Fontane und das Boulevardtheater Parr 83 29 Darauf, dass die»Erzählliteratur des bürgerlichen Realismus« den»Status von Realität« immer wieder»auf den Prüfstand« stellt,»indem sie deren Bedingungen und Regeln erprobt und reflektiert« hat auch Claudia Öhlschläger hingewiesen. Dies.: »Das Maß der Dinge«. Zur Poetologie anekdotischer Rahmung in Theodor Fontanes»Chronique scandaleuse« Unwiederbringlich . In: Sabine Schneider/Barbara Hunfeld[Hrsg.]: Die Dinge und die Zeichen. Dimensionen des Realistischen in der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts . Für Helmut Pfotenhau er . Würzburg 2008, S. 59–72, hier S. 59. 30 Vgl. Jürgen Link/Ursula Link-Heer: Literatursoziologisches Propädeutikum. München 1980; bes. Lektion 5: Elementare Bestimmungen der literarischen Rezeption , S. 165–175. – Siehe auch Rolf Parr : Faust-Applikationen. Journalistische »Bruchstücke« aus dem Faust entdecken . In: Praxis Deutsch Nr. 250(2015), S. 25–27; ders.: Von ›Gruppenbildern mit Damen‹ , dem ›Ende von Dienstfahrten‹ und ›wahnsinnigen Methoden‹. Applikationen von Literatur im Journalismus . In: andererseits. Yearbook of Transatlantic German Studies Vol. 7/8(2018/19), S. 107–119. 31 Dem Begriff»Applikation« wird hier vor Anspielung, Allusion oder Zitat der Vorzug gegeben, da er noch ein wenig weiter angelegt ist und etwa auch ideologische Strukturen umfasst. – Appliziert, d.h. bruchstückhaft weiterverwendet werden kann prinzipiell jedes inhaltliche und ästhetische Element eines Textes, also stofflich-inhaltliche Aspekte, ästhetische Verfahren und Strukturen (z. B. eine bestimmte Redeweise oder Tonlage), ideologische Aspekte, mit deren Applikation die Perspektive, Anschauung oder ideologische Position eines Textes oder auch nur einer Figur übernommen wird, sowie Mischformen aus diesen dreien. Macht man sich zudem klar, dass bereits mit der bloßen Erwähnung eines Boulevardstücks in einem Fontane-Roman und erst recht mit der Applikation des Namens einer Figur Inhalte, Konflikte, Charakterbilder und Semantiken im Umfang von eigentlich mehreren Dutzend Seiten aufgerufen werden, dann ist der Rückgriff auf solche Applikationen ein probates literarisches Verfahren zur Maximierung von Semantik(und damit von Bedeutung) bei zugleich Minimierung bzw. Begrenzung der dazu nötigen Textmenge. Dies aber sichert wiederum die für den poetischen Realismus nötige ›ferne Nähe‹. 32 Fontane, wie Anm. 6, S. 168. 33 Vgl. Christian Grawe : Effi Briest : Crampas und sein Lieblingsdichter Heine. In: Ders.: »Der Zauber steckt immer im Detail«. Studien zu Theodor Fontane und seinem Werk 1976–2002 . Dunedin , New Zealand : Dept. of German , University of Otago 2002, S. 363–384, hier S. 365–368. 34 Fontane , wie Anm. 24, S. 234. 35 Wichert, wie Anm. 7, S. 10. 36 Müller-Kampel , wie Anm. 5, S. 65. 37 Fontane , wie Anm. 6, S. 168. 38 Müller-Kampel , wie Anm. 5, S. 66. 39 Anja Haberer: Zeitbilder. Krankheit und Gesellschaft in Theodor Fontanes Romanen Cécile (1886) und Effi Briest (1894). Würzburg 2012 .(Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 757), S. 228, hat darauf hingewiesen, dass Ella»in vieler Hinsicht wie ein Gegenbild zu Effi« erscheint, tritt sie doch»als emanzipierte, selbstbewußte Frau auf, die sich gegen jede Bevormundung zur Wehr setzt«. Stellt man Ella jedoch Effis Wünschen und – wenn man so will – Effis eigentlicher Natur gegenüber, dann rücken beide Figuren auf das Engste zusammen.
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(2022) 113
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