Heft 
(2021) 111
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24 Fontane Blätter 111 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Fontane gehört zu jener Reihe echter und tief deutscher Erzähler, die mit Grimmelshausen beginnt und mit ihm, Fontane, eigentlich ihr Ende gefun­den hat. Mit Gottfried Keller und Wilhelm Raabe bildet er zusammen das glänzende Triumvirat einer absterbenden epischen Epoche. Wollte man wit­zig sein, so könnte man diese drei als Brüder bezeichnen, deren Mutter Jean Paul und deren Vater Jeremias Gotthelf war, während Berthold Auerbach als illegitimes Kind eine Zeitlang noch mitlaufen durfte. Der wuchtige, her­be, selbst im Zarten noch seltsam düstre Keller, der tiefsinnige, träumeri­sche Raabe(der, wie ich im Vertrauen mittheilen kann, noch lebt), der lie­benswürdige Fontane dies Wort scheint doch eigens für ihn erfunden der ein Menschenkenner ohnegleichen war es ist herrlich, diese drei Namen nennen zu dürfen und die unvergleichlichen Stunden wiederzuleben, die sie uns geschenkt haben. Fontane´s Bücher in ihrer ganzen Stimmung gleichen einem weitebenen Land, das von einer spätsommerlichen Sonne beschienen wird. Warm, klar und heiter. Einen ganz verblüffenden Eindruck von seiner Kunst, Menschen zu schildern, erhält man durch seine letzten autobiographischen Mittheilun­gen, die einen sehr starken Band füllen. Es ist, als ob er die Leute von außen und von innen zugleich beleuchte. Dabei sieht man nicht etwa ein Knochen­gerüst, sondern es ist alles Fleisch. Er kann sich kaum genugthun im Herbei­schleppen charakteristischer Merkmale, in jenen kleinen und scheinbar be­langlosen Details, die in ihrer Summe erst dem Bilde Leben und Leuchtkraft verleihen. Niemals wird er phrasenhaft; weder phrasenhaft großthuerisch, noch phrasenhaft mitleidig, und es ist ganz besonders beachtenswerth, wie selbst in diesem Buche, das doch eine Selbstbiographie ist, seine eigene Per­son so völlig verschwindet, förmlich vergeht hinter den anderen Menschen, die er zeichnet, und wie trotzdem wir immerfort ihn selbst sehen, nur ihn allein, als ob die Figuren, die er schildert, transparent wären. Schildert! Er führt sie zu uns ins Zimmer, und wir verkehren mit ihnen unter all den dunklen und räthselhaften Gefühlen der Sympathie und Antipathie wie im Leben selbst. Den liebsten Freund läßt er nicht g a n z Freund sein, sondern daneben noch den Menschen, wie er sich dem Allerfremdesten vorstellen würde. Das ist eben jene künstlerische Gerechtigkeit, die untrüglich und un­trübbar ist wie ein kostbarer Spiegel. Alle Leute, die in den Vierziger-Jahren den berühmten Berliner Tunnel besuchten, sehen wir auf diese Art: Strach­witz, Eggers, Heyse, Kugler, Storm, Fonseca, Hesekiel, Merckel und viele an­dere. Und schließlich ist es noch das Revolutionsjahr, die Berliner Märztage, die er uns in seltsame Nähe rückt, so daß Komisch-Alltägliches und Kräftig­Heroisches deutlich und begreiflich nebeneinander stehen. Es muß wundervoll gewesen sein, mit ihm zu verkehren. Wolzogen, der ihn gut kannte, hat es uns oft geschildert, und ich hatte immer Sehnsucht danach. Gibt es denn auch etwas Ersehnenswertheres, als so einen freien, wahrhaft unbefangenen Menschen, der, gestählt durch die Gluthen eines