Heft 
(2020) 110
Einzelbild herunterladen

42 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Allerdings wirft die autobiographische Darstellung, so hell sie auch den Hintergrund auszuleuchten scheint, ebenfalls Probleme auf. Zu viele Details sind einfach unhaltbar. Ein Ministerium Auerswald-Radowitz beispielswei­se hat es nie gegeben. Rudolf von Auerswald, ein altliberaler Ostpreuße, war vom 20. Juni bis 8. September 1848 Regierungschef gewesen 7 , während ­Joseph von Radowitz, der langjährige enge Vertraute des Königs, erst Ende September 1850 das Außenministerium übernommen hatte, und zwar im gleichen Kabinett Brandenburg, dem Otto von Manteuffel bereits seit des­sen Bildung im November 1848 als Innenminister angehörte. Trotz dieser und anderer faktischer Irrtümer enthalten Fontanes Memoi­ren aber wie fast immer so auch hier das, was man eine ›tiefere Wahrheit‹ nennen könnte. Nichts ist besser geeignet als ein Hinweis auf diese Tatsache, um die Fragwürdigkeit von Interpretationen darzutun, die hinter jedem Ge­dächtnisfehler eine bewußte Irreführung des Lesers oder gar eine politische Strategie des Autors vermuten. Was Fontane zu der chronologisch unhalt­baren Assoziation von Auerswald und Radowitz veranlaßt hat, dürfte die zutreffende Erinnerung gewesen sein, dass beide eine Politik nationaler ­Einigung verfolgt hatten. Im Gegensatz dazu war der Konflikt zwischen ­Radowitz und dem preußisch-partikularistischen Manteuffel so scharf ge­wesen, dass sich einem durch zeitlichen Abstand getrübten Gedächtnis leicht die Vorstellung eines Nacheinander aufdrängen konnte, wo es in Wahrheit um einen Richtungsstreit innerhalb einer und derselben Regie­rungsmannschaft gegangen war. Andererseits lag Fontane insofern auch wieder nicht ganz falsch, als Manteuffel nach dem maßgeblich von ihm betriebenen Sturz seines nur sechs Wochen amtierenden Kollegen Radowitz Anfang November 1850 dessen Nachfolger als Außenminister geworden war und wenige Tage spä­ter, nach dem plötzlichen Tod des Ministerpräsidenten Brandenburg, auch dieses Amt übernommen hatte. Allerdings hatte er sich dazu nur unter der Bedingung bereiterklärt, dass ihm weiterhin die bis dato im Innenministe­rium ressortierende Zuständigkeit für die Informationspolitik der Regie­rung verbleiben würde. In diesem Zusammenhang kam es zu jener behörd­lichen Reorganisation, an deren Ende der Dichter auf der Straße stand. 8 Gegenstand der Eingabe, an die sich der alte Fontane so lebhaft erin­nerte, kann mithin kaum die Erklärung gewesen sein, dass die Unterzeich­ner»nicht Lust hätten, unter Manteuffel zu dienen«, wie es im»Wangen­heimkapitel« heißt. Eben das hatten sie schließlich, ob mit oder ohne Lust, auch bisher schon getan. Dass Manteuffel als Innenminister in gleicher Weise der Dienstvorgesetzte des Literarischen Kabinetts gewesen war, wie ihm als Ministerpräsident die nunmehr so genannte Centralstelle für Preß­angelegenheiten unterstand, findet ja nicht zuletzt in dem bereits zitierten Brief Fontanes an Lepel vom 7. Januar 1851 seine ausdrückliche Bestäti­gung.