Der»jüdische Fontane« Muhs 85 tue bald.« 23 Auch sonst hatte Georg Hermann für jede Situation ein FontaneZitat parat. Als ihm zur Hochzeit seiner Tochter 1934 nichts Rechtes einfallen wollte, entschuldigte er sich mit den Worten:»Als jüdischer Fontane – wie ich oft genannt wurde – fehlt mir natürlich wie jenem jeder Sinn für Feierlichkeit, und das Wort ›Mein Sohn, du kommst nicht weit, dir fehlt der Sinn für Feierlichkeit‹ hat sich an mir auch in noch höherem Sinne wie bei dem alten Theodor bewahrheitet.« 24 Beckmesserische Kritik an der leicht verbogenen Gedichtzeile hätte der Fontane-Kenner möglicherweise mit Hinweis auf die schulterzuckende Bemerkung Leo von Poggenpuhls aus dem gleichnamigem Roman quittiert:»Es wird wohl falsch zitiert sein; die meisten Zitate sind falsch.« 25 Gefallen aneinander finden können hätten beide Schriftsteller auch in ihrer Freude am Plaudern, zumal Georg Hermann ähnlich wie Fontane als autodidaktisch gebildeter Kunstkenner gelten darf. Als relativ wohlhabender Mann konnte er sich sogar eine stattliche Gemäldesammlung leisten. Allerdings hätte Fontane bei aller Verbundenheit wohl nie von Adolph Menzel als»mein oller Freund« gesprochen, wie der berlinernde Georg Hermann das mit Bezug auf Max Liebermann tat. Gemeinsam war ihnen vor allem eine einfühlsame Teilnahme am Leben und Leiden namentlich von Frauen in Berlin. Das»tyrannische Gesellschafts-Etwas«, an dem Effi Briest zug runde geht, wird auch Jettchen Gebert zum Verhängnis, allerdings in einem gänzlich anderen sozialen Kontext. Während Fontane besond ers von Adel und Militär fasziniert war, spielen Georg Hermanns Romane ausnahmslos im bürgerlich-jüdischen Milieu. Handlungsbestimmend aber waren gleichwohl nicht spezifisch jüdische, sondern eher alltägliche Schicksale, mit denen sich Juden und andere Deutsche gleichermaßen identifizieren konnten. Was die Darstellungsweise betrifft, wußten sich beide Autoren, ungeachtet des Altersunterschieds von einem halben Jahrhundert, einig in ihrem Bekenntnis zum Realismus. Hatte Fontane seinerzeit Dickens und Thackeray zum Ideal erklärt, bei denen»der letzte Knopf am Rock und die verb orgenste Empfindung des Herzens... mit gleicher Treue wiedergegeben« würden 26 , so wollte Georg Hermann die»Zeit verlebend igen bis auf den letzten Hosenknopf«. 27 Auf strukturelle Analogien in ihren Romanen, wie etwa die Technik ihrer Romaneingänge und ‑schlüsse, ihre narrativen Strategien, die Rolle von Gesprächen im Handlungsablauf und ähnliches soll hier nicht weiter eingegang en werden, zumal Cornelis van Liere und Godela Weiss-Sussex diese Aspekte in jüngerer Zeit eingehend gewürdigt haben. 28 Wie nicht anders zu erwarten, ist die Wesensverwandtschaft beider Autoren von der Literaturkritik schon früh kommentiert worden. So empfahl die Kölnische Zeitung ihren Lesern 1912 den Roman Die Nacht des Doktor Herzfeld mit dem Hinweis,»daß in diesem Kunstwerk der Geist des alten Fontane sehr deutlich spukt.« 29 Ähnlich, und unabhängig davon, äußerte
Heft
(2020) 109
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten