Heft 
(2021) 112
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Die Gartenlaube im Krieg  Stockinger 55 der ›­nationalen Familie‹ gemäß auch die Kriegsfolgen recht präzise offen­legte und den Schatten- oder doch Kehrseiten der Geschehnisse relativ aus­führlichen Raum gab. So lenkte Gartenlauben- Korrespondent Friedrich Hoffmann in einer Miniserie mit dem Titel Ein fahrendes Lazareth die Auf­merksamkeit auf den tatsächlichen Preis des Sieges über Frankreich. Die Gleichzeitigkeit unvereinbarer Emotionen und Reaktionen wurde hier so­wohl transportiert und abgebildet als auch erzeugt und verstärkt. Der technisch beschleunigte Informationsfluss machte es möglich, dass Siegesnachrichten, ganz anders als 1813, als dies»Wochen« gedauert hatte, »noch am Tage der Schlacht« in Deutschland eintrafen und die Nation spon­tan wie unmittelbar in einen ›Rausch‹ versetzten:»[D]ie Siegesfahnen wur­den ausgesteckt, die Straßen wimmelten von frohen Menschen und die Ver­gnügungslocale faßten die glücklichen Zecher kaum«. Das ist der eine Pol. »Ganz anders« aber, so Hoffmann weiter,»sah es am andern Ende des Bildes aus, wohin von dem strahlenden Glanze kein Schimmer mehr fiel, auf den fernen Schlachtfeldern«. Aus Orléans berichtete er von elenden Zuständen auf Bahnhöfen und in Lazaretten, von»zwei- bis dreitausend Verwundete[n] auf offnen Eisenbahnwagen, an denen Wände und Fußböden zerbrochen und durchlöchert waren«. Dagegen appellierte er,»Sanitäts- oder Lazareth­züge« zu entsenden, um eine sichere Heimkehr bei bestmöglicher Versor­gung zu gewährleisten. Denn»wahrlich, man schaudert dann vor dem Ge­danken zurück, Siege, die durch solche Opfer errungen worden, durch Fahnen und Feste zu feiern« und wenn man es doch tat, so sollte man doch das Spenden nicht vergessen. In gewohnt zuverlässiger Manier bot sich die Gartenlauben- Redaktion in Leipzig als Sammelstelle an. 109 Deutlich wird da­bei, dass dem Familienblatt weniger daran gelegen war, die Feierstimmung zu trüben, als sich vielmehr erneut und weiterhin als schwarzes Brett der Nation zu bewähren. Grundsätzlich aber änderte sich 1871 ab Heft 15 der Modus der Darstel­lung: Aus(Kriegs-)Berichterstattung wird Erinnerung an den Krieg. Die Gartenlaube ist wieder ganz ›bei sich‹ als Unterhaltungsorgan, Informa­tionsportal und Archiv der deutschen Nation. Die Reihe Erinnerungen aus dem heiligen Kriege 110 historisierte das soeben Erlebte und machte das teil­weise im Familienblatt bereits Berichtete aus unterschiedlichen Perspekti­ven zum Gegenstand des kollektiven Erinnerungsinteresses. Ansonsten war man, so scheint es, vor allem an der Wiederherstellung und Stabilisie­rung des Status quo vor dem Krieg interessiert. Das lässt sich nicht zuletzt an einigen Langzeitserien ablesen, die wegen des Krieges unterbrochen worden waren und jetzt nahtlos fortgesetzt wurden. 111 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das explizite Selbstver­ständnis des Familienblatts mit Ausbruch des Deutsch-Französischen Krie­ges 1870 nicht angetastet wurde: Man verstand sich weiterhin als Organ und Katalysator der sich einigenden deutschen Nation. Der Einigungsprozess