146 Fontane Blätter 109 Rezensionen Dania Hückmann: Rache im Realismus. Recht und Rechtsgefühl bei Droste-Hülshoff, Gotthelf, Fontane und Heyse. Bielefeld: transcript 2018(Literalität und Liminalität Bd. 24). 216 S.€ 34,99 In Theodor Fontanes Vor dem Sturm untermauert Berndt von Vitzewitz seine Haltung im Gespräch mit seinem Sohn Lewin, indem er sich auf die Rache als ein höheres Recht beruft:»Ich weiß, daß geschrieben steht, ›die Rache ist mein‹, und in menschlicher Gebrechlichkeit[…] bin ich allezeit seinem Wort gefolgt.[…] Es gibt auch eine heilige Rache. So war es, als Simson die Tempelpfosten faßte und sich und seine Feinde unter Trümmern begrub. Vielleicht, daß auch unsere Rache nichts anderes wird, als ein gemeinschaftliches Grab.« 1 Für die Rachephantasie des alten Militärs ist dreierlei kennzeichnend: ihr Entstehen aus dem Gefühl des Verlusts, die subjektive Überhöhung der Rache wie des Rächers und – damit verbunden – die Gefahr des Umkippens in den tragischen Exzess. Dass es sich hierbei zugleich um Merkmale handelt, die für die Rachedarstellung und-reflexion in realistischen Texten allgemein charakteristisch sind, zeigt Dania Hückmann in ihrer Studie zur Rache im Realismus. Ausgehend von der so frappanten wie zutreffenden Feststellung, dass in der Literatur des Realismus»auffällig viele Rachegeschichten« begegnen(S. 11), obwohl sich die Literatur der Zeit bekanntlich eher durch wohltemperierte Affekte auszeichnet, beobachtet Hückmann in jener auf Gelingen verschriebenen Literaturepoche in puncto Rache das Gegenteil:»Im Realismus scheitert die Rache«(S. 12). Ähnlich umstandslos fährt die durchgehend dicht gegliederte und zügig argumentierende Studie darin fort, sogleich ihre zentralen Ausgangsüberlegungen zu präsentieren:»Ist Literatur[…] der ultimative Katalysator, um Rache zu entschärfen, indem sie diese in Sprache übersetzt?«(S. 13), lautet unter der Überschrift»Literatur als Surrogat der Rache?« eine davon. Zwar stolpert man hier gleich mehrfach: über das etwas schiefe Bild vom Katalysator, der Reaktionen doch gerade befeuert und zudem unverändert aus ihnen hervorgeht, über die hier implizierte Annahme eines den literarischen Texten vorgeordneten Rachegefühls, auch über den Ausdruck ›Surrogat‹, das als(im Rechtssinn) einigermaßen äquivalenter Ersatz letztlich wieder ein teilweises Gelingen der Rache suggeriert. Gleichwohl führt die Fragestellung zu einer der Hauptthesen des Buches hin, dass nämlich Rache in realistischen Erzähltexten zum Scheitern verurteilt sei, weil sie erzählerisch – u. a. durch typische Instrumente wie die Rahmenkonstruktion – gebannt und disqualifiziert werde. Das Fehlgehen und die Uneinlösbarkeit der Rache in den von ihr untersuchten Novellen und Romanen korrespondieren nach Ansicht der Verfasserin mit der Entstehung des modernen Gerichtswesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; dieses sei in einer »juristischen Schwellenzeit«(S. 15) von konfligierenden Rechtsgedanken geprägt, die Rache schließlich im doppelten Wortsinn aufheben: indem
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(2020) 109
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