Heft 
(2021) 111
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22 Fontane Blätter 111 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes der ungeheuren Masse von Romanen gute Novellen. Beide Gattungen erhei­schen Freude am Stoffe, naives Schaffen. Das Vermögen und die Empfäng­lichkeit dafür spricht man unserer Zeit ab. Mit dem Zeitbegriffe wird aber ein arger Mißbrauch getrieben, so daß man meinen könnte, die Zeit ver­wandle die innere Beschaffenheit der Menschen, während sie nur die äuße­ren Verhältnisse derselben verändert. In früheren Zeiten war der Zudrang zur Schriftstellerei nicht so groß und bei dem geringen Ertrage, den sie abwarf, hatte die Wahl dieses Beru­fes etwas Spontanes, Unwillkürliches, das nur aus der wirklichen Fähigkeit entspringen konnte. Heutzutage ist die Schriftstellerei ein vielverzweigtes, großartig organisirtes G e we r b e, das, wie es nur durch massenhafte Aus­übung bestehen kann, auch Massen von Leuten, die kein Talent haben, aus Erwägung, aus bloßer Reflexion für sich gewinnt. Dieser Charakter der Re­flexion überträgt sich dann auch auf das Hervorgebrachte, während das dichterisch Naive nicht an und für sich seltener geworden ist als in früherer Zeit, sondern nur im Verhältnisse zu der großen Fülle dessen, was unauf­hörlich geschrieben und gedruckt wird, namentlich in Folge der stets sich noch vermehrenden Wochen- und Monatsschriften. Die Ballade Theodor Fontane´s ist die beste, welche die deutsche Litera­tur seit Bürger gewonnen hat, was viel gesagt ist, wenn man bedenkt, daß Goethe und Schiller dazwischen liegen. Sei sie nun der düsteren Romantik der schottischen Hochlande entnommen oder zu jener echt deutschen Poesie des Muthes gestaltet, die bei der plastischen Darstellung kriegerischer Be­gebenheiten und militärischer Helden von einem humoristischen Klange durchzogen ist immer bewegt sie das Gemüth durch die Volksthümlichkeit des Stoffes und die Naivetät der Behandlung. Dieser originelle Dichter hat aber keine genügende Verbreitung gefunden, was die Leute, die vom Aus­schreiben der Gemeinplätze leben, nicht hindert, zu behaupten, das Lied vom armen deutschen Poeten wäre bereits ein Anachronismus geworden. [] 3. Jakob Wassermann über Theodor Fontane Arbeiter-Zeitung. Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie. Wien. Nr. 280. 11. Oktober 1898, S. 5. Ueber Theodor Fontane. Wer in den vergangenen Wochen die Berichte verfolgt hat, die den Tod, und, im Zusammenhange damit, die Betrachtungen, die das Leben Fontane´s zum Gegenstand hatten, wird im allgemeinen den Eindruck des Phrasenhaften nicht losgeworden sein. Im allgemeinen ist es ja auch so, daß schöne und bedeutsame Attribute das Ihrige thun, um den nachsichtigen und vertrau-