162 Fontane Blätter 110 Nachruf Abschied von Günter de Bruyn Roland Berbig Einem Toten das Abschiedswort auf den letzten Weg geben, es ist ein schweres Geschäft. Und wenn dieser Mensch ein Autor war, mit dessen literarischer Arbeit man seit Jahrzehnten gelebt hat, doppelt. Günter de Bruyn ist am 4. Oktober gestorben, er stand im 94. Jahr. Als er das neunte Lebensjahrzehnt vollendet hatte, schrieb er mir:»Das postalische Echo auf meinen Geburtstag war gewaltig. Als ob es ein Verdienst sei, 90 werden zu dürfen! Mehr als Glückwünsche von ›oben‹ hat mich ein Brief aus Werneuchen erfreut: Der Bürgermeisterdank für mein Schmidt-Buch.« 1 Jener Schmidt von Werneuchen, von dem de Bruyn schon 1981 einen Gedichtband mit Dokumenten zur Wirkungsgeschichte herausgegeben hatte, war Zeitgenosse Goethes und wäre längst vergessen gewesen, hätte der ihm nicht eine vielgedruckte und weitverbreitete Parodie( Musen und Grazien in der Mark) gewidmet. Was dabei gemeinhin übersehen wird, war Goethes späte Bemerkung, man hätte sich über diesen Märker nicht lustig machen können,»wenn er nicht als Poet wirklich Verdienst hätte das wir an ihm zu ehren haben.« 2 Gemeinhin, ja, aber nicht Günter de Bruyn. Ihm waren solche Gestalten der Literaturgeschichte Anlass für Aufwand und Zuwendung. Er hielt ihnen die Treue, und stünde am Ende nicht der Roman Der neunzigste Geburtstag, dann wäre der Schmidt von Werneuchen gewidmete Band in der Frankfurter Buntbücher-Reihe 3 charakteristisches Schlusssiegel seines schriftstellerischen Werkes. Der schon über die Gratulationsorgien zum»Neunzigsten« den Kopf schüttelte, was erst würde er denken über das, was ihm nachgerufen wird? Und nun auch noch in den Fontane Blättern. Obwohl, vielleicht freute es ihn. Denn Fontane war er zugetan, und er hat kein Hehl daraus gemacht. Zuerst vielleicht im Privaten. Vor mir nämlich liegt die Ausgabe 9/1969 der Halbjahresschrift für Literatur und Kritik Die Diagonale: auf dem Cover»1819– 1969 FONTANE« und darin ein Kuriosum. Ein West-Berliner Verlag erklärte sich bereit, eine Theodor-Fontane-Anthologie in sein Programm aufzunehmen, vorausgesetzt, dass es dem ungenannt bleibenden Herausgeber
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(2020) 110
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