Heft 
(2022) 113
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Fontane und das Boulevardtheater  Parr 73 »Desto schlimmer?« wiederholte Gieshübler. »O, Sie dürfen das nicht so feierlich nehmen; das ist nur so eine Redens­art, die eigentlich das Gegenteil bedeutet. Auf der anderen Seite freilich, der Major hat sowas Gewaltsames, er nimmt einem die Dinge gern über den Kopf fort. Und man muß dann spielen, wie er will, und nicht, wie man selber will.« Sie sprach noch so weiter und verwickelte sich immer mehr in Wider­sprüche. 41 ›Regie zu führen‹ grenzt in den von Effi entwickelten Ängsten an psycholo­gische Einflussnahme, wenn nicht sogar Manipulation, vor der sie sich dann konsequenterweise fürchtet.»Auf der Flucht vor einem Erzieher«, so resümiert Müller-Kampel,»ist sie in die Hände eines Regisseurs geraten, der sich auf die Inszenierung von Liebesdramen aller Art versteht«. 42 Insgesamt wird man vor diesem Hintergrund für einen Roman wie Effi Briest sagen können, dass ein nicht geringer Teil an ›Psychologischem‹ über die Applikationen aus Wicherts Lustspiel eingebracht bzw. ermöglicht wird. Alle diese Applikationen setzen jedoch voraus, dass die Leserinnen und Leser über ein grundlegendes Wissen um die applizierten Texte verfügen. Im Falle von Wicherts Ein Schritt vom Wege konnte Fontane davon ausge­hen, wurde das Stück nach der Premiere doch allein im Königlichen Schau­spielhaus in Berlin noch 92 Mal aufgeführt; 43 eine Popularität, auf die Fon­tane auch schon 1892 bauen konnte, als er Wicherts Ein Schritt vom Wege in seinem Roman Frau Jenny Treibel oder ›Wo sich Herz zum Herzen findt‹ verwendete. Präsent war Wicherts Stück auch noch sehr viel später, konnte doch der Titel der filmischen Adaption von Effi Briest unter der Regie von Gustav Gründgens aus dem Jahr 1938/39 Der Schritt vom Wege heißen. VI. Moritz Baßler hat herausgearbeitet, 44 dass dem realistischen Erzählen eine Kippfigur zugrunde liegt, bei der ein zunächst einmal metonymisches Ele­ment der Diegese metaphorisiert in der Terminologie des poetischen Rea­lismus: ›verklärt‹ wird, dies aber den Pol des ›Realistischen‹ gefährdet, sodass re-metonymisiert werden muss. Diese Aporie entspringt nach Baß­ler aus der Verbindung von Realismus und Idealismus in der ›realistischen‹ Poetik, die gegeneinanderstehende Konzepte einbringen:»Auf der einen Seite(der syntagmatisch -metonymischen Achse) wollen« realistische Er­zähltexte»realistische Details plausibel verknüpfen; auf der anderen Seite (der paradigmatisch-metaphorischen Achse) wollen sie diese Arbeit am De­tailrealismus und am lebensweltlich plausiblen Plotting mit einem überge­ordneten Metacode verbinden, der für den Sinn des Ganzen und die nötige poetische ›Verklärung‹ sorgen soll«. Daraus wiederum entspringt eine per­manente Kippbewegung:»Gegen das drohende Übergewicht des Realisti-