Heft 
(2022) 113
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Fontane auf Französisch  D'Aprile, Lerenard 15 les moeurs dans lAllemagne da présent; Berlin et les moeurs nouvelles), die 1895 unter dem Titel Chez les Allemands als Buch erschienen. 10 Von dieser Reise stammt auch die abgebildete Zeichnung, die ihn wie es sich für einen Oblomowisten gehört liegend in Bayreuth zeigt. Zumindest flüchtig will er in Berlin auch Theodor Fontane begegnet sein, den er wie keinen anderen deutschsprachigen Romancier schätzte und über den er in der Folge mehre­re Jahrzehnte lang in Frankreich berichten sollte. Tatsächlich ist Wyzewas Fontane-Porträt von 1891 wohl die erste um­fassendere literaturkritische Gesamtdarstellung von Fontanes Werk in ei­ner anderen Sprache überhaupt nicht verwunderlich angesichts der Tatsa­che, dass Fontane auch im deutschen Sprachraum überregional und als Romanautor überhaupt erst im Anschluss an Irrungen, Wirrungen und dann mit seinem 70. Geburtstag eine breitere Würdigung erfahren hat. 11 Vorgestellt wird der ganze Fontane: der hugenottische Hintergrund(vom katholischen Wyzewa nur spöttisch gestreift), der schreibende Apotheker, der Balladendichter, Journalist, Historiker und Reiseschriftsteller und nicht zuletzt der Entdecker und Promoter der Mark Brandenburg, dem es zu dan­ken sei, dass inzwischen jeder Berliner Bankier eine Villa in der Mark habe und ganz Berlin der Mode der Mark folge(»Si tous les banquiers berlinois ont aujourdhui une villa dans la Marche, si tout Berlin affecte dêtre dans le style de la Marche, cest à M. Fontane quen revient lhonneur.«, S. VI). Vor allem aber werden Fontanes Berliner Gesellschaftsromane von LAdultera bis Irrungen, Wirrungen und Stine detailliert besprochen und sogleich in die Champions League des europäischen Romans aufgenommen Wyze­was Vergleichsmaßstäbe sind neben den französischen Naturalisten in der Nachfolge Émile Zolas die großen russischen und britischen Romane Tols­tois und Dostojewskis , Emily Brontës und Charles Dickens´ . Durch Wyzewas international geschulten Blick und die Chuzpe des sich noch auf dem umkämpften Pariser Kritikermarkt positionierenden New­comers wird sein Essay zu einem originellen und auch bei heutiger Lektüre noch von Überraschungsmomenten sprühenden Rezeptionszeugnis. Wäh­rend in Deutschland die jungen Naturalisten um Gerhart Hauptmann ­(Wyzewas Jahrgang) Fontane gerade erst als einen der ihren entdeckten, wird er bei Wyzewa schon als Vollender und Überwinder des Naturalismus gelesen. So habe Fontane das realistische oder naturalistische(in der fran­ zösischen Tradition wird beides nicht scharf getrennt) Literaturprogramm zwar überhaupt erst für Deutschland entdeckt. Zugleich seien seine Romane aber naturalistischer im Sinne von lebensechter als die aller französi­ schen Autoren inklusive Zolas (»La forme du roman de M. Fontane[] est une forme plus absolument naturaliste que celle daucun roman français.«, S. XIII). Den Hauptunterschied leitet Wyzewa aus der einfachen Lektüre­beobachtung ab, dass Fontane seine Figuren liebe, während die französi­ schen Naturalisten die ihrigen hassen würden, weil sie sie als Abbilder