Offensichtlich war Max Herrmann der einzige Philologe, der sich einige Jahrzehnte vor Dr. Erler bereits um eine einwandfreie Fassung des Romans Mathilde Möhring bemühte. Er hatte die Buchausgabe mit Fontanes Manuskript sorgfältig verglichen und handschriftliche Korrekturen in die Druckausgabe eingetragen. Das Ergebnis war: keine einzige Seite ohne Eintragungen, die meisten der insgesamt 121 Seiten weisen zahlreiche Korrekturen auf. Die vorstehende Abbildung vermittelt einen Eindruck davon.
Wir wissen leider nicht, wann Max Herrmann diese Arbeit ausführte. Dr. Mövius glaubt sich zu erinnern, daß er über stilistische Eigenheiten Fontanes arbeiten wollte und nimmt an, daß sie damit in Zusammenhang steht und er sie zu einer Zeit vornahm, bevor er sich überwiegend mit der Theaterwissenschaft befaßte.4 Wir wissen auch nicht, ob Max Herrmann die Absicht hatte, für die wissenschaftliche Öffentlichkeit eine authentische Fassung des Romans herauszugeben. Bei einem so gewissenhaften Philologen wie ihm liegt diese Vermutung aber nahe, nachdem er die Fehler der Erstausgabe erkannt hatte. Es könnte sein, daß er das Vorhaben nicht verwirklichte, weil er es zunächst wegen dringenderer Aufgaben zurückstellte' und später durch die Zeitumstände daran gehindert wurde. Die Tatsache, daß dieser Band zu den wenigen schriftlichen Arbeiten gehört, die von dem Ende der dreißiger Jahre in seinen Arbeitsmöglichkeiten nahezu ganz und in seinen Lebensmöglichkeiten auf das äußerste eingeschränkten jüdischen Wissenschaftler Max Herrmann noch erhalten geblieben sind und daß er ihn vor seiner Deportation nach Theresienstadt Dr. Mövius übergab, läßt die Vermutung zu, daß ihn diese Fontane-Arbeit nach wie vor beschäftigt und bis zuletzt zu seinen Arbeitsvorhaben gezählt hatte.
Anmerkungen
1 Eine Auswahl aus ihren rund 38 verstreut erschienenen literaturwissenschaft- lichen Arbeiten erschien 1988 als Band 1241 in Reclams Universalbibliothek unter dem Titel „Einfühlung und Verstehen", herausgegeben und kommentiert von Dr. Joachim Biener.
2 Dr. Mövius (geb. 1908) zählt zu den wenigen Menschen, die in vollem Bewußtsein der damit verbundenen Gefahren dem jüdischen Ehepaar Herrmann die Treue hielt und es in jenen Jahren — wie auch weitere jüdische Bürger — unterstützte.
3 Die 4. Auflage — als 4. Tausend zu verstehen — erschien ebenso wie die 1.—3. Auflage 1908, ist aber im „Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1700—1910" bzw. in Kayser’s Bücher-Lexikon 1907—1910 nicht nachgewiesen. Das Titelblatt des Bandes gibt an „mit Bildnis", gemeint ist ein Porträtfoto Fontanes von E. Bieber. Nicht genannt und deshalb auch nicht in der bibliographischen Titelbeschreibung erscheinend ist die Abbildung einer Zeichnung Adolph von Menzels zum 70. Geburtstag Fontanes zwischen Seite 124 und 125, die der Künstler mit den Worten versah: „Auch ’n Kuss — Unterm Mistel-Zweig wie Er stattgehabt zweifelsohne heut vor 70 Jahren. 30. Dezember. A. M."
4 Die Gründung des Theaterwissenschaftlichen Instituts erfolgte 1923; die Erarbeitung seines nachgelassenen Werkes „Die Entstehung der berufsmäßigen Schauspielkunst im Altertum und in der Neuzeit" (herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ruth Mövius, Berlin 1962) beschäftigte ihn in den 30er Jahren bis 1942. — Auf eine über Fontane geplante Arbeit deutet auch die im Nachlaßmaterial erhaltene handschriftliche Abschrift des Gedichtes „Fritz Katzfuß" mit gezählten Versen hin.
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