Heft 
(2021) 112
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170 Fontane Blätter 112 Labor »[H]ier sind Lichter die Hülle und Fülle«. Ein Bericht aus dem Pekinger Fontane-Labor mit einer exemplarischen Lektüre von Frau Jenny Treibel 1 Xiaoqiao Wu 1. Stationen der Fontane-Rezeption in China Nicht nur im Werk des wohl bekanntesten deutschen Dichters Johann Wolf­gang von Goethe finden sich China-Bezüge, mit denen sich die Forschung ertragreich auseinandergesetzt hat. In ganz ähnlicher Weise lohnt auch der Blick auf das Thema ›Fontane und China‹: Man denke nur an den berühm­ten Chinesen im Roman Effi Briest. Seit seiner Jugend hat Fontane sowohl dem alten als auch dem zeitgenössischen China ein lebenslang anhaltendes, großes Interesse entgegengebracht. Als Mitglied des literarischen Vereins Tunnel über der Spree rezensierte er etwa mit großer Begeisterung Paul Heyses Novelle Die Brüder. Eine chinesische Geschichte in Versen, eine 1852 erschienene, auf der Grundlage der chinesischen Liedersammlung Schi­king angefertigte Nachdichtung. 2 Ein weiteres Beispiel ist das Gedicht mit dem Titel Zeitung. Hier reimt der alte Fontane spielerisch zwei chinesische, für deutsche Ohren exotisch klingende Namen:»Liu-Tang und Liu-Tschang, / Christengemetzel am Yang-tse-Kiang«. 3 »Liu Tschang« bezieht sich auf den chinesischen Staatsmann Li Hongzhang, der als»orientalischer Bismarck« gewürdigt wurde und dem Deutschen Reich im Jahr 1896 einen Staatsbe­such abstattete, während mit Liu Tang der Name der chinesischen Halbin­sel Liaotong anklingt, wie die Große Brandenburger Ausgabe in ihrer An­merkung zu Recht vermutet. 4 Zugleich wird im Vers an die zeitgenössische kulturelle Konfrontation erinnert, die die zahlreich ins Land strömenden christlichen Missionare im Fernen Osten verursachten. Für Fontane war der christliche Missionsanspruch ein Unding. 5 Solche China-Bezüge finden sich wiederholt in Fontanes Texten. Umge­kehrt hat es eine Weile gedauert, bis Fontane auch in China zur Kenntnis genommen wurde. Der Name des großen deutschen Romanciers taucht erst zwanzig Jahre nach seinem Tod im chinesischen Schrifttum auf. Im Folgen­den gebe ich zunächst einen Überblick über die schmale Rezeption Fonta­nes in der Bürgerlichen Republik China vor 1949 und in der Frühphase des