Heft 
(2020) 109
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22 Fontane Blätter 109 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte »Landschaftsbilder«,»Fensterbilder« Wie Theodor Fontane Wirklichkeit als Bilder erzählt Christoph Wegmann Wenn ein Mensch»wie benommen« 1 dasteht,»weil das Bild vor ihm« 2 ihn fesselt und»voll eigenen Reizes« 3 ist, weil»›sich Alles trefflich von einander ab[hebt]« 4 , dann beobachten wir nicht unbedingt einen Museumsbesu­cher vor einem Meisterwerk. Genau so versunken blicken viele Romange­stalten Fontanes auf die alltäglichsten Dinge. Nicht nur Schatten und Spie­gelungen und Kuriositäten erscheinen ihnen dann bildhaft, nein, häufiger noch wandelt sich in einem magischen Augenblick die ganze Umgebung zum Bild und die Betrachterinnen und Betrachter verfallen dem»Zauber des um sie her liegenden Bildes« 5 : Ein prächtig komponiertes Landschaftspano­rama taucht auf, ein Park, eine malerische Straßenecke, und ein auffälliges Interieur erscheint wie von Künstlerhand arrangiert. Wir blicken dann bei der Lektüre auf ein»Landschaftsbild« 6 , ein»Architekturbild« 7 , ein»Ufer­bild« 8 , ein»Hofbild« 9 , ein»Gartenbild« 10 , ein»Straßenbild« 11 oder auf ein »Weihnachtsbild« 12 . Lauter Alltagsepiphanien. Fontane verwendet den Ausdruck»Bild« als Marker, um die Lesart einer Szene zu steuern. Zuweilen benutzt er dafür auch gemäldetypische Termini wie»pittoresk« 13 ,»Hintergrund« 14 ,»Stillleben« 15 . Oder er umfasst eine An­sicht mit einer Rahmung, dem Viereck einer Tür etwa, einem Torbogen oder einem Doppelfenster, durch das man»wie durch zwei große Bilderrahmen [...] die ganze landschaftliche Herrlichkeit« 16 bewundern kann. Manchmal bringt der Erzähler einen Maler, einen Malstil oder ein bekanntes Gemälde ins Spiel und färbt damit den vermittelten Wirklichkeitsausschnitt. Mehr als 150 Mal setzt er in seinem gesamten Romanwerk solche Bild-Marker, um die prosaische Realität vor unseren Augen in ein Kunstbild umzuwandeln. Und würde man alle Passagen dazuzählen, die keine solchen Marker aufweisen, aber wie ein Bild strukturiert sind, wäre die Zahl um ein Vielfaches größer. Wir haben es also bei der Bildwerdung des Wirklichen mit einem zentralen Vorgang in Fontanes epischem Standardmodell zu tun. Diese Bildwerdung der Wirklichkeit spielt sich zwar in der Wahrneh­mung des Erzählers und der Figuren ab. Zugleich aber sehen wir, wie