52 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ab der Jahrhundertmitte beinahe völlig vergessen wurde, werden ihre Romane in den letzten Jahren in der anglistischen Forschung durchaus als wichtiges literaturhistorisches Bindeglied zwischen Romantik und Realismus, zwischen Jane Austen und William Thackeray wiederentdeckt. 19 Allerdings harrt auch im englischsprachigen Raum der Money-Lender sowohl einer kritischen Neu-Edition als auch eingehenderer literaturwissenschaftlicher Untersuchungen. 20 Abednego the Money-Lender war einer der ersten Romane Catherine Gores nach ihrem rund achtjährigen Aufenthalt in Paris . Hier hatte sie nicht nur das auf die Julirevolution von 1830 erfolgte Ende der BourbonenDynastie und die bürgerliche Machtübernahme des juste milieu direkt miterlebt, sondern auch den beginnenden internationalen Siegeszug des fran zösischen Feuilletonromans mit Autorinnen und Autoren wie Honoré de Balzac und George Sand , Alexandre Dumas und Eugène Sue . Von ihrer zunehmenden Politisierung zeugt auch die Veröffentlichung des Romans in der schottischen Monatszeitschrift Tait’s Edinburgh Magazine. Gegründet 1832 im unmittelbaren Umfeld der liberalen britischen Wahlreform(»Reform-Bill«), bekam die Zeitschrift unter der Chefredakteurin Christian Isobel Johnston ein klares politisches Profil und stellte sich in den Dienst der unterschiedlichen Emanzipationsbestrebungen zwischen Liberalismus, Radikalismus und der sozialen Reformbewegung der Chartisten. Dazu gehörten Leitartikel mit einer scharfen Kritik an der Adlige und Grundeigentümer begünstigenden Politik unter Premierminister Peel ebenso wie Abhandlungen liberaler Vordenker wie John Stuart Mill oder Jeremy Bentham . Deutlich erkennbare Schwerpunkte bildeten zum einen Fragen der Frauenemanzipation, nicht nur repräsentiert durch eine weibliche Chefredakteurin, sondern auch eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Autorinnen und Besprechungen von deren Werken. Zudem senkte Johnston den Verkaufspreis des Magazins und öffnete es für die Anliegen der neuen sozialen Klasse des Industrieproletariats. Mittels einer eigens eingerichteten ständigen Rubrik(»Feast of the Poets«) lernten die Leserinnen und Leser die frühsozialistischen und chartistischen Programme und Dichtungen von Autoren wie Ebenezer Elliott , Robert Nicoll und John Critchley Prince kennen. 21 Nicht nur vor dem Hintergrund seiner Medienumgebung ist Gores Money-Lender auch als literarische Stellungnahme gegen den(nicht nur) britischen Adels-Antisemitismus zu verstehen, in dem ständischer Dünkel, religiöser Fanatismus, antikapitalistisches Ressentiment und eine auf Erbschaft und Geburt basierende proto-rassistische Ideologie eine untrennbare Gemengelage von Vorurteilen bilden. Den realhistorischen Kontext des Romans bildeten hier die zeitgenössischen antijüdischen Kampagnen gegen die Londoner Vertreter des internationalen Bankhauses der Rothschilds, Nathan Meyer Rothschild (1777–1836) und dessen Sohn Lionel de Rothschild
Heft
(2022) 113
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