Heft 
(2021) 112
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Stefania Sbarra:»Il confine, il confine. Dovè?« Fambrini 197 gelten, dem doch die Idylle unaufhaltsam und unwiederbringlich ent­schwinde. Der Erzähler par excellence»von Haus und Heim«(S. 30) ist aber Storm, dem das Haus eine der Kräfte ist, die das Leben seiner Protagonisten zu be­schleunigen und der Vollendung entgegenzuführen vermögen. Dergleichen findet bei Fontane nicht statt, bei dem das Haus die sichtbare Gestalt eines dem Individuum auferlegten unerbittlichen Gesetzes ist, vor dem alles Stre­ben nach Freiheit, Glück und Liebe sich zu beugen hat. Hervorragende Be­deutung kommt in diesem Zusammenhange Fontanes»Begegnung mit dem Glas«(S. 87) zu, die ihn, nach anfänglichem Unverständnis(der 1854 erzähl­te Besuch des Londoner Crystal Palace), nach und nach zur Erkenntnis der Dynamik Durchsichtig-Undurchsichtig führt, die das Verhältnis seiner Fi­guren zu den anderen und zur Welt bestimmt. Erst am Ende seiner umfas­senden Produktion, im Stechlin, beginnt er,»die Maschen seiner ideologi­schen Textur zu weiten und, wenn auch sehr wehmütig, über eine Öffnung nachzudenken«(S. 147). Im Stechlin ist die wirkliche Welt, der Prozess der Moderne, im Hintergrund sichtbar; sie spiegelt sich im Stechlinsee, dessen Name, wie Sbarra bemerkt»im Slawischen auf ›Glas‹( Steklo) verweist« (S. 157), und in der Figur des Dubslav, einer»Schwellenfigur«(S. 157), die einer Reihe anderer, der alten und versteinerten Welt verhafteter Gestalten gegenübersteht, wie Sbarra sehr richtig hervorhebt. Dieses Kapitel, das über ein Drittel des Bandes einnimmt, ist in seiner Weite und Tiefe das Herz­stück von Sbarras Studie. Im kurzen Schlusskapitel wird versucht,»die Fenster zu öffnen« und die Erfahrungen des späten 19. Jahrhunderts ins 20. zu projizieren, in dem die Gefahren des Ab- und Ausschließens ihren symbolischen Ausdruck bei Kafka finden( Das Urteil und Die Verwandlung) und doch nurmehr Überres­te einer überwundenen archaischen Welt sind, die nicht zu bestehen vermag vor der Dynamik einer Modernität, die sich jeder Einschließung widersetzt und ins Freie(Sbarra verweist treffend auf Georg Simmels Brücke und Tür) und nach Transparenz strebt(wiederum Scheerbart): Utopien, die, stets be­droht, noch heute verfolgt werden, doch immer noch unerreicht sind. Alessandro Fambrini