiner Zeit eben­so ein Neuerer, wie zu seiner Zeit wahrscheinlich der Hersteller der Ägineten. Wir wissen, daß Phidias schwere Kümpfe gegen allerlei Gegner zu bestehen hatte. Unter ihnen waren gewiß auch pietätsvolle Altertumsfreunde. Sollte er ihnen nachgeben? Sollte er mit den alten Scharteken, mit den Ägineten lächeln und immer furchtbar lächeln und doch ein Schurke sein, ein Schurke an seiner Kunst? Hat es überhaupt jemals einen großen Künstler gegeben, der durch pietätvolle Nachahmung eines früheren Meisters selber einer wurde?

Das Griechentum Thorwaldseus und Canovas, ihrer Lehrer und ihrer Schüler, ist nichts als ein ungeheures Miß­verständnis. Winckelmann hat zwar nicht unwesentlich zu diesem Unglück beigetragen, aber er ist doch unschuldig zu nennen. Zu seiner Zeit arbeitete man vielleicht noch mehr als heute mit antiken Namen, Redensarten, Kostümen und Verzierungen; jede zierliche Schäferin und jede verliebte Königin aus der französischen Schule wurde für eine geborene Griechin ausge­geben. Da fuhr Winckelmann dazwischen und schied aus dem ganzen Wüste, der sich Antike nannte, mit außerordentlichem Gefühle und mangelhafter Kenntnis dasjenige aus, was in der That einer großen Zeit griechischen Lebens angehört hatte. Die hergebrachte fadenscheinige Begeisterung konnte sich kon­zentrieren, und Winckelmann, selbst schwärmend wie ein Ent­decker, belebte die Anbetung der Antike wieder einmal für weitere hundert Jahre, vielleicht zum letztenmal. Das war sein gutes Recht; und daß er aus die Zeit hinwies, welche innerhalb der antiken Welt die größte Kunstwahrheit besaß, das war ein großes Verdienst. Seine Schüler hätten nun freilich lernen sollen, ebenfalls wahr zu sein; statt dessen mühten sie sich ab, die Welt mit den Augen des Phidias anzusehen.

Für die Litteratur hat dieselbe Bewegung dieselbe Gefahr gebracht, im Grunde noch im höheren Maße. Denn in der Plastik läßt die Natur sich doch nicht so völlig verleugnen, wie in der Poesie. Eine Bildsäule mit einem Beine läßt nicht daran zweifeln, daß ihr etwas fehle; aber Hölderlins Dich­tungen galten lange genug für vollkommen. Ilm dieselbe Zeit, da Winckelmann in Rom Schule zu machen begann, bekehrte sich auch die deutsche Litteratur leider von Shakespeare zur Antike. Lessing hatte noch gegen die Franzosen Shakespeare und die Antike zu Hilfe gerufen. Es war vielleicht etwas zu viel auf einmal. Jedenfalls machte sich's selbst Goethe bequem und folgte erst den Franzosen, dann dem Engländer und endlich den Griechen.

Welchen Griechen? Für die Bildhauer war das peri­kleische Zeitalter als Gipfel allein weithin erkennbar. Aber die griechische Poesie hatte zwei Gipfel, Homer und Sophokles. Wo war die rechte Höhe? Oder da Homer und Sophokles uns nicht nur in der Schule alltäglich und unermüdlich als die erlösenden Gottheiten gerühmt werden wo ist die rechte Höhe?

Wenn Sophokles das letzte Wort der Poesie gewesen ist, so ist Homer einfach ein stilloser Naturalist. Sophokles Hütte, wenn er ein gebildeter Mann vom Schlage der Thorwaldsen gewesen wäre, seinen klassischen Homer nachahmen sollen, anstatt abgesehen von den Unterschieden der epischen und dramatischen Technik so wohlgesittete Helden auf die Bühne zu stellen. Und Homer selbst hatte sicherlich auch wieder Vorgänger, welche auf Pietät Anspruch erheben konnten. Warum hat der die Sagen umgedichtet? Warum hat er nicht alles beim Alten gelassen, wenn das Alte das Schöne ist?

Er hat ebensowenig wie Sophokles gezögert, die Forde­rungen seiner eigenen Zeit zu erfüllen. Homer und Sophokles haben nur die Sprache so ziemlich gemeinsam; ihre übrige Welt ist geschieden, was nicht hindert, daß unsere Dichter vor hundert Jahren anfingen, verschwommenen griechischen Idealen

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