Heft 
(2022) 113
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52 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ab der Jahrhundertmitte beinahe völlig vergessen wurde, werden ihre Ro­mane in den letzten Jahren in der anglistischen Forschung durchaus als wichtiges literaturhistorisches Bindeglied zwischen Romantik und Realis­mus, zwischen Jane Austen und William Thackeray wiederentdeckt. 19 Aller­dings harrt auch im englischsprachigen Raum der Money-Lender sowohl einer kritischen Neu-Edition als auch eingehenderer literaturwissenschaft­licher Untersuchungen. 20 Abednego the Money-Lender war einer der ersten Romane Catherine Gores nach ihrem rund achtjährigen Aufenthalt in Paris . Hier hatte sie nicht nur das auf die Julirevolution von 1830 erfolgte Ende der Bourbonen­Dynastie und die bürgerliche Machtübernahme des juste milieu direkt mit­erlebt, sondern auch den beginnenden internationalen Siegeszug des fran­ zösischen Feuilletonromans mit Autorinnen und Autoren wie Honoré de Balzac und George Sand , Alexandre Dumas und Eugène Sue . Von ihrer zu­nehmenden Politisierung zeugt auch die Veröffentlichung des Romans in der schottischen Monatszeitschrift Taits Edinburgh Magazine. Gegründet 1832 im unmittelbaren Umfeld der liberalen britischen Wahlreform(»Re­form-Bill«), bekam die Zeitschrift unter der Chefredakteurin Christian Iso­bel Johnston ein klares politisches Profil und stellte sich in den Dienst der unterschiedlichen Emanzipationsbestrebungen zwischen Liberalismus, Radikalismus und der sozialen Reformbewegung der Chartisten. Dazu ge­hörten Leitartikel mit einer scharfen Kritik an der Adlige und Grundeigen­tümer begünstigenden Politik unter Premierminister Peel ebenso wie Ab­handlungen liberaler Vordenker wie John Stuart Mill oder Jeremy Bentham . Deutlich erkennbare Schwerpunkte bildeten zum einen Fragen der Frauen­emanzipation, nicht nur repräsentiert durch eine weibliche Chefredakteu­rin, sondern auch eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Autorinnen und Besprechungen von deren Werken. Zudem senkte Johnston den Verkaufs­preis des Magazins und öffnete es für die Anliegen der neuen sozialen Klas­se des Industrieproletariats. Mittels einer eigens eingerichteten ständigen Rubrik(»Feast of the Poets«) lernten die Leserinnen und Leser die frühsozi­alistischen und chartistischen Programme und Dichtungen von Autoren wie Ebenezer Elliott , Robert Nicoll und John Critchley Prince kennen. 21 Nicht nur vor dem Hintergrund seiner Medienumgebung ist Gores Mo­ney-Lender auch als literarische Stellungnahme gegen den(nicht nur) briti­schen Adels-Antisemitismus zu verstehen, in dem ständischer Dünkel, reli­giöser Fanatismus, antikapitalistisches Ressentiment und eine auf Erbschaft und Geburt basierende proto-rassistische Ideologie eine untrennbare Ge­mengelage von Vorurteilen bilden. Den realhistorischen Kontext des Ro­mans bildeten hier die zeitgenössischen antijüdischen Kampagnen gegen die Londoner Vertreter des internationalen Bankhauses der Rothschilds, Nathan Meyer Rothschild (1777–1836) und dessen Sohn Lionel de Rothschild