Heft 
(2020) 109
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Der»jüdische Fontane« Muhs 85 tue bald.« 23 Auch sonst hatte Georg Hermann für jede Situa­tion ein Fontane­Zitat parat. Als ihm zur Hoch­zeit seiner Toch­ter 1934 nichts Rech­tes ein­fallen woll­te, ent­schuldigte er sich mit den Wor­ten:»Als jüdi­scher Fon­ta­ne wie ich oft ge­nannt wurde fehlt mir natür­lich wie je­nem jeder Sinn für Feier­lich­keit, und das Wort ›Mein Sohn, du kommst nicht weit, dir fehlt der Sinn für Feier­lichkeit‹ hat sich an mir auch in noch höherem Sinne wie bei dem alten Theodor bewahr­hei­tet.« 24 Beck­messe­rische Kritik an der leicht ver­bogenen Ge­dicht­zeile hätte der Fontane-Kenner mög­licherweise mit Hinweis auf die schul­ter­zucken­de Be­mer­kung Leo von Pog­gen­puhls aus dem gleich­namigem Roman quit­tiert:»Es wird wohl falsch zi­tiert sein; die mei­sten Zitate sind falsch.« 25 Ge­fal­len aneinander fin­den können hätten beide Schriftsteller auch in ihrer Freude am Plau­dern, zumal Georg Hermann ähnlich wie Fon­ta­ne als auto­di­dak­tisch ge­bil­deter Kunst­kenner gelten darf. Als relativ wohl­haben­der Mann konn­te er sich sogar eine statt­liche Ge­mälde­sammlung lei­sten. Allerdings hätte Fontane bei aller Verbundenheit wohl nie von Adolph Menzel als»mein oller Freund« ge­sprochen, wie der berlinernde Georg Her­mann das mit Be­zug auf Max Liebermann tat. Gemeinsam war ihnen vor allem eine ein­fühl­same Teil­nah­me am Le­ben und Lei­den namentlich von Frauen in Berlin. Das»tyran­ni­sche Gesell­schafts-Etwas«, an dem Effi Briest zug­ run­de geht, wird auch Jett­chen Gebert zum Ver­häng­nis, al­ler­dings in einem gänzlich anderen sozialen Kontext. Wäh­rend Fon­t­ane besond­ ers von Adel und Militär fasziniert war, spielen Georg Her­manns Ro­mane aus­nahmslos im bür­ger­lich-jüdi­schen Mi­lieu. Hand­lungs­bestim­mend aber wa­ren gleichwohl nicht spe­zi­fisch jüdi­sche, sondern eher alltäg­liche Schick­sale, mit denen sich Ju­den und an­de­re Deut­sche glei­cher­maßen identi­fi­zie­ren konn­ten. Was die Darstellungsweise betrifft, wuß­ten sich beide Autoren, ungeachtet des Alters­unterschieds von einem halben Jahr­hun­dert, einig in ihrem Be­kenntnis zum Rea­lis­mus. Hatte Fon­tane seinerzeit Dickens und Thackeray zum Ideal erklärt, bei denen»der letzte Knopf am Rock und die ver­b­ orgen­ste Emp­fin­dung des Herzens... mit gleicher Treue wieder­gege­ben« würden 26 , so woll­te Georg Her­mann die»Zeit ver­le­ben­d­­ i­gen bis auf den letzten Ho­sen­knopf«. 27 Auf struk­turelle Analo­gien in ih­ren Roma­nen, wie etwa die Tech­nik ihrer Ro­man­ein­gänge und ‑schlüs­se, ihre nar­ra­tiven Stra­te­gien, die Rol­le von Ge­sprä­chen im Hand­lungsablauf und ähn­liches soll hier nicht weiter ein­ge­gang­ en werden, zumal Cor­nelis van Liere und Gode­la Weiss-Sus­sex diese Aspekte in jün­gerer Zeit eingehend ge­wür­digt haben. 28 Wie nicht anders zu erwarten, ist die Wesensverwandtschaft beider Au­toren von der Li­te­ra­tur­kri­tik schon früh kommentiert wor­den. So empfahl die Kölnische Zeitung ihren Lesern 1912 den Ro­man Die Nacht des Doktor Herzfeld mit dem Hinweis,»daß in die­sem Kunst­werk der Geist des alten Fon­tane sehr deut­lich spukt.« 29 Ähnlich, und unab­hän­gig davon, äußerte