Heft 
(2020) 110
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72 Fontane Blätter 110 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Monatsblätter aus Bethel College 8, no. 5(Mai 1903): 52-53. Die Preußischen Mennoniten im Roman. Auch die preußischen Mennoniten haben einer gewissen Verwendung in der belletristischen Literatur nicht entgehen können. Im Drama hat ihnen ja der weithin bekannte Dichter v. Wildenbruch ein, jeder geschichtlichen Treue entbehrendes Denkmal gesetzt, das nur in unserm Lande wenig Be­achtung gewann. Aber ein noch schlimmeres Zerrbild ihrer eigentlichen, also religiösen  Charakterzüge, liefert der Dichter und Essaist  Theodor ­Fontane in einem seiner neuesten Romane. Fontane ist sonst einer der soli­desten Schriftsteller der neuern Zeit. Über englisches Volksleben, besonders aber über das tägliche Tun und Treiben der Bevölkerung seiner Heimat, der Mark Brandenburg, hat er eine ganze Reihe höchst fesselnder Sachen ver­faßt. Er ist 1819 geboren und war einige Zeit Sekretär der Berliner Akade­mie der Wissenschaften, hat also sehr erfolgreich Carriere gemacht. Es heißt von ihm in Adolf Bartels Skizze der deutschen Litteratur der Gegen­wart, daß er von der Doublettenlitteratur abbog und nach originalen Stoffen suchte, wenn diese auch nicht immer anziehend und reizend waren. Somit huldigt er auch dem sogenannten Naturalismus und auf dieser Jagd nach irgend welchem neuen Material muß er an die Mennoniten geraten sein und sich Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit zugetraut haben, der deutschen Le­serwelt eine Schilderung ihrer Eigentümlichkeiten zu bieten. Er führt sein Publikum jedoch nicht nach den Ufern der Weichsel, son­dern nach Amerika, und hier nach dem Indianerterritorium. Hier ist nach [52] seiner Darstellung in dem zwischen den Shawneehills in Osten und den Ozark Mountains im Westen liegenden breiten Tal eine Ansiedlung preußi­scher Mennoniten unter dem Namen»Nogat-Ehre« entstanden, das aus ei­ner Reihe von Gehöften besteht, welche einen schäumenden Bach entlang gebaut sind. Palmen und Ulmen umrahmen die Häuser. Einige Meilen öst­lich vom Dorf liegt die Station Darlington an der von Galveston kommenden Texas-Kansas-Missouri Bahn; an der westlichen Seite desselben  dagegen zieht sich Meilen weit  bis zu den mit hohen Tannen, Kiefern und Cypres­sen bestandenen Bergen ebenes Land hin, auf welchem die Cherokee und Arapahoe Indianerstämme wohnen, unter denen vier mennonitische Missi­onare, Krehbiel, Nickel, Penner und Anthony Shelly tätig  sind. In Nogat­Ehre bewohnt der Älteste der Gemeinde, Obadja Hornbostel, das imposan­teste Gehöft. Sein Haus ist zweistöckig; oben befinden sich die Wohn- und Schlafzimmer; unten liegt der große Versammlungssaal. Obadja ist dreimal verheiratet gewesen; die Kinder der ersten Frau sind wieder nach Preu­ßen zurückgegangen; da es ihnen hier nicht gefallen hat. Er hat Jahre lang in Dakota gelebt; von dort ist er nach dem Süden gezogen; zwei Kinder, Toby