72 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Ella-Rolle nicht nur Effis eigene Hochzeitsreise und ihre zu diesem Zeitpunkt aktuelle Situation konnotiert, sondern – worauf Müller-Kampel hingewiesen hat – auch der Ton der Briefe, die Effi von der Italienreise an ihre Eltern schreibt. 36 Anders formuliert: Fontane nutzt für Effi ziemlich genau diejenige Tonlage, die in Wicherts Stück für die Figur der»Ella« zu finden ist. Und gleichsam en passant wird auch für Arthur von Schmettwitz ein Charakterbild gezeichnet, das dem Innstettens in einzelnen Zügen verblüffend ähnlich ist. Bestätigt werden die Korrespondenzen zwischen dem Charakter der Figur»Ella« und den Wünschen von»Effi« in Fontanes Roman, gleich nachdem Gieshübler mit Effi über die Ella-Rolle gesprochen hat, denn auch Effi hat wenig Lust, die für sie an sich schon langweilige Italien -Kunstreise an den langen Winterabenden noch einmal zu rekapitulieren:»Effi war wie elektrisiert; was wollten Padua , Vicenza daneben bedeuten! Effi war nicht für Aufgewärmtheiten; Frisches war es, wonach sie sich sehnte, Wechsel der Dinge.« 37 Genau dazu stellt»die Rolle der unzufriedenen und abenteuerlustigen Kindfrau Ella der sie verkörpernden Effi ein reichhaltiges Reservoir an Identifikationsmustern« bereit. 38 Sind damit die Parallelen zwischen Ellas und Effis Wunschvorstellungen eines ›frischen‹ Lebens in vielerlei Hinsicht etabliert, 39 so wird der Titel von Wicherts Stück in der Folge als Vorausdeutung auf die weitere Entwicklung der Ereignisse genutzt, wenn es heißt:»Der ›Schritt vom Wege‹ kam wirklich zu stande[…].« 40 Auf diese Weise wird über das Boulevardstück etwas in den Roman eingebracht, was der poetische Realismus nicht so ohne weiteres leisten kann, nämlich eine zukunftsbezogene Prognose. Doch da die Formulierung ›zu Stande kommen‹ ambivalent auch ›nur‹ auf die geplante Aufführung des Stücks bezogen werden kann, ist das realistische Schreiben nicht gefährdet und die nötige Distanz zu Boulevardstücken auch hier gewahrt. Die Vorausdeutung wiederum macht in der Folge ein psychologisches Agieren und Reflektieren recht einfach. So folgt auf Effis spontane Begeisterung für das Vorhaben der Theateraufführung in der Ressource ein komplexer Prozess der Reflexion, innerhalb dessen Effi über die Psyche von Crampas nachdenkt, aber ansatzweise auch die eigene reflektiert: Aber als ob eine Stimme ihr zugerufen hätte:»sieh’ Dich vor!« so fragte sie doch, inmitten ihrer freudigen Erregung:»Ist es der Major, der den Plan aufgebracht hat?« »Ja. Sie wissen, gnädige Frau, daß er einstimmig in das Vergnügungskommitee gewählt wurde.[…].« »Und wird er auch mitspielen?« »Nein, das hat er abgelehnt. Ich muss sagen, leider. Denn er kann ja alles und würde den Arthur von Schmettwitz ganz vorzüglich geben. Er hat nur die Regie übernommen.« »Desto schlimmer.«
Heft
(2022) 113
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