94 Fontane Blätter 111 Dossier: Fontanes Der Krieg gegen Frankreich geht aus dem völligen Mangel an moralischem – keineswegs an physischem – Muth der Franzosen hervor und daraus, daß sie in den letzten 100 Jahren jeden Glauben an irgend ein politisches Ideal, an die Dauer irgend einer politischen Form verloren haben. Beides erklärt wechselwirkend die hoffnungslose Lage einer hochbegabten, thätigen, sparsamen Bevölkerung, die seit dem Sturze der Bourbonen während der Revolution, alle politischen Formen in rathlosem Wechsel durchlebten, und die so oft Beute von Prätendenten, Abenteurern und Intriguanten geworden. Der Kaiser und Olivier wollten den Krieg nicht, wurden aber durch die wenigen, entschlossenen Chauvinisten dazu gedrängt, im Cabinet wie in Volksversammlungen entscheiden Leidenschaft und Willenskraft in solcher Lage öfter als vernünftige Ueberlegung. So erzählt Fontane in einer Anmerkung folgende von ihm selbst als unverbürgt bezeichnete Anekdote:»Als am 13. Juli in St. Cloud, wo der Kaiser, die Kaiserin, Gramont und der Ritter Nigra anwesend waren, die telegraphische Depesche eintraf, daß der Erbprinz(von Hohenzollern) entsagt, und der König diese Entsagung gutgeheißen habe, ruhte das Auge des Kaisers minutenlang auf dem Telegramm; endlich sagte er ruhig: »Je vais encore une fois donner au monde un grand exemple de ma modération.«»De ton envahissement« rief Eugenie, riß ihm die Depesche aus der Hand, und zerknitterte sie. …« Wenn man nach der treffenden Schilderung der Zustände in Frankreich, wo Leidenschaft, Intrigue und Vermessenheit auf der einen, Indolenz, Schwäche und Rathlosigkeit auf der andern Seite sich geltend machte, die gedrängte Darstellung der wenigen Tage von dem Bekanntwerden der ersten Kriegsgefahr in Deutschland, bis zum Ausbruch des Krieges liest, kann man nur mit Dank und gehobenem Gefühl jener Zeit und der späteren Kämpfe gedenken, die nun, nach der Enthüllung der Siegessäule, ihren Abschluß gefunden. Bei dem Zwecke des Buches können wir in der Darstellung des Feldzuges und der Schlachten weder neue Thatsachen noch neue Gesichtspunkte für die Beurtheilung suchen, es handelte sich nur darum, belebte, treue, das patriotische Gefühl erwärmende Bilder zu geben, und dabei sind sehr wirkungsvoll die oft ergreifenden Briefe benutzt, die Offiziere und Soldaten vom Schauplatz der Ereignisse in die Heimath schrieben. Wohlthuend berührt auch das billige Urtheil über die französische Armee, aber es scheint doch als hätte das Streben dem überwundenen Feinde gerecht zu werden, etwas zu weit geführt, wenn S. 540 gesagt wird:»Die französische Armee war glänzend. Nie hatte das Kaiserreich, weder das erste(1805, 1806, 1809?) noch das zweite, etwas Besseres ins Feld gestellt. … Die Armeen(der Gegner) selbst, waren ebenbürtig.« Gewiß hat sich die Infanterie der Linie und Garde gut geschlagen, haben die Kavallerie-Regimenter Beweise glänzenden Heldenmuths gegeben, aber Organisation, Administration und Ausbildung der Armee litten doch, nach den einstimmigen Aussagen fran-[S. 777]
Heft
(2021) 111
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