Fontane im Felde Becker 33 brachte Fontane in einer Fußnote noch die Formulierung»das in Kraftentwicklung einzig dastehende[…] Gambetta-Regiment« 37 unter. Da diese Wendung offenließ, ob nur die Kriegführung, oder nicht vielmehr das gesamte nationale Leben gemeint war, dürfte sie konservative Leser extrem provoziert haben – Republikanismus als größte Kraftentfaltung! Garibaldi, der bekannte italienische Freiheitskämpfer, kam im Oktober 1870 nach Frankreich, um den Truppen der Republik zur Hilfe zu eilen. Gambetta gab ihm den Oberbefehl über alle Freicorps im Osten, die sogenannte Vogesenarmee. Fontane mokierte sich zwar über Garibaldis Idee der ›Weltrepublik‹, fand aber für seine Form der Kriegführung anerkennende Worte. 38 Niemals hätten Garibaldis Männer den Boden des herrschenden Kriegsrechts verlassen; zu Recht forderten sie, auch von ihren Feinden nach Kriegsrecht und keineswegs als ›Banditen‹ behandelt zu werden. An dieser Stelle traf Fontane eine bemerkenswerte Unterscheidung zwischen uniformtragenden Freicorps auf der einen und Partisanen auf der anderen Seite. Die Aufstellung von Freicorps sei ein legitimes Mittel der Kriegführung; schon der Begriff ›Freicorps‹, den Fontane hier gewiss mit Bedacht wählte, verwies auf die eigene preußische Tradition von 1813. Verwerflich sei nur der Kampf aus dem Hinterhalt, bei dem die Akteure nicht als Kombattanten kenntlich gemacht seien. 39 8. Fazit Fontane ließ in seine konservativ grundierte Kriegsdarstellung also durchaus auch bürgerlich-liberale Vorstellungen einfließen, ja zeigte sogar Sympathien für Aspekte von republikanischer Politik und Kriegführung. Zugespitzt könnte man von subversiven Einsprengseln in einem ansonsten ausgesprochen braven Text sprechen, der alle Gepflogenheiten und Standards der zeitgenössischen Kriegsdarstellung vollumfänglich berücksichtigte. Fragt man nach den Gründen für eine solche Textanlage, drängen sich vor allem zwei Antworten auf. Erstens kann Fontane als Barrikadenkämpfer von 1848, der später um des Broterwerbs willen für konservative Zeitungen und Verlage arbeitete, den Drang verspürt haben, wenigsten ein paar geistige Konterbande in sein Kriegsbuch einzuschmuggeln – gewissermaßen, um die Selbstachtung nicht zu verlieren. Zweitens verfolgte Fontane in den 1870er-Jahren generell die Strategie, den Verkaufserfolg seiner Bücher dadurch zu erhöhen, dass er sie dem konservativen und dem liberalen Publikum gleichermaßen empfahl. Iwan-Michelangelo D’Aprile hat in seiner Fontane-Biografie gezeigt, wie der Autor den Roman Vor dem Sturm von 1878 in persönlichen Briefen, die auf Rezensenten einwirken sollten, einmal konservativ und einmal liberal deutete – die daran anknüp-
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(2021) 112
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