Fontane in der österreichischen Presse Rasch 23 ensvollen Leser vergessen zu lassen, wie wenig das gefühlt ist, was man so überzeugungstreu vorzutragen hat. Ausgenommen von solchem Vorwurf können eigentlich nur jene wenigen werden, die den Dichter persönlich gekannt, und die seinen Tod als das empfanden, was er menschlich und persönlich für sie war, so daß sie den literarisch-journalistischen Fanfarenton anzuschlagen nicht nöthig hatten. Es ist schrecklich, wenn so ein Mann gestorben ist, daß sich einer hinsetzt und allsogleich eine Liste seiner Leistungen anfertigt, sie mit ein paar elegischen Interjektionen begleitet und das alles schleunigst drucken läßt. Es ist, wie wenn ein Reisender aus einem Geschäft ausscheidet und man ihm vorrechnet, wie viel man durch ihn verdient hat, und nichts kann bezeichnender sein für dies zeitunglesende Jahrhundert, das eine seltsame Art utilitarischer Sentimentalität pflegt. Demnach ist es klar, daß man nunmehr über seine Bücher gar nicht viel zu reden braucht; darüber sind ja jetzt Bände geschrieben, und jeder, der nur mit dem geringfügigsten Interesse daran theilnahm, wird die Titel dieser Bücher wissen und sogar von dem Inhalt manches erfahren haben. Sie zu lesen, wird wohl eine andere Sache sein. Genug, daß er weiß: aha, das ist der Fontane, der hat die»Effi Briest« und»L´Adultera« und»Frau Jenny Treibel« und»Irrungen, Wirrungen« geschrieben. Schließlich hat er auch erfahren, daß diese Werke durch eine große und eigenartige Kunst der epischen Darstellung ausgezeichnet sind, daß sie im gleichen Maß Sittenbilder sind, wie sie Seelenbilder sind, daß sie Landschaft athmen und fest auf heimatlicher Erde stehen, daß sie von einer Stileinheit erfüllt sind, die nur von einer Persönlichkeit ausgehen kann. Und, zufrieden in diesem Bewußtsein, preist sich der erwähnte Kunstliebhaber glücklich, der Zeitgenosse eines solchen Mannes gewesen zu sein. All das gäbe würdige Bemerkungen in einem Kapitel über den geistigen Pauperismus in Deutschland. Wir leben und fühlen nicht mit unseren großen Männern, sondern wir lassen sie gleichmüthig an uns vorübergehen, und erst wenn die Zeitung das bekannte Kreuzchen bringt, fangen wir an, uns über sie in irgendeiner Art zu erhitzen. Unsere Begeisterung wartet auf ein Kommandowort, unsere Liebe schielt nach fremdem Lob; wir sehen nur durch fremde Augen und hören nur durch fremde Ohren. Es wird der Tag kommen, wo die Herrschaften ihre»Feuilletons« über Detlev v. Liliencron werden herrichten müssen, dann werden sie vergessen haben, wie dieser Schaffende vor wenig Jahren aus seiner Noth um Hilfe rief. Natürlich weiß ich, daß mit Theodor Fontane das alles nicht so sehr zutrifft, denn seine liebenswürdige und frohthätige Persönlichkeit hat ihn das Leben niemals als zu hart empfinden lassen. Aber so im ganzen ist es doch richtig, daß man bei uns nicht den Heiligen verehrt, sondern sein Bild oder seine Gloriole, nicht das Werk schätzt, sondern seinen Ruhm, seine Tradition. Es fehlt eben die sinnliche Kraft des unmittelbaren Erfassens – als ob jene Großen alles absorbirt hätten, was den Kleinen mangelt.
Heft
(2021) 111
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