Die Gartenlaube im Krieg Stockinger 53 Kampfgeschehen und Zivilleben, Brutalität und Harmlosigkeit fallen in den Heften ineins und dem(exhaustiven) Leser ins Auge, teilweise auf einer Seite, jedenfalls in ein und derselben Nummer. Gegen Jahresende 1870 finden sich Friedrich Wilhelm Heines drastische Schilderungen Von der blutigsten Stelle vor Paris gleichsam eingerahmt durch einen Artikel über Ludwig van Beethoven( Zum Gedächtniß des Meisters) und der Fortsetzungserzählung Hermann der bewährten Gartenlauben-Novellistin»E. Werner«(Elisabeth Bürstenbinder). 100 Dass die beigefügte»Originalzeichnung von unserem Feldmaler F. W. Heine« dadurch kaum abgefedert, moderiert oder idyllisiert werden konnte, versteht sich. Sie zeigt in aller naturalistischen Anschaulichkeit einen heftigen »Straßenkampf in le Bourget«, bei dem Bajonette im Nahkampf in Leiber gerammt werden(Abb. 2). 101 Nicht weniger unverblümt äußert sich der Bericht über den Krieg als»Häuserkampf« in Le Bourget. Mann stand hier gegen Mann,»Haus um Haus« musste erobert werden, die Leichen stapelten sich. Details des»entsetzliche[n] Gemetzel[s]« wurden dem Gartenlauben- Leser nicht erspart: Nicht wenige tote Soldaten lagen»mit dem Gesicht in dem schlammigen Boden«,»andere auf dem Rücken, die Arme steif emporgestreckt und die glasigen Augen weit offen«; viele wurden»gräßlich verstümmelt«;»die meisten waren dem Bajonnet oder dem Kolben erlegen, so daß oft Blut und Gehirn an den Wänden klebte« etc. 102 Tagesaktuell und konsequent befand sich damit auch das Familienblatt Die Gartenlaube selbst an Weihnachten ›im Krieg‹. 103 Die letzten Kriegswochen des beginnenden Jahres 1871 setzten sich in der Gartenlaube auf die beschriebene Weise fort. Militärisches und die aktuelle politische Situation blieben stets präsent, und zwar auch dann, wenn ein Artikel oder eine Illustration gar nicht in erster Linie den laufenden Krieg zum Gegenstand hatte. So wurde ein Bericht über das schwäbische Betzingen, Eine Malerheimath, mit dem sprechenden Untertitel Bild aus friedlichen Tagen versehen. 104 Eine ganzseitige Genreszene zeigt eine alte Frau, die ein Paket»Für die Feldpost« schnürt 105 , und die Darstellung eines Liebespaares erhielt den Hinweis»Jedenfalls nicht im Kriegszustande«. 106 Auch die fiktionale Serie von Levin Schücking setzte den Krieg fort – in acht Teilen: Pulver und Gold. Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt. 107 Spätestens ab dem zweiten Quartal 1871, also einige Wochen nach dem Waffenstillstand vom 31. Januar und dem Vorfrieden von Versailles am 26. Februar 1871, spielte das aktuelle Geschehen dann kaum mehr eine Rolle – die ›Helden des Feldes‹ wichen auch im belletristischen Bereich jetzt wieder dem Helden der Feder, so der gleichnamige Titel eines Fortsetzungsromans, wiederum von E. Werner(Elisabeth Bürstenbinder). 108 Wenn es doch noch um den Krieg ging, standen die Zeichen wie allerorten im Deutschen Reich auf Euphorie und Feierlaune. Bemerkenswert ist allerdings, dass Die Gartenlaube – ihrem Anspruch auf umfassende Sorge für alle Teile
Heft
(2021) 112
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