Heft 
(2020) 110
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90 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Abednego, der Pfandleiher. Fontanes Übersetzung einer fashionable novel als frühe Annäherung an die ›jüdische Frage‹ Thomas Brechenmacher I. Fontane übersetzt Gore Er habe, schrieb Fontane an Wilhelm Wolfsohn am 22. Februar 1851,»ei­nen dicken Roman von der Mrs. Gore übersetzt«. 1 Dieser Hinweis im Brief­wechsel mit dem frühen Freund fiel eher beiläufig als Antwort auf dessen Anregung hin, Fontane möge für die von Wolfsohn mitherausgegebene Zeitschrift Deutsches Museum einen Beitrag über die»englischen Frauen« verfassen. 2 Fontane hielt sich für durchaus unqualifiziert, dieses Thema zu bearbeiten.»Der Umstand, daß ich in London 3 alte Weiber kennen gelernt und in Deutschland einen dicken Roman von der Mrs. Gore übersetzt habe, berechtigt mich unmöglich dem schönen Geschlecht Alt-Englands im Deutsch[en] Museum klar zu machen, wies eigentlich mit ihm steht.« 3 Ein Artikel über englische Frauen kam nicht zustande, aber jene Roman­Übersetzung blieb erhalten. Fontane widmete dieser frühen Arbeit in seiner Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig nur eine Randbemerkung: seine »Übersetzung einer sehr guten Erzählung der Mrs. Gore. Titel: ›The Money­lender‹« sei, wie auch ein Roman aus eigener Feder,»viele Jahre später, wäh­rend ich im Auslande war, irgendwo gedruckt worden.« 4 Wahrscheinlich muss diese Reminiszenz auf das Konto der bekannten Phantasie Fontanes bei der literarischen Ausgestaltung der eigenen Biographie gebucht wer­den; jedenfalls konnte ein solcher plagiatorischer Druck des Manuskripts bisher nicht nachgewiesen werden. Über dieses Manuskript berichtete noch Otto Pniower anlässlich des 100. Geburtstages Fontanes:»Es ist ein sehr sauberes Manuskript, das aus 220 Quartblättern eines kräftigen, ein wenig vergilbten Papiers besteht. Der Deckel aus stärkerem, auf Leinwand aufgezogenem Papier trägt auf der Vorderseite in kräftigen, malerischen Zügen den Titel.[...] Auch die Schrift des Textes zeigt schon jenen schönen Schwung der Buchstaben, der Fonta­nes Handschrift eigen war.« 5 Als sich mit Helmuth Nürnberger in den 1960er Jahren zum ersten Mal wieder ein Fontane-Forscher eingehender