Heft 
(2020) 110
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Fontanes Fronde gegen Manteuffel  Muhs 41 Schriftstück mit zu unterzeichnen, worauf ich antwortete: Gewiß, aber bloß aus Korpsgeist, denn man möchte mir, einem Jungen, die Bemer­kung verzeihen, aber ich fände diese Opposition Untergebener ganz un­gehörig; Manteuffel sei jetzt Minister, und wenn wir ihm nicht dienen wollten, so könnten wir ja gehen. Aber wir hätten kein Recht, mit einem Mißtrauensvotum zu debutieren.[...] Alle die Herren waren mir unend­lich überlegen an Jahren, Wissen, Erfahrung, aber sie hatten keinen bon sens.[...] Als ich meine Bemerkung gemacht, lachten die Herren, aber nicht spöttisch, sondern beifällig und sichtlich amüsiert. Sie waren klug genug, um sich zu sagen: ›Das Kind hat recht‹. Aber der Stein war nun mal im Rollen, vom Aufhalten keine Rede mehr, und so schloß die Szene damit ab, daß ich, der ich meine Zustimmung mit einem großen Frage­zeichen begleitet hatte, ausersehen wurde, das Schriftstück dem Minis­terialdirektor von Puttkamer zu überreichen. Der mochte schon wissen, was drin stand, nahm das Schriftstück mit einem ziemlich barschen An­schnauzer entgegen und warf es auf den Tisch. Eh eine Woche um war, war das ganze»literarische Kabinett« aufgelöst und seine Insassen ent­lassen. Ich Unglückseliger nahm diese Entlassung für ernsthaft und be­gann meine junge Ehe mit einem Hungerjahr; die Kollegen aber, die so gesinnungstüchtig gewesen waren, waren klüger, sie paktierten sehr schnell, gingen mit fliegenden Fahnen ins andere Lager über, in dem ich sie ein Jahr später, als auch ich paktiert hatte, sämtlich wieder antraf. 6 Weshalb Fontane in seinen brieflichen Äußerungen mit keinem Wort einen Umstand erwähnt, dessen ausschlaggebende Bedeutung ihm im Abstand von fast einem halben Jahrhundert so deutlich bewußt war, liegt auf der Hand. Hätte er 1851 eingeräumt, möglicherweise selbst den Anlaß zu seiner Entlassung gegeben zu haben, wäre kaum auf Mitleid zu hoffen, vermutlich sogar mit Tadel zu rechnen gewesen. Ein Akt behördlicher Willkür dagegen, wie ihn die Schreiben an Lepel und Witte suggerieren, konnte keinen Grund zu Vorwürfen an das vermeintliche Opfer geben. Von Wolfsohn, der weit weg in Dresden wohnte, waren kaum Nachfragen zu befürchten, weshalb ihm statt umständlicher Erklärungen nur das unumstößliche Faktum mitge­teilt wurde. Hinter der zur Schau gestellten Unbekümmertheit muß also das Be­wußtsein an Fontane genagt haben, ein Stück weit mitverantwortlich gewe­sen zu sein für die pekuniäre Misere, in der er und seine schwangere Ehe­frau sich nunmehr befanden. Dass die Schreiben an seine Berliner Freunde, obwohl zeitlich nahe an den Ereignissen, nicht die ganze Wahrheit enthal­ten, steht jedenfalls außer Frage. Jahrzehnte später waren die Motive, die den Dichter seinerzeit veranlaßt hatten, jeden Hinweis auf die eigene Ver­wicklung zu unterdrücken, natürlich längst entfallen, weshalb er jetzt offen den Ablauf der Dinge ausplaudern konnte, wie er ihm im Gedächtnis geblie­ben war.