20 Fontane Blätter 113 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Zwölf schlägt die Uhr, sie horcht erschreckt, Sie wollt, ihr Tisch wär ungedeckt, Es überfällt sie Angst und Graun, Sie will den Bräutigam nicht schaun. Fort setzt der Zeiger seinen Lauf, Niemand tritt ein, sie atmet auf, Sie starrt nicht länger auf die Tür, – Herr Gott , da sitzt er neben ihr. Sein Aug ist glüh, blaß sein Gesicht, Sie sah ihn all ihr Lebtag nicht, Er blitzt sie an, und schenket ein, Und spricht:»Heut nacht noch bist du mein. Ich bin ein stürmischer Gesell, Ich wähle rasch und freie schnell, Ich bin der Bräut´gam, du die Braut, Und bin der Priester, der uns traut.« Er faßt sie um, ein einz’ger Schrei, Die Mutter hört´s und kommt herbei; Zu spät, verschüttet liegt der Wein, Tot ist die Tochter und – allein. »Denkst du verschwundener Tage, Marie?« 21 (1) »Denkst du verschwundener Tage, Marie, Wenn du starrst ins Feuer bei Nacht? Wünschst du die hellen Tage zurück, Wo du selbst wie die Sonne gelacht?« »Ich denk der verschwundenen Tage, Johann, Und denk an all ihr Glück, Doch der sonnigste Tag, der über mich kam, Ich wünsch ihn nicht zurück.« »Denkst du an gestorbenes Hoffen, Marie, Wenn du starrst ins Feuer bei Nacht? Der Tau, der auf dein Hoffen fiel, Hat dich um die Ernte gebracht.«
Heft
(2022) 113
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